Herr Mälzer, der Produzent Ihrer aktuellen Show "Kitchen Impossible" nennt Sie den "Rocky Balboa des Kochfernsehens". Ein treffender Name?
Also mir gefällt das gut. Ich bin auch nicht der Hübscheste. Und ich habe gute Nehmerqualitäten. Ich habe gelernt, einzustecken. Das war früher schon so. Wenn ich als Pinneberger im Hamburger Nachtleben unterwegs war, war mein großes Mundwerk nicht immer von Vorteil. Ich erinnere mich noch an einen Abend, da war einer meiner Freunde so rotzevoll, dass er sich mit einem Typen angelegt hat. Ich bin dann mit raus auf den Parkplatz und wollte so tun, als ob ich die Fäuste hebe – dabei hatte ich mich noch nie in meinem Leben gehauen. Als der Typ mir eine Kopfnuss gab, knallte er gegen den härtesten Punkt meines Schädels, und seine komplette Stirn platzte auf. Bei mir war nichts zu sehen. Der Türsteher hat mir anerkennend auf die Schulter geklopft.
Weil er dachte, Sie sind der härteste Typ, der in Hamburg rumläuft.
Genau, die härteste Kante überhaupt. Dabei kann ich oft einfach nur meine Klappe nicht halten. "Hau doch zu, du Baumaffe!", hatte ich zu dem Typen gesagt. Das ist auch so ein Rocky-Spruch. Je mehr ich am Boden liege, desto besser werde ich. Ich mag nicht Tabellenführer sein, ich bin lieber Meisterjäger.

Bei "Kitchen Impossible" geht es auch um Wettkampf: Zwei Köche treten gegeneinander an und müssen ohne Rezept unbekannte Gerichte nachkochen. Sie, Herr Mälzer, prahlen dabei ganz schön rum, sagen, dass Sie der Größte und Beste seien. Wie groß ist Ihr Ego?
Ich weiß exakt, wo ich stehe. Da, wo ich gut bin, bin ich ganz leise. Und da, wo ich nicht so gut bin, da bin ich laut. Bei "Kitchen Impossible" fühle ich mich so wohl wie niemals zuvor im Fernsehen. In anderen Shows musste ich oft nur mal den Kochlöffel ablecken, und am nächsten Tag riefen nervöse Fernsehredakteure an, weil sich irgendwelche spießigen Zuschauer beschwert hatten. Bei "Kitchen Impossible" ist das anders. Viel emotionaler, ungefilterter, authentischer. Während sich am Anfang noch viele Kollegen zierten, will inzwischen fast jeder dabei sein. Ein Michelin-Stern ist heute nicht mehr die absolute Währung für uns Köche. Viel mehr zählt ein Platz auf der Website "The World's 50 Best Restaurants" oder ein Gastauftritt bei der Netflix-Show "Chef's Table" – so wie ihn mein Kollege Tim Raue jetzt als erster deutscher Koch hatte.
Sie nennen Ihre Konkurrenten am Kochtopf bei "Kitchen Impossible" gern Ficker oder Drecksau. Haben Sie keine Beißhemmungen?
Nee, weil das für mich in dieser Situation nicht mehr meine Freunde sind, sondern Kontrahenten, die mich in die Scheiße reiten. Selbst wenn es eine Frau ist, ist mir das egal. Da lebe ich Emanzipation in der höchsten Form aus. Ich sehe kein Geschlecht vor mir, ich sehe nur den Feind. Und ich will natürlich gewinnen.
Wann sind Sie gut, und wann sind Sie schlecht?
Ich bin ein sehr guter Handwerker, ich kann sehr gut emotionale Küche, das hat selten etwas mit Technik zu tun. Ich verstehe manche Gerichte sehr, sehr gut. Ich verstehe Kartoffelsalat.
Was versteht man, wenn man Kartoffelsalat versteht?
Ich verstehe die Sabschigkeit, die Schnittgröße der Stücke, die Kompaktheit, das Aroma, das Salz und die Säure. Und vor allem: Ich verstehe, warum die Menschen das mögen.
Sie sind ein Fernsehkoch, aber Sie haben keinen Stern. Stört Sie das nicht?
Nein, das sind unterschiedliche Ansätze: Bei der Sterneküche geht es meist um die Exaktheit der Rezeptur. Da wird beim Kochen das Geodreieck angelegt. Das ist nicht mein Ding. Obwohl ich in meinem Dilettantismus ebenso ein Perfektionist bin. Ich rede salopp daher, aber da steckt eine Präzision in allem, was ich auf den Teller packe. Für mich gibt es keine Qualitätsunterschiede beim Essen, die durch ein von außen herangetragenes Niveau bestimmt werden. Steckrübeneintopf ist genauso wertig wie Steinbutt mit Kaviar.
