Was wäre, wenn ... Das Beste zum Schluss?

In Hollywood ist der Tod ein Abenteuer, und vor dem Sterben geht es noch mal richtig rund - wie im Film "Das Beste kommt zum Schluss". Wie aber reagieren reale Menschen, wenn sie erfahren, dass sie bald sterben? Der stern sprach mit Todkranken und fragte Gesunde: Was wäre, wenn?

Sabine Petersen (Name geändert) starb binnen vier Tagen zweimal. Der erste Tod war wunderschön, er war warm und hell und Erlösung von den furchtbaren Schmerzen, die sich anfühlten, "als würde mein Schädel gespalten, immer wieder, immer wieder". Etwas blitzte in ihrem Kopf, das hat sie in Erinnerung, und sie sah die Ärztin, wie die ihr Gesicht streichelte, und aus dem Gesicht der Ärztin wurde das ihrer Mutter, selig, verstorben vor mehr als 20 Jahren, und es wurde hell und leicht, "und wenn ich davon erzähle, dann sehne ich mich danach zurück, zurück zum schönsten Moment meines Lebens, dem Tod".

Sabine Petersen, 34, hatte einen Schlaganfall erlitten; eine benachbarte Freundin, alarmiert von Sabines Sohn, fuhr sie in die Arztpraxis, wo sie allergisch auf das Schmerzmittel Novalgin reagierte, "Atem, Puls, alles weg". Sie hörte die Ärztin sagen, "wir schaffen das, wir kriegen das hin", aber sie wollte zunächst bleiben, in dieser schmerzlosen Welt aus Licht und totaler Entspanntheit, "ich habe gehadert und gezögert", und sie ist bis heute überzeugt, dass es ihr eigener, unterbewusster Entschluss war, zurückzukehren auf diese Seite, denn dort war der Sohn, damals neun, und es waren Dinge unerledigt geblieben. Also kam sie zurück auf die Seite der Schmerzen, der Apparate, der Ärzte.

Petersen wurde ins Krankenhaus verbracht, es war ein Donnerstag. Sie wurde in Röhren geschoben und geröntgt. Sie entsinnt sich an die Computertomografien und wie einmal mehrere Ärzte auf den Schirm starrten und sie mühsam sagte: "Ich will das auch sehen." Ein Mediziner zeigte ihr zögerlich das Bild, und selbst sie, medizinischer Laie, sah, dass etwas nicht stimmte in ihrem Kopf. Beide Halsschlagadern verstopft, sie erkannte ein Gerinnsel, Blut trat aus, ihr Puls war schwach, auf der Brust hämmerte der Schmerz.

"Man plant und hakt ab"

Montags, vier Tage nach dem ersten Tod, starb Sabine Petersen zum zweiten Mal. Dieser Tod war nüchtern, kalt und präzise. Er nahm die Gestalt des Oberarztes an, der sprach: "Sie haben wahrscheinlich nur noch zwei Tage zu leben." Sie war selbst erstaunt, wie gelassen und ruhig sie reagierte auf diese Diagnose, "in dieser Stunde plant man und hakt ab, Punkt für Punkt".

Punkt eins: "Meinem Vater werde ich niemals verzeihen."
Punkt zwei: "Meine Freunde bekommen das Sorgerecht für meinen Sohn."
Punkt drei: "Ich muss im Büro anrufen, da liegt noch Papierkram, und der muss gemacht werden."

Danach nahm sie Abschied vom Sohn und wartete auf den angekündigten Tod. Sie wartete am Dienstag und am Mittwoch, aber der Tod kam nicht. Er kam nicht eine Woche später, er kam nicht einen Monat später, er kam nicht ein Jahr später, und die Ärzte wunderten sich.

