Die Videos sind oft mit schön klingenden Gesängen in arabischer Sprache unterlegt, doch der Inhalt ist brutal und menschenverachtend: Mit einer koordinierten Aktion sind die Strafverfolgungsbehörden an einem Tag in zwölf Bundesländern gegen die Verbreitung islamistischer Propaganda im Internet vorgegangen. Bei den Beschuldigten handelt es sich laut Bundeskriminalamt (BKA) vor allem um Jugendliche und Heranwachsende, die "relevante Adressaten und Verbreiter islamistischer Propaganda im Internet sind".
Mehr als 50 Durchsuchungsbeschlüsse sind umgesetzt und zahlreiche Beschuldigte vernommen worden, wie das BKA mitteilte. Auch in Österreich und der Schweiz habe es entsprechende Maßnahmen gegeben.
Religiöse Gesänge als Propagandawerkzeug
Dschihadistische Propaganda wird nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden aktuell insbesondere über Tiktok und Instagram verbreitet, aber auch über Rocket.Chat, Telegram sowie über spezielle Websites.
Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von islamistischen Inhalten, die Gewalt verherrlichen, spielen den Angaben zufolge sogenannte Nasheeds. Das sind religiöse Gesänge, die der Lobpreisung Gottes, des Propheten des Islam, Mohammed, sowie der Vermittlung islamischer Werte dienen. Im dschihadistischen Kontext werden sie in der Form von Kampfliedern als Propagandainstrument eingesetzt, um Angst zu schüren und neue Kämpfer beziehungsweise Terroristen zu rekrutieren.
Die meisten Videos stammen vom IS
Die meisten Videos, die mit dschihadistischen Nasheeds unterlegt sind und von jungen Menschen in Deutschland verbreitet werden, werden der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zugerechnet. Einige dieser Videos zeigen Gewaltszenen, etwa Hinrichtungen. Die Gesänge sind in der Regel auf Arabisch.
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Die Aktion der Polizei fand den Angaben zufolge mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt, Saarland, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern in allen Bundesländern statt. Ausgangspunkt dafür waren Erkenntnisse des BKA und des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Beide Behörden suchen im Gemeinsamen Internetzentrum anlassunabhängig nach radikal-islamischen und islamistischen Beiträgen im Internet.
Verdächtiger ist erst 14 Jahre alt
In den frühen Morgenstunden durchsuchten Polizeikräfte in Baden-Württemberg Wohnungen von zwei jungen Männern und einem 14-Jährigen. Sie stehen im Verdacht, im Internet Beiträge mit mutmaßlich radikal-islamistischer Propaganda veröffentlicht zu haben, wie das Landeskriminalamt in Stuttgart mitteilte.
Handys mitgenommen
Bei den 22 und 26 Jahre alten Tatverdächtigen mit deutscher und syrischer Staatsangehörigkeit wurden demnach bei Durchsuchungen im Zuständigkeitsbereich der Polizei Freiburg Mobiltelefone sowie weitere elektronische Speichermedien sichergestellt. Im Bereich des Polizeipräsidiums Ludwigsburg war ein 14-jähriger Syrer betroffen. Auch bei ihm wurden elektronische Geräte beschlagnahmt. Diese werden jetzt ausgewertet.
Nordrhein-Westfalens Innenminister, Herbert Reul (CDU), sagte: "Leuten, die im Netz mit Hass und Hetze auf Dauersendung sind, stehen wir auf den Füßen." Deshalb habe die Polizei in NRW am frühen Morgen "an vier Haustüren geklopft und durchsucht".
In Berlin wurden am frühen Morgen 17 Wohnungen durchsucht, wie die Polizei mitteilte. In Brandenburg gab es drei Durchsuchungen. Beschlagnahmt wurden Handys, Laptops, Notebooks, Kameras und Speicherkarten.
Manche Propagandagesänge sind regelrechte Hits
Auch bei Fällen in Berlin geht es um Verbreitung von Nasheeds, die viele Jugendliche aus dem Internet kennen, teilte die Polizei mit. "Viele Clips wirken harmlos – ruhige Musik, schöne Vibes, kurze Botschaften. Manche Versionen werden online missbraucht, um versteckte strafbare oder extremistische Botschaften oder strafrechtlich relevante Propaganda zu verbreiten", hieß es von der Polizei. "Ein Lied wirkt dann wie ein normaler Trend – hat aber in Wirklichkeit eine völlig andere Bedeutung."
Festnahme wegen eines anderen Deliktes
Unter den Verdächtigen in Berlin seien viele Menschen, die bereits mit ähnlichen Taten aufgefallen seien, sagte ein Polizeisprecher. Ein Mann wurde festgenommen, weil gegen ihn ein Haftbefehl wegen eines anderen Deliktes vorlag. Die Verdächtigen seien sowohl Jugendliche als auch Erwachsene aus vielen verschiedenen Stadtteilen, sowohl Ausländer als auch Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund, auch Frauen seien darunter. Den Angaben zufolge waren in der Hauptstadt 220 Polizisten im Einsatz.
In Sachsen seien Wohnungen in Freital, Dresden, Grimma und Taucha bei Leipzig durchsucht worden, teilte die Generalstaatsanwaltschaft Dresden mit. Vier Beschuldigten werde vorgeworfen, mehrfach Loblieder auf den IS geteilt zu haben. Bei den Verdächtigen handele es sich um einen 16-jährigen Deutschen, einen 19- sowie eine 20-Jährige mit russischer Abstammung sowie einen 21-jährigen Syrer.