Spielte in Ihrer Familie Essen eine große Rolle?
Essen war nichts Überzogenes, es war einfach normal. Es lag bei uns aber schon mal eine Aubergine auf dem Teller, oder es gab Rippchen beim Grillen. Das war damals noch ungewöhnlich – aber wir haben das nicht gegessen, weil es schick war, sondern weil wir das lecker fanden.
Wer hat das zubereitet?
Bei uns in der Familie kann jeder kochen. Jeder. Selbst mein Opa konnte backen. Meine Uroma war die Köchin, an die ich die meisten Erinnerungen habe: die Hühnersuppe, der Eintopf, der Butterkuchen, die Rouladen, das Gulasch, der Gurkensalat … Essen, zu dem man eine emotionale Bindung hat. Bei meiner Oma erinnere ich mich auch an Braten, aber schon recht modern, mit Rosmarin zum Beispiel. Bei meiner Mutter wiederum waren die Gerichte mediterran angehaucht, die war nie so eine Steckrübenköchin.
Sie haben mal gesagt, Ihre Kindheit würde nach Dosenravioli schmecken …
… ja, meine Mutter war alleinerziehend. Es wurde überwiegend frisch gekocht, aber es gab auch Dosenravioli.

Können Sie so was heute noch essen?
Dosenravioli sehr gut, Spaghetti Mirácoli nicht mehr. Als ich ausgezogen bin, habe ich drei Monate lang nichts anderes gegessen. Bis ich es überhatte.
Ein großes Hobby scheint Kochen nicht gewesen zu sein. Wie sind Sie am Herd gelandet?
Ich wollte alles Mögliche werden. Architekt wie mein Opa, aber mit einem Abi von 3,4 konnte ich mir das abschminken. Bei der Berufsberatung rieten sie mir, eine Ausbildung in der Hotellerie zu machen. Ich dachte: Cool, du wohnst im Hotel, jemand macht die Wäsche, jemand räumt auf. In meiner Wahrnehmung liefen Hoteldirektoren nur rum und guckten, ob alles funktioniert, aber …
Aber?
Tja, man braucht eine kaufmännische Ausbildung für den Beruf. Oder eine Kochausbildung. So wurde ich Koch.
Wann merkten Sie, dass Sie ein außergewöhnliches Talent haben?
In Hamburg hatte ich einen fantastischen Lehrer, Helmut Helwig. Der hat gesehen, dass ich eine gute Mischung habe aus Kreativität und Körperlichkeit. Ich war mir nicht zu schade, hart zu arbeiten, aber ich habe eine große Fresse gehabt, immer.
Gab das Ärger?
Manchmal, weil ich Dinge infrage gestellt habe. Weil ich immer dachte: Die werden dich verarschen, die werden dich irgendwann zum Atlantic Hotel rüberschicken, damit du die Erbsenspaltmaschine holst … Aber wir hatten Glück. Wir Lehrlinge wurden nicht erniedrigt, wir hatten kompetente Ausbilder. Wie hart das alles sein kann, habe ich erst später in England erfahren. Verbale Erniedrigung, Prügeleien, bis zu Nasenbeinbruch.
In England haben Sie zusammen mit Jamie Oliver in einem Restaurant gearbeitet.
Ja, aber das war erst später. Davor war ich im Hotel Ritz. Dort habe ich eine Situation erlebt, nach der ich dachte: Wenn das so ist, höre ich mit dem Kochen auf.
Was ist passiert?
Wir haben für die Königsfamilie gekocht. Eine Woche lang haben wir durchgearbeitet. Geschlafen wurde im Geschirrlager. Ein Kollege hatte sich mit heißem Fett die Füße verbrannt, der stand nur noch im Eiseimer. Später mussten sie ihm den Schuh vom Fuß schneiden. Und obwohl alles geklappt hatte und das Essen perfekt gewesen war, holte der Küchendirektor am Ende den Küchenchef nach vorne und erniedrigte ihn vor der ganzen Belegschaft, bis der Arme einen Nervenzusammenbruch bekam. Er lag am Boden und heulte. Am nächsten Tag habe ich gekündigt.
Sie brauchten doch den Job, oder?
Nach diesem Vorfall wollte ich von der Küchenwelt nichts mehr wissen. 16, 17 Stunden am Tag arbeiten, oft ging es zu wie beim Militär. Dabei wollte ich doch was Schönes machen. Ich fand Kochen schön, ich fand Essen schön. Das hat für mich plötzlich nicht mehr zusammengepasst. Da stand ich vor der Situation, dass ich nicht wusste, was ich mit meinem Leben anfangen soll.
Wie alt waren Sie da?
