Leichtathletik Mihambo kehrt an Gold-Ort zurück: "Trage ich im Herzen"

Malaika Mihambo gewann Silber bei Olympia. (Archivbild) Foto: Michael Kappeler/dpa
Malaika Mihambo gewann Silber bei Olympia. (Archivbild) Foto
© Michael Kappeler/dpa
Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo freut sich auf den WM-Start. Am Ort ihres größten Triumphs will sie einen weiteren Erfolg folgen lassen. Eine bestimmte Gefahr besteht "Stand jetzt" nicht.

Die zweimalige Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo kehrt bei der WM in Tokio an den Ort zurück, an dem sie ihren größten Erfolg feiern konnte. Vier Jahre nach Olympia-Gold strebt die 31-Jährige bei den Titelkämpfen in der japanischen Metropole nach einer weiteren Top-Platzierung. "Die Erinnerungen trage ich in meinem Herzen. In der Gegenwart muss man noch mal von null anfangen", sagt Mihambo. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht der Leichtathletik-Star auch über den Zeitpunkt des Karriereendes, besondere Gänsehautmomente und das Feedback auf ihre politische Positionierung gegen die AfD.

Frage: Wie ist das WM-Jahr bislang gelaufen?

Antwort: Das WM-Jahr lief eigentlich ganz gut. Ich bin sehr zufrieden mit dem Potenzial, das in mir vorhanden ist. Allerdings habe ich das Potenzial in diesem Jahr noch nicht bei jedem Wettkampf mit einem gültigen Versuch auf die Bahn gebracht.

Frage: Mit 7,07 Metern liegen Sie dennoch auf Platz zwei der Jahresbestenliste. Insgesamt gibt es fünf Sieben-Meter-Springerinnen. Was verspricht das für die WM in Tokio?

Antwort: Das wird sicherlich, wie immer, ein sehr spannender Wettkampf. Und es bedeutet, dass ich wieder mein Bestes geben darf. Wenn mir das gelingt, bin ich sicher, dass ich damit auch erfolgreich sein werde.

Frage: Tokio ist der Ort Ihres Olympiasiegs von 2021. Ist der Ort immer noch ein besonderer?

Antwort: Ich möchte es so formulieren: Es ist weniger der Ort als die Erinnerung an die Zeit, die für immer sehr besonders bleiben wird. Aber das aktuelle Jahr ist abgekoppelt von dem, was einmal war. In der Gegenwart helfen einem die Vergangenheit und die Erinnerung sehr wenig. Wichtiger ist es, alles Gelernte aus den bisherigen Erfahrungen mitzunehmen und umzusetzen.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Frage: Haben Sie die Tagebücher, die Sie damals geschrieben haben, vor Tokio noch mal aus der Kiste rausgeholt?

Antwort: Nein, die liegen weiter in der Kiste (lacht). Wenn ein Tagebuch geschrieben ist, nehme ich es nicht mehr oft zur Hand. Die Erinnerungen trage ich in meinem Herzen. In der Gegenwart muss man noch mal von null anfangen. Die Erinnerungen an den Olympiasieg sind daher wenig hilfreich für mich. Ich visualisiere eher den zukünftigen als den vergangenen Erfolg, wenn ich an Tokio 2025 denke.

Frage: Sie haben die WM 2023 in Budapest verpasst. Wie schön ist die Rückkehr auf die WM-Bühne?

Antwort: Das Jahr 2023 ist sportlich gesehen nicht optimal gewesen, weil keiner bleibt freiwillig bei einer WM zu Hause. Aber nach dem Muskelfaserriss war das leider notwendig. Ich freue mich, jetzt wieder bei einer WM zu starten. Allerdings bin ich ja durch die Olympischen Spiele im vergangenen Jahr schon wieder auf der internationalen Bühne zurück gewesen.

Frage: Gibt es in einem Wettkampf eigentlich einen speziellen Moment, den Sie als Lieblingsmoment benennen könnten?