Den Tod achten

Gut zwei Jahre nach dem Schlaganfall sitzt die Volkswirtin Sabine Petersen in einem kleinen Restaurant in Hannover, bestellt einen Salat mit Folienkartoffel und erzählt: "Ich lebe heute bewusster, ich lasse nichts mehr unerledigt, ich bin ein rundum glücklicher Mensch." Petersen hat sich einen Traum erfüllt und ein tausend Seiten dickes Fantasy-Buch geschrieben. Sie will dem Sohn die Berge zeigen und die See und einmal den Eiffelturm, "noch so ein Traum von uns", denn sie weiß nie, ob das inzwischen zwar vernarbte Bindegewebe in den Halsschlagadern nicht doch nachgeben wird.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Aber falls das passiert, hätte sie keine Angst, weil sie den Tod zu achten gelernt hat und sich gelegentlich sogar verzehrt nach diesem Moment des vollkommenen Glücks, obschon sie kein sonderlich religiöser oder spiritueller Typ ist. "Sterben", sagt sie, "sterben ist geil, es ist unfassbar schön." Sie weiß, wie merkwürdig das klingt, "aber für mich ist es die Wahrheit". Sie hat natürlich gelesen über die Biochemie des Todes, die Endorphin-Ausschüttung ganz zum Schluss. Aber die Rationalität greift hier nicht, "da ist mehr". Das hat sie auch immer wieder ihrem Sohn erklärt, "keine Angst", auf dass er gewappnet ist für den unausweichlichen Moment, früher oder später.

Das Einzige, was im Leben feststeht, ist der Tod. Die Diagnose Tod beginnt mit dem ersten Schrei. Man kann das Sterben ziselieren, es verwissenschaftlichen, das bevorstehende Ende in die berühmten fünf Phasen einteilen: nicht wahrhaben wollen, Zorn, verhandeln, Depression, Akzeptanz. Man kann ihn medizinisch- kühl als das "Erlöschen der Lebensäußerungen des Organismus" definieren. Und einmal erloschen, wird's in Deutschland gleich bürokratisch und ungewollt komisch, denn: "Mit dem Tod endet die Rechtsfähigkeit des Menschen." Das ist nicht Loriot, das ist Zivilrecht.

Man kann das Sterben umschreiben und verniedlichen, verharmlosen und damit eben auch tabuisieren. In kaum einer anderen Sprache existieren dafür ähnlich viele Synonyme wie im Deutschen: einschlafen, entschlummern, ableben, die Augen zumachen, heimgehen, dahinscheiden, das Dasein vollenden, in die Grube fahren, zu Staub werden, das Zeitliche segnen, von hinnen gehen, ins Gras beißen, erlöschen, verbleichen, hinübergleiten oder schlicht gehen. Am Ende läuft alles auf dasselbe hinaus.

Was ist der Sinn des Lebens?

Man kann dem Tod das Grauen nehmen wie im lustvollen Barockzeitalter, als die Menschen über den Tod scherzten, ohne ihn ins Lächerliche zu ziehen. Man kann sich schließlich mit dem Tod spielerisch auseinandersetzen - wie im aktuellen Kinofilm "Das Beste kommt zum Schluss" mit Jack Nicholson und Morgan Freeman, einer Klamotte des Inhalts, dass zwei krebskranke Alte auf den letzten Metern noch mal Gas geben: Die beiden Todgeweihten holen nach, was sie vor der Diagnose verpasst haben. Sie leben. Sie reisen, gehen auf Safari, flirten, versöhnen und zuletzt - Friede ihrer Asche - enden die beiden auf dem Gipfel des Mount Everest.

Der Film ist zwar eine Kitsch-Postkarte. Aber immerhin stellt er die Mutter aller Fragen: Was ist der Sinn des Lebens? Oder: Was wäre, wenn morgen alles vorbei wäre? Was macht der Mensch aus seiner Zeit, wenn das Ende naht. Die große Sause zum großen Finale gibt's wirklich nur in Hollywood. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag des stern ergab, dass 57 Prozent der Deutschen "so weiterleben würden wie bisher", falls sie noch ein Jahr zu leben hätten.

Das deckt sich mit den Erfahrungen von Humanmedizinern und Sterbeforschern wie Professor Christoph Student, der seit Jahrzehnten die Schlusskurve des Lebens untersucht. "Am Ende", sagt er, "werden die kleinen Wünsche ganz wichtig. Noch einmal die geliebte Suppe der Mutter löffeln, noch einmal kochen, noch einmal ein Schaumbad nehmen mit Sekt und Kaviar und einer Zigarette."