26. Ich hatte schon vier, fünf Jahre ins Kochen investiert und wollte unbedingt in London bleiben. Dann habe ich mir einfach das Jobangebot mit dem höchsten Wochengehalt aus einer Zeitung rausgesucht. Das war das "Antonio Carluccio" in der Neal Street.
Der Wendepunkt?
Dort lernte ich nicht nur Jamie Oliver kennen, sondern auch Gennaro Contaldo, den Küchenchef des Ladens. Ein Italiener aus dem Bilderbuch. Bisschen dick, Haare zurückgegelt, Silberkettchen und immer den Kellnerinnen hinterher, obwohl er verheiratet war. Und dieser Contaldo, der hat mir alles beigebracht. Diese Begeisterung und diese Lust. Ich kriege immer noch Gänsehaut, wenn ich an die Zeit denke. Und ich war froh, weil ich sah: Das kann Kochen sein, das kann Kulinarik sein.
Und nach der Arbeit sind Sie mit Jamie Oliver wild um die Häuser gezogen?
Ich sage mal so: London, mit Mitte 20, hart arbeiten, da will man auch Spaß haben. Aber wir waren nicht extrem unterwegs, wir hatten gar nicht das Geld für die teuren Schuppen. Wir saßen bei den Tagelöhnern.
Jamie Oliver wurde dann sehr schnell als Fernsehkoch berühmt. Ab wann haben Sie darüber nachgedacht, etwas Ähnliches zu machen wie er?
So richtig bewusst erst mal gar nicht. Dass ich zum Fernsehen kam, lag an dem ehemaligen Chefredakteur von "Essen & Trinken", Martin Lagoda. Ein feiner Kerl. Den hatten sie angerufen, ob er einen fernsehtauglichen Koch wüsste. Er schlug mich vor. Davon wusste ich nichts. Und dann habe ich gesagt: Ja, ich würde das gern ausprobieren, aber nur unter meinen Bedingungen.
Welche waren das?
Echtzeitkochen. Ich wollte nicht sagen: Oh, ich habe mal was vorbereitet. Und ich wollte keine Kochjacke, das war mir wichtig.
Heute kennt man Sie vor allem aus dem Fernsehen. Sie müssen damit rechnen, dass die Leute Ihre Hose kritisieren oder beobachten, ob Sie pummelig geworden sind.
Am Anfang hat mir das echt zugesetzt. Dazu kam, dass Familie und Freunde meiner Prominenz gegenüber sehr kritisch waren. Die sagten: Verändere dich bloß nicht. Das war heftiger Druck von verschiedenen Seiten.
Sie wollten am liebsten beides: im Fernsehen Erfolg haben und alles beim Alten belassen?
Es war mir wichtig, dass niemand denkt, dass ich mich durch das Berühmtsein verändere, dass ich arrogant werde oder überheblich. Ich habe ständig aufgepasst, wie ich mich verhalte. Das war enorm anstrengend.
Zogen Sie sich deshalb 2006 für ein paar Monate aus der Öffentlichkeit zurück?
Da hatte ich einen Zusammenbruch und musste eine Weile alles ruhen lassen. Ich glaube aber nicht, dass ein Burnout durch zu viel Arbeit entsteht. Es liegt eher daran, dass wir keine zeitliche Struktur haben. Wir haben keine Wochentage und Sonntage mehr, wir sind rund um die Uhr erreichbar. Früher war mal Schluss mit der Kommunikation. Man konnte den Hörer auflegen. Heute ist das endlos. Ich kann jederzeit Kommentare ablassen. Und gleichermaßen wird das bei mir gemacht. Ich hatte das Gefühl, alles bedienen und alle glücklich machen zu müssen. Und dann kam noch hinzu, dass ich ein fröhliches Kerlchen bin und die Party liebe.

Sind Sie jemand, der sich googelt und schaut, was die Menschen im Netz schreiben?
Ja, klar. Ich meine: Warum machen wir das? Natürlich will ich Applaus.
Sie sind vor Kurzem zum ersten Mal Vater geworden. Macht das entspannter?
Mein Privatleben möchte ich aus der Öffentlichkeit heraushalten. Bitte haben Sie Verständnis dafür.
Okay, dann eine Lieblingsfrage: Kann man eine Frau ins Bett kochen?
Herrlich, eine der dämlichsten Fragen, ein Klassiker. Kein Gericht ist so gut, dass die Frau den Schlüpper fallen lässt. Dafür sind eher die begleitenden Weine verantwortlich.
Wenn Sie privat kochen – geht alles nach Plan, oder wird da auch mal improvisiert?
Ich lasse mich beim Einkaufen inspirieren. Gestern hatte ich Lust auf Nudelsuppe. Und ich hab mich dann hingestellt und ein Huhn in den Topf getan und eine richtige Hühnersuppe gekocht. Ich wollte das richtig haben, ich wollte mir die Geschichte anhören.