Antwort: Mein Sprung auf 7,30 Meter bei der WM 2019 in Doha, der den WM-Titel bedeutet hat, oder die 7,22 Meter bei der EM im vergangenen Jahr in Rom: Das sind besonders schöne Augenblicke, weil man auf der einen Seite die Sicherheit der Top-Leistung hat, auf der anderen Seite noch mal die Vorfreude auf weitere Sprünge. Es ist definitiv im Wettkampf leichter, wenn man nicht so zittern muss wie beim Zentimeter-Krimi bei Olympia 2021.

Frage: Gibt es auch besondere Dinge, die im Wettkampf die Sinne speziell berühren?

Antwort: Ich mag diese Gänsehautmomente, wenn man nicht vor Kälte, sondern wegen des ergreifenden Augenblicks Gänsehaut bekommt. Das habe ich nach meinem 7,30-Meter-Sprung bei der WM in Doha erlebt, als ich aus der Grube kam und das Ergebnis auf der Anzeigetafel gesehen habe. Und auch bei der EM 2022, als ich begleitet von der La-Ola-Welle einen Steigerungslauf im Münchner Olympiastadion zur Einstimmung auf den Wettkampf gemacht habe, habe ich dieses Gefühl intensiv erlebt. Diese Gänsehautmomente bleiben unvergesslich.

Frage: Sie sind auch dafür bekannt, dass Ihr Blick über die Weitsprunggrube hinaus geht. Wie sehen Sie japanische Kultur und Gesellschaft?

Antwort: Japan hat eine spannende Kultur und Philosophien. Intensiv habe ich mich etwa mit dem Zen-Buddhismus beschäftigt.

Frage: Was macht die japanische Kultur so spannend?

Antwort: Japaner sind auf den ersten Blick zurückhaltend und eher still. Aber wie sagt man so schön: Stille Wasser sind tief. Es ist spannend, was man für sich selbst entdecken kann. Japaner machen sich viele Gedanken über die Lebensführung wie zum Beispiel beim Ikigai, dem Folgen seiner Leidenschaft. Viele Dinge werden sehr bewusst und achtsam wahrgenommen. Das wird etwa durch Ikebana, also der Kunst des Blumenarrangierens, eine Tee-Zeremonie oder der Kalligraphie als Kunst des schönen Schreibens gelebt. Auch im Bogenschießen ist man im Hier und Jetzt. Ich finde den Zen-Buddhismus sehr interessant. Es insgesamt ist immer spannend, den eigenen Horizont zu öffnen und zu schauen, was andere Nationen machen.

Frage: Wie hat der Zen-Buddhismus ihr Leben bereichert?

Antwort: Er hat mich viel über den Umgang mit Emotionen gelehrt, sowohl mit positiven als auch mit negativen. Durch die Mediation und die Selbstreflexion kann ich ganz bei mir sein. Dank des jahrelangen Meditierens und Reflektierens kann ich sehr gut und schnell in mich reinhorchen. Das hilft mir im Wettkampf, aber auch im Alltag, weil ich dadurch gut herausfinden kann, was mir im jeweiligen Moment gerade guttut.

Frage: Wie sehr mögen Sie japanisches Essen?

Antwort: Ich mag es sehr gerne, auch wenn es für eine Vegetarierin oder Fast-Veganerin nicht so leicht ist, alles auf Anhieb zu finden. Aber ich freue mich darauf, mich auch kulinarisch auf Japan einzulassen.

Frage: Sie haben gesagt, dass Sie Ihre Karriere nicht über Olympia 2028 hinaus fortsetzen. Wie groß ist die Gefahr, dass die WM in Tokio die letzte WM von Ihnen sein könnte?

Antwort: Die Gefahr ist – Stand jetzt – nicht so hoch. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die WM 2027 in Peking meine letzte sein wird.

Frage: Bei der letzten WM ohne Sie blieb der Deutsche Leichtathletik-Verband in Budapest ohne Medaille. Wo steht die deutsche Leichtathletik zwei Jahre nach dieser Nullnummer und ein Jahr nach den Olympischen Spielen, bei denen es vier deutsche Leichtathletik-Medaillen gab?

Antwort: Das ist eine gute Frage, die andere wahrscheinlich besser beantworten können als ich. Die Olympischen Spiele in Paris haben auf jeden Fall gezeigt, dass auch andere in der Lage sind, Medaillen zu holen, und dass Potenzial vorhanden ist. Das unterstreicht sicher auch die glorreiche U23-EM, bei der Deutschland so gut wie noch nie war. Es geht immer um die Fragen, welche Stellschrauben muss man drehen, um erfolgreich zu sein, wie verteilt man Fördergelder am besten, wie kann man privatwirtschaftliche Unterstützung gewinnen. Aber es ist auch wichtig, dass über Erfolge berichtet wird, dass die Medien eben nicht nur über Fußball, sondern auch über andere Sportarten berichten. Erfolg hat viele Facetten. Wenn man sich die Entwicklung der Leichtathletik in der Schweiz, den Niederlanden oder Italien anschaut, muss man attestieren, dass dort sehr viel richtig gemacht wurde. Für Deutschland geht es weiter darum, den Anschluss an die internationale Spitze zu finden.

Frage: Wie wichtig wäre es, dass die deutsche Leichtathletik den Aufwärtstrend von den Olympischen Spielen nun mit WM-Medaillen fortsetzt?

Antwort: Letztlich sind Medaillen das, woran man gemessen wird. Aber es geht auch um die Gesamtleistung, und da muss man die stillen Erfolge ebenfalls würdigen. Wenn eine Athletin oder ein Athlet auf Rang 30 der Welt in die WM startet und dann 15. wird, ist das ein unheimlicher Erfolg. Trotzdem werden viele Menschen davon nichts mitbekommen. Aber genau diese stillen Erfolge von heute können die großen Erfolge von morgen sein.

Frage: Sie haben sich in diesem Jahr klar gegen die AfD positioniert. Warum war es Ihnen wichtig, öffentlich Stellung zu beziehen?

Antwort: Es geht nicht darum, sich gegen bestimmte Menschen zu positionieren, sondern es geht darum, dass wir uns auf demokratische Werte zurückbesinnen. Dass Prinzipien wie Demokratie, Menschenwürde, Menschlichkeit und Frieden die Grundlage sind. Das ist mir einfach ein Anliegen, das ich immer und immer wieder hervorheben möchte.

Frage: Wie war das Feedback auf Ihre Aussage?

Antwort: Das Feedback war von sehr vielen Menschen sehr positiv. Es wurde von ihnen als starkes und wichtiges Zeichen gewertet, weil sich nicht viele Sportler öffentlich positioniert haben. Aber es gab auch Menschen, die meine Besorgnis nicht nachvollziehen konnten. Ein AfD-Mitglied hat mir auch freundlich geschrieben, dass er meine Meinung nicht verstehen könne. Egal, wie das Feedback ist: Es ist wichtig, dass man sich äußert und Menschen wieder zum Nachdenken bringt. Alle müssen respektvoll miteinander umgehen, und nur so werden wir eine gemeinsame Basis finden. Ansichten dürfen nicht von Emotionen, von Angst oder Hass, Selbstüberhebung oder Abwertung des anderen geleitet werden. Aber das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die man sicher nicht mit ein paar Interviews verändern kann. Aber man kann zum Reflektieren anregen.

Zur Person: Malaika Mihambo (31) ist Olympiasiegerin und zweimalige Weltmeisterin im Weitsprung. Die dreimalige "Sportlerin des Jahres" hofft auf ihren ersten internationalen Titel in der Halle. Im vergangenen Jahr gewann sie bei Olympia trotz der Schwächung durch eine Corona-Infektion Silber.

 

dpa