Terrorismusexperte Florian Hartleb Wie sich Teenager im Internet radikalisieren – und wie wir gegensteuern können

  • von Dr. Florian Hartleb
Ein neue Radikalität unter Teenagern breitet sich aus
Ein neue Radikalität unter Teenagern breitet sich aus (Symbolbild). "Zur Beruhigung oder Beschwichtigung besteht in der aktuellen Situation kein Anlass", meint der stern-Gastautor
© Phira Phonruewiangphing / Getty Images
Virtualisiert, radikalisiert und zum Morden bereit – der neue Teenagerterrorismus breitet sich aus. Zuletzt wurde in Hessen ein 18-jähriger mutmaßlicher Rechtsextremist festgenommen, der einen Anschlag geplant haben soll. Was tun? Terrorismusexperte Dr. Florian Hartleb zeigt im stern Lösungsansätze auf.

Dass Deutschland ein Problem in und mit der Inneren Sicherheit hat, ist offenkundig. Der Höchststand an politisch-motivierter Kriminalität, ein fataler Anstieg an Hasskriminalität im Internet sowie die Folgen der neuen Weltunordnung mit Parallelkonflikten "mitten unter uns" sprechen tagtäglich eine deutliche Sprache. Dazu kommt, dass neue Ideologien entstanden sind, die im Dunstkreis von Fake News und Verschwörungstheorien Resonanz finden. Mehr noch: Sie werden gamifiziert, die Sprache der Gewaltspiele findet sich also wieder, und mittlerweile über Künstliche Intelligenz "liebevoll-grausam" verpackt. Nicht nur wegen der Debatte um unbegleitete Flüchtlinge, die in Massen nach Deutschland kommen, stellt sich die Frage, ob die streitbare oder wehrhafte Demokratie, immerhin ein Verfassungsgrundsatz, nicht an ihre Grenzen gelangt. 

Radikalisierung übers Internet

Gerade geht es um die Radikalisierung von jungen Leuten, so genannten Teenagerterroristen. Das wissen wir spätestens seit dem 22. Juli 2016, als ein 18-jähriger Deutsch-Iraner, geboren und aufgewachsen in München, aus Rassenhass neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordete. Die über ein Jahr geplante Schreckenstat passierte am Münchener Olympiaeinkaufszentrum. Der Täter sah sich selbst mit Stolz als "Arier". Mehr noch: Er war virtuell, über die Spielplattform "Steam" vernetzt. Erst nach mehr als drei Jahren stuften Bayerns Behörden die Tat als politisch motiviert ein. Dabei wurden die verschiedenen Plattformen lange nicht als Gefahrenherd ausgemacht, der gerade Jugendliche in den Bann zieht. Nach dem Hamas-Angriff auf Israel zeigt sich eine neue Gewaltdynamik, die gerade in antisemitisch motivierten Hass mündet. Schon vorher ereigneten sich Fälle, die aus virtuellen Netzwerken wie Atomwaffen- und Feuerkriegsdivision – virtuell und international agierende Gewaltnetzwerke – hervorgehen. 

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© Dr. Florian Hartleb

Dr. Florian Hartleb ist Forschungsdirektor am Europäischen Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention (EICTP) in Wien. Er lehrt an der Katholischen Universität Eichstätt und habilitiert sich an der Universität Passau.

In dieser Woche wurde ein 18-jähriger Rechtsextremist wegen konkreter Anschlagspläne festgenommen. Ermittlungsbehörden sprechen von einer "verfestigten gewaltbereiten, antisemitischen sowie rechtsextremistischen Grundeinstellung". Seit Monaten stand der Fast-Täter im Visier der Sicherheitsbehörden. Ob daher das Lob von Hessens Innenminister Peter Beuth berechtigt ist? Er attestierte, dass hier mit Professionalität ein Anschlagsvorhaben konsequent unterbunden wurde. Zur Beruhigung oder Beschwichtigung besteht in der aktuellen Situation kein Anlass. Immer jüngere Onlinenutzer radikalisieren sich in den verschiedenen Internetforen oder Messengerdiensten und stacheln sich zu Anschlägen an. Viel passiert hier über Gewaltspiele und die dann erfolgende Vernetzung. Memes und Symbole kursieren, etwa über "die Juden". An dieser Stelle gilt es zwei negative Extreme zu vermeiden: Auf der einen Seite darf keine Stigmatisierung von Gamern vollzogen werden, die unterstellt, dass Online-Gaming bzw. Shooter-Spiele im Besonderen per se zu Radikalisierung oder Gewalt führen, denn dazu gibt es keine klaren empirischen Beweise. Auf der anderen Seite darf nicht geleugnet werden, dass Gaming ein Sozialraum ist, in dem auch Radikalisierung und Extremismus stattfinden, auch wenn die Kenntnisse darüber noch sehr lückenhaft sind. 

Nazi-Symbole: Die Codes der neuen Rechten
Das sind die Codes der neuen Rechten

Es besteht für den demokratischen Verfassungsstaat ein beträchtliches öffentliches Interesse daran, die Ausbreitung von Hetze und extremistischen Positionen auch im Gaming-Bereich einzudämmen, zumal Rückwirkungen auf die analoge Welt zu befürchten sind. Dazu gehört eine konsequente Strafverfolgung, die selbst bereits eine gewisse präventive Wirkung entfaltet, und mitunter gravierendere Straftaten wie etwa Anschläge zu verhüten helfen könnte. Durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) existiert in Deutschland eine Regulierung von größeren Online-Plattformen in Bezug auf Hasskriminalität und Extremismus. Deren schärfstes Schwert, die Meldepflicht von Straftaten an das Bundeskriminalamt (BKA), liegt nach einer Klage und einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln auf Eis und wird nicht durchgesetzt, weil europarechtliche Vorgaben nicht beachtet worden sind. 

Auf Gaming-Plattformen wird das NetzDG nicht angewendet, womit auch die Transparenz- und Löschpflichten entfallen. Ausgangspunkt für die Prävention ist ein größeres Maß an Sensibilisierung für die Problematik, sowohl im Gaming-Bereich als auch in der Gesamtgesellschaft, zu erreichen. Das von Bund und Ländern getragene Portal jugendschutz.net hat etwa einen Bericht zum Thema "Rechtsextremismus im Gaming" veröffentlicht, der einen guten Überblick sowohl für pädagogische Fachkräfte, Eltern oder auch Strafverfolgungsbehörden bietet. Der Träger "Digitale Helden" bietet Webinare zu Themen rund um Hass und Radikalisierung im Gaming an, die Aufzeichnungen werden online gestellt. In den Webinaren wird eine sogenannte toxische Gamer-Sprache (wie beispielsweise rassistische oder frauenfeindliche Aussprüche) als leichte Andockstelle für Rechtsextreme hervorgehoben.

© Hoffmann & Campe / Springer / PR

Zuletzt erschienen von Dr. Florian Hartleb:

  • Einsame Wölfe: Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter, Hoffmann & Campe: Hamburg, 2. Aufl. 2020, 256 Seiten, 18 Euro.
  • mit Marc Coester et al (Hg.): Rechter Terrorismus: international – digital – analog, Springer: Wiesbaden, 2023, 448 Seiten, 39,99 Euro.

Viel spricht also dafür, dass Online-Radikalisierung, also ein Radikalisierungsprozess, der vornehmlich in der virtuellen Welt stattfindet, viel effektiver ist als bisher, zumal, wenn es um die Adaption rechtsextremer Ideologie geht. In der Polizeiausbildung etwa wird das Thema der Onlineradikalisierung im Kontext des rechten Terrors und der sich dynamisch verändernden digitalen Plattformen einschließlich von "Steam" nur gestreift. IT-Spezialisten und Datenauswerter sind rar gesät und werden händeringend gesucht. 

Insgesamt verlangt die Prävention eine auf den ersten Blick paradox anmutende Strategie: Im virtuellen Leben ist es notwendig, die auffälligen Aggressoren sozial zu isolieren und rechtsextremistische Kommunikationsbrücken auf virtuellen Plattformen wie "Steam" zu zerschlagen. Terroristen können umso eher an ihr Ziel gelangen und Anschläge durchführen, wenn sie sich mit Gleichgesinnten austauschen können. Im analogen Leben müssen die oft sozial isolierten Menschen die Bindungen an die Gesellschaft zurückgewinnen und reintegriert werden. Die gesellschaftliche Aufgabe besteht darin, pädagogische und psychologische Angebote zu entwickeln. 

Gaming-Plattformen sind Sozialräume weitgehend ohne zivilgesellschaftliche Strukturen. Das muss allerdings nicht so bleiben. Bei der Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strategien sind hier allerdings Besonderheiten zu beachten, so etwa eine Abwehrhaltung gegen Politisierung und Moralisierung. Zivilgesellschaftliche Träger sollten daher eher in einem langfristigen Prozess versuchen, Vertrauen zu gewinnen und auf einen zu starken moralischen Zeigefinger verzichten. 

Was tun gegen Teenagerterroristen?

Darüber hinaus sollten klassische Bildungsangebote von Trägern das Thema "Gaming" starker berücksichtigen. Wenn die Gamification wirklich zu einem Massenphänomen geworden ist, muss diese auch in der Prävention einbezogen werden. Im Bereich des Unterrichtsteils über Extremismus braucht es eine Aufklärung über Memes und Symbole. Memes sind an sich Ideen, die sich analog zu Viren selbst verbreiten. Sie stiften nicht nur Identifikation, sondern auch Provokation wie Propaganda. Hier stellt sich die Herausforderung, dass die Grenzen, schlechter Scherz versus radikaler Inhalt, mitunter verschwimmen, dass auch mit Doppeldeutigkeiten gearbeitet wird. So war der "Moon Man" einst eine harmlose McDonald's-Werbung und wurde dann zum Symbol der radikalen Rechten. Der Täter von Halle, der in eine jüdische Synagoge eindringen wollte, hatte etwa einen derartigen Sticker. 

Im Bildungsbereich gilt es, die Digitalisierung weiter zu fassen als bloße technische Infrastruktur oder die Bereitstellung von Tablets. Die Vermittlung von IT-Kompetenz muss stärker in den Schulen verankert werden, angefangen mit "Roboterklassen", in denen der Schwerpunkt auf IT und Künstliche Intelligenz gelegt wird. Um in die Lebenswelt der Schüler einzudringen, braucht es ein besseres Verstehen der Online-Subkultur. Ein IT-Schülerlotse könnte auch über den Gaming-Bereich aufklären und problematische Aspekte der Gaming-Kultur aufzeigen. Gaming selbst muss im Unterricht im Zusammenhang von Medienkompetenz Thema werden. Der Teenagerterrorismus ist leider und schließlich zu einem beachtlichen und beachtenswerten Trend geworden. 

Um so mehr gilt es, mit Deradikalisierung dem Radikalisierungsprozess von Jugendlichen zu begegnen. Die Innere Sicherheit muss deshalb viel stärker als bisher eingreifen. Sonst droht eine weitere Gewaltspirale. Mitten unter uns.

wue