Was für eine Geschichte wollten Sie sich anhören? Die Geschichte der Hühnersuppe?
Ja, das ist das Emotionale, von dem ich immer spreche. Ich finde, es ist ästhetisch, eine Hühnersuppe zu kochen. Der Glanz, die Farben, der Geruch, das ist manchmal wichtiger als das Essen. Die Atmosphäre in der Küche. Zu sitzen, zu reden, Hühnersuppe braucht Geduld.
Obwohl Kochen Ihre Arbeit ist, empfinden Sie es immer noch als schön.
Ich mache das echt gerne. Das berührt mich. Und ich koche vor allem gerne zu Hause. Viel lieber als im Laden.
Ihr großer Traum war ein eigenes Restaurant in New York. Den Namen hatten Sie auch schon: Heimat NYC.
Ich bin da alleine rüber, die Hand voller Visitenkarten, und bin zu Fuß durch New York gelaufen, in irgendwelche Läden rein, und habe gesagt: Wenn ihr den Laden verkaufen wollt, ruft mich an. I'm a Germanchef. I want to buy a restaurant. Call me. Manche dachten, ich wäre ein Irrer, und warfen mich raus. Niemand wusste, wer ich bin. Ich war nur Tim, ein Koch aus Deutschland.
Sie beteiligten sich an einem italienischen Restaurant. Neulich erzählten Sie, Sie hätten dort angerufen, um zu hören, wie es denn so läuft. Darauf erfuhren Sie: Der Laden ist seit zwei Monaten pleite.
Ach, das war nur die fernsehtaugliche Variante für Markus Lanz. Aber es stimmt schon, dass ich jemandem Geld geliehen habe, weil der Mann und sein Konzept mich überzeugten. Und ich würde so etwas immer wieder tun. Der Mann hat sich auch nicht verpisst, ich bin keinem Hochstapler aufgesessen. Wir sind immer noch freundschaftlich verbunden. Ich scheitere auch mal. Nicht alles funktioniert. Ich lebe nach dem Motto: Wer tief fällt, ist wenigstens hoch geflogen.
Im Juli findet der G20-Gipfel in der Hamburg Messe statt. Um die Ecke liegt Ihr Restaurant "Bullerei". Würden Sie für Donald Trump kochen?
Nee, wir machen den Laden dann zu. Wir liegen in der Gefahrenzone.
Ihr Kollege Tim Raue hat für Barack Obama gekocht …
… aber mich interessiert das null. Ab und zu sind Prominente bei mir im Laden, viele Schauspieler. Ich freue mich darüber, weil das heißt, dass jemand gut über mich gesprochen hat. Und dann nehme ich mich wichtiger. So eitel bin ich.
Wie wichtig ist Ihnen Geld?
Geld war nie mein Hauptantrieb. Als ich jung war, wollte ich ein Reihenhaus in Pinneberg. Heute habe ich natürlich viel mehr. Ein großes Auto, einen super Herd, das sind Bedürfnisse, die ich mir erfülle, weil ich sie mir derzeit erfüllen kann. Aber dafür stehe ich morgens nicht auf. Ich wollte aber schon immer ein Leben führen, in dem ich selbst entscheiden kann, wie es weitergeht.
Das klingt gradlinig. Als hätten Sie Ihre Ziele früh im Blick gehabt.
Ich habe das Gefühl, dass ich mich, seitdem ich sechs, sieben Jahre alt bin, nicht verändert habe. Es gab Momente, da bin ich auf Rollschuhen sechs Kilometer zum Fußballtraining gerollt, weil ich kein Fahrrad hatte. Es hat sich nie falsch angefühlt. Ich habe nie Luxus gesucht. Außer den Luxus, die Entscheidungen selbst zu treffen.
Sie wollen die Wahl haben.
Genau. Gerade ist mein Lebensstil hoch, aber ich könnte ihn runterfahren. Ich liebe es, wenn ich Leute in teure Restaurants einladen kann. Dafür gebe ich Geld gern aus. Aber wie man für Klamotten viel Geld ausgeben kann, verstehe ich gar nicht.
Sie sind zurzeit so erfolgreich wie nie zuvor. Ihre Show wird mit Preisen ausgezeichnet und hat tolle Quoten. Sie betreiben drei Restaurants in Hamburg. Wann wissen Sie, dass Sie aufhören sollten?
Wenn ich mal ein italienisches Kochbuch machen sollte, ist das ein Zeichen zum Aufhören.
Warum?
Jeder Koch weiß: Ein italienisches Kochbuch verkauft sich wie geschnitten Brot. Aber ich komme nun mal aus Pinneberg, nicht aus Neapel. Bevor ich so was mache, sage ich hoffentlich selbst: So, das war es jetzt.