Das "Beste kommt zum Schluss" ist vielmehr die Konzentration aufs Wesentliche, auf Freunde, Familie. Die Wunschliste ist kleiner, weniger spektakulär als im Film, aber so individuell wie der Tod selbst. Also begeben wir uns auf eine kleine Expedition, um Menschen zu treffen, alte wie junge, die mit dem Tod konfrontiert wurden oder, umgekehrt: den Tod konfrontieren. Die sich letzte Wünsche erfüllten, kleine wie große.

170 Tage Wanderschaft

Zu Beginn dieser Reise treffen wir Kurt Peipe, 65 Jahre, Gärtnermeister aus dem schwäbischen Hessigheim. Er erkrankte vor vier Jahren an Dickdarmkrebs, und nach seiner letzten Operation standen die Ärzte um sein Bett, und der Oberarzt sagte: "Es tut uns leid, Sie haben Metastasen im Bauchraum, wir können nichts mehr für Sie tun. Wenn die Schmerzen kommen, sind wir für Sie da." Austherapiert heißt das im Fachjargon. Es ist ein schöneres Wort für unheilbar oder final oder tot.

Drei Wochen später begab sich Peipe auf den Trip seines Lebens - eine Wanderung von der deutsch-dänischen Grenze bis nach Rom, 3350 Kilometer, Europäischer Fernwanderweg E1. Peipe zog sich zunächst eigenhändig die Klammern aus der Narbe am Bauch, "die sah aus wie ein Reißverschluss", sein Hausarzt reagierte vergrätzt, "in einem halben Jahr komme ich vorbei und stelle den Totenschein aus", und auch seine Frau Sigrid war anfangs wenig begeistert. Aber Kurt Peipe marschierte los mit Rucksack, Schlafsack, Zelt. Jetzt sitzt er in seinem Wohnzimmer, Typ Eiche furniert, und berichtet mit ruhiger Stimme von seiner spirituellen Erfahrung während der 170 Tage Wanderschaft. "Im Schwarzwald bin ich fast ersoffen, am Bodensee bekam ich Nesselsucht, in Italien litt ich unter der Hitze, 44 Grad in der Po-Ebene." Er schlief in Schaf- und Pferdeställen, in Garagen und Schuppen. Ein Mann auf einem Segelflugplatz lud ihn zum Rundflug ein, Hoteliers und Gastwirte kredenzten Essen, in Assisi traf Peipe in einem Gasthof eine Gruppe Italiener, "einer fing spontan an zu singen, und daraus wurde ein italienischer Liederabend, wunderschön, alle sangen, und zum Schluss haben wir uns umarmt". Eigentlich wollte Kurt Peipe sich selbst finden, "aber was ich fand, war das Vertrauen in die Menschen. Ich habe in diesem halben Jahr mehr über die Menschen gelernt als in meinen ganzen Leben zuvor. Die Menschen sind besser als ihr Ruf ".

Er macht eine Pause; draußen im Garten pflückt seine Frau Sigrid Feldsalat. Kurt Peipe, carpe diem, pflückt den Tag. Seine Blutwerte haben sich erheblich verbessert, "aber ich bin nicht so naiv zu glauben, dass ich gesund werde". Zuweilen fragt er sich, warum er noch lebt und "ob da noch was kommt". Dann sagt er: "Ich sehe nichts Negatives an dieser Zeit, seit ich weiß, dass mein Leben nicht mehr lange dauert. Und ich kann jedem in dieser Situation nur raten: Mache, was dir Erfüllung bringt, selbst wenn es noch so verrückt ist."

"Wer gesund stirbt, ist definitiv tot"

Was heißt schon verrückt im Angesicht des Todes? Jenny Jansen ist 54 Jahre alt und Wirtin. Vor Jahren hatten die Ärzte bei ihr eine falsche Krebsdiagnose gestellt. Sie hat sich seither viel beschäftigt mit dem Abschied. Heute, gesund und froh darüber, sagt sie: "Das Beste zum Schluss wäre so eine richtig schöne Liebesnacht in superschöner Atmosphäre, auf einer Segelyacht vielleicht oder am Strand, mit Champagner. Vielleicht sogar mit einem Partner, den ich gerade erst kennengelernt hätte. Und dann hinübergleiten in die Ewigkeit."

Verrückt? Manfred Lütz, Theologe, Psychotherapeut und Autor des Bestsellers "Gott - Eine kleine Geschichte des Größten", kann nichts Verrücktes daran finden, das Leben so lange auszukosten, wie es irgend geht. Im Gegenteil. "Verrückt sind die, die nur vorbeugend leben, um dann gesund zu sterben. Denn auch wer gesund stirbt, ist definitiv tot." In der real existierenden Gesundheitsgesellschaft sei der Tod tabu und gelte als der große Spielverderber. "Man versucht, ihm mit Turnschuhen davonzulaufen, ihn hinauszuzögern oder am besten ganz zu verhindern. Um den Tod zu vermeiden, nimmt man sich das Leben. Und am Ende steht auf dem Grabstein: Er lebte still und unscheinbar und starb, weil es so üblich war." Lütz, ein Rheinländer, plädiert für ein bewusstes Leben vor dem Tod. "Der Mensch des Mittelalters", sagt er, "lebte, psychologisch betrachtet, erheblich länger als wir. Er lebte das diesseitige Leben plus ewiges Leben. Die gingen im Zeitalter des allgegenwärtigen Sterbens gelassener mit dem Tod und lustvoller mit dem Leben um." Aus dieser Epoche stammen die Begriffe "Gevatter" oder "Freund Hein" oder "Bruder", wie Franz von Assisi den Tod in seinem "Sonnengesang" nannte. Heute ist der Tod der Feind. "Wir werden geboren und verdrängen", sagt der Forscher Christoph Student. "Die Angst vor dem Tod gehört zum Menschsein. Sie ist unabdingbar. Denn im Gegensatz zum Tier ist der Mensch in der Lage, den Tod vorherzudenken, und das tun wir auch. Wenn dieses Denken mit dem angeborenen Überlebenswillen aufeinanderprallt, entsteht Angst. Was sich aber verändern lässt, ist der Umgang mit der Angst."

Schreckliche Diagnose

Chiara Toscano, neun Jahre, hat keine Angst. Sie spricht über Leukozyten und Chemotherapie und Hämoglobinwerte wie andere Kinder in ihrem Alter über Harry Potter und Polly Pocket. Chiara kennt sich damit aus nach langen Monaten auf der Kinderkrebsstation im Olgahospital in Stuttgart. Im Oktober 2006 hatten Ärzte einen Hirntumor bei ihr entdeckt und sofort operiert. Sie holten einen seltenen, bösartigen und aggressiv wachsenden Tumor aus ihrem Schädel. Weniger als zehn Kinder im Jahr bekommen in Deutschland diese schreckliche Diagnose, und nur sehr wenige mit diesem Befund haben lange überlebt.

Chiara sitzt in ihrem "Alles in Pink"- Kinderzimmer und erzählt. "Ich wollte so gerne meine langen Haare behalten, aber die sind mir dann schon bei der ersten Chemotherapie ausgefallen. Inzwischen hatte ich elf Chemotherapien. Im vergangenen Jahr waren meine Mama und ich die meiste Zeit auf der Kinderkrebsstation. Das war schwer auszuhalten." Sie sprach mit anderen Kindern auf der Station über Rückfälle, über Infusionen, und manchmal starben ihre Freunde, und sie musste weinen. Es war ihre erste Erfahrung mit dem Tod.

"Ich schaffe das"

Chiara, Tochter einer Eritreerin und eines Italieners, lebt mit ihren Eltern und der zwei Jahre älteren Schwester in Remshalden bei Stuttgart in einer kleinen Wohnung am Rande eines Industriegebiets. Der Vater ist Maler, die Mutter Bürokauffrau, sie kommen über die Runden. Sie ist ein starkes Mädchen mit dunklen, schönen Augen. Ihre Mutter Saba sagt auffällig oft: "Sie hat uns Mut gemacht." Chiara tröstete ihren Vater Francesco, als der vor der Operation zu weinen begann, "ich schaffe das". Sie haben nie über den Tod gesprochen in der Familie, mehr über die Hoffnung, denn der Tumor ist geschrumpft. Ihr größter Wunsch ