Katastrophe in Haiti Erstes deutsches Todesopfer geborgen

Haiti kommt nicht zur Ruhe: Ein Nachbeben sorgte am Samstag für Panik, die Opferzahlen steigen weiter. Auch ein Deutscher zählt dazu, wie Außenminister Westerwelle bekannt gab.

Nach Angaben von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) befindet sich unter den Toten der Erdbebenkatastrophe in Haiti auch ein Deutscher. 30 weitere Deutsche würden vermisst, sagte Westerwelle am Samstagabend in Berlin. Es sei nicht auszuschließen, dass darunter weitere Opfer zu beklagen seien. Der Außenminister sprach angesichts der Informationen aus der Botschaft und der fürchterlichen Bilder von einer "Katastrophe biblischen Ausmaßes" und einer menschlichen "Tragödie".

Auch für die Vereinten Nationen ist das Jahrhundertbeben in Haiti die schlimmste Katastrophe ihrer Geschichte. "Was vor allem die logistischen Probleme angeht, sind wir noch nie mit einer solchen Lage konfrontiert worden", sagte Elisabeth Byrs, Sprecherin vom UN-Koordinationsbüro für humanitäre Angelegenheiten am Samstag in Genf. "Wir erfahren keinerlei Unterstützung - vor allem nicht von staatlicher Seite", sagte Byrs. Dies stelle die Hilfsorganisationen vor nie zuvor gekannte Probleme. Selbst beim Tsunami Ende 2004 in Asien mit mehr als 230 000 Toten habe es wenigstens keine solchen logistischen Probleme gegeben, sagte Byrs. "Wir können auf keine staatliche Infrastruktur zurückgreifen und fangen praktisch bei Null an." Noch immer gebe es keine verlässlichen Angaben über die Zahl der Todesopfer, berichtete die Organisation weiter. Die Identifizierung der Opfer bleibe ein großes Problem.

Am Samstag mussten die Rettungsarbeiten kurzzeitig unterbrochen werden, da die Hauptstadt Port-au-Prince von einem Nachbeben erschüttert wurde. Zahlreiche Menschen liefen in Panik aus den Häusern. Die Erdstöße in zehn Kilometer Tiefe hätten eine Stärke von 4,5 erreicht, erklärte das US-Institut für Geologie. Das Nachbeben folgte vier Tage nach dem verheerenden Erdstoß der Stärke 7,0. Rund 30 Nachbeben haben die Einwohner des Karibikstaates seitdem immer wieder in neue Panik versetzt.

Spendenkonten

Mehr als 50.000 Menschen sind bei dem schweren Erdbeben in Haiti ums Leben gekommen. Unzählige sind obdachlos, verletzt und hilfsbedürftig. Wenn Sie für die Opfer der Naturkatastrophe spenden wollen, finden Sie hier eine Liste mit Hilfsorganisationen, die vor Ort die Bedürftigen unterstützen.

Massengräber vor den Toren der Hauptstadt

Obwohl eine offizielle Opferzahl immer noch nicht vorliegt, steigen die Schätzungen immer höher. Während die Behörden zunächst von mindestens 50.000 Menschen ausgingen, kursiert in der zerstörten Hauptstadt mittlerweile die Zahl von 140.000 Toten. Allein in einem Massengrab vor den Toren der Stadt seien bereits mehrere zehntausend Menschen beerdigt. Zehntausende Haitianer wurden bei dem Beben mit der Stärke 7,0 zudem verletzt und obdachlos. Weitgehend unbekannt sind zudem die Opferzahlen und Schäden in den Regionen außerhalb der Haupstadt, die ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Die UN richteten 15 Zentren für die Auslieferung von Hilfsgütern ein. Blauhelm-Soldaten beaufsichtigten nach Auskunft der Organisation "Aktion Deutschland Hilft" die Verteilung, um Unruhen unter den Überlebenden zu verhindern.

Bundesregierung stockt Erdbebenhilfe auf

Die Bundesregierung stockt unterdessen ihre Erdbebenhilfe für Haiti um sechs Millionen auf 7,5 Millionen Euro auf. Dies gaben Westerwelle und Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) am Samstagabend nach einer Sitzung des deutschen Krisenstabes in Berlin bekannt. Zuvor hatte die Bundesregierung bereits 1,5 Millionen Euro Hilfe bewilligt.

In den 7,5 Millionen Euro sind 2,5 Millionen Euro für Nahrungsmittel vorgesehen. Nach Niebels Angaben sollen die Lebensmittel durch das Welternährungsprogramm verteilt werden. Westerwelle sagte, ein Vorausteam des Technischen Hilfswerkes bereite den Einsatz von zwei Wasseraufbereitungsanlagen vor, die 60.000 Menschen mit Trinkwasser versorgen können.

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Zugleich kümmere sich Deutschland um den Aufbau eines größeren mobilen Krankenhauses. Die deutsche Hilfe geschehe in enger Abstimmung mit den internationalen Partnern, sagte Westerwelle. Der Außenminister bedankte sich bei der deutschen Bevölkerung für die zahlreichen Spenden, auch aus der Wirtschaft komme "bemerkenswerte Hilfe". Deutsche Pharmaunternehmen wollen demnach kostenlos Medikamente zur Verfügung stellen.

Personensuche des Roten Kreuzes

Zahllose Menschen werden seit dem verheerenden Erdbeben in Haiti vermisst. Das Internationale Rote Kreuz gibt auf einer speziellen Web-Site die Möglichkeit, nach vermissten Verwandten und Freunden zu suchen.

Dort sind bisher bereits mehr als 14.000 Vermisste registriert, die Zahl der Einträge steigt weiter.

Wasser und Nahrung fehlen

Nachdem die Hilfe für die Erdbebenopfer in Haiti nur langsam anlief, haben die USA die Kontrolle über den Flughafen von Port-au-Prince übernommen und koordinieren nun die Ankunft von Maschinen mit Hilfsgütern. US-Außenministerin Hillary Clinton will sich selbst ein Bild über die Lage machen. Sie wird am Samstag in Haiti erwartet und will sich unter anderem mit dem Staatspräsidenten Réne Préval treffen. UN- Generalsekretär Ban Ki-Moon kündigte für Sonntag ebenfalls eine Reise ins Katastrophengebiet an. US-Präsident Barack Obama hatte eine massive Hilfsaktion für das Land angekündigt. Am Freitag war der US- Flugzeugträger "Carl Vinson" eingetroffen, an Bord eine Trinkwasseraufarbeitungsanlage, Hilfsgüter sowie vor allem dringend benötigte Helikopter.

Viele Bewohner der Hauptstadt campieren nach wie vor auf der Straße. Die Menschen sind traumatisiert und warten verzweifelt auf Hilfe. Nach Angaben der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" haben drei Millionen Menschen keinen Zugang zu Lebensmitteln, Wasser und sanitären Einrichtungen. Auch für die Versorgung der Verletzten fehlt es nach wie vor an allem: Schmerzmittel, Verbandsmaterial, Spritzen Handschuhe, Schutzmasken. Auch Ärzte würden gesucht.

Die Mitarbeiter von "Ärzte ohne Grenzen" meldeten noch keine Probleme wegen möglicher Gewaltausbrüche. "Die Bevölkerung ist aber noch immer sehr unruhig und es gibt viele Gerüchte über ein zweites schweres Erdbeben und einen steigenden Meeresspiegel. Es könnte eine Panik auslösen. Es gibt auch Spannungen, da es nicht ausreichend Wasser und Nahrung gibt", sagte Laurent Dedieu, Logistik-Manager für die Projekte der Organisation auf Haiti.

Inmitten der apokalyptischen Szenen gibt es aber auch Lichtblicke: Britische Rettungskräfte holten am Freitag (Ortszeit) ein zweijähriges Mädchen lebend aus den Trümmern eines eingestürzten Kindergartens. Das Kind war drei Tage lang verschüttet, wie das Ministerium für Entwicklungshilfe am Samstag in London mitteilte.

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DPA/AFP/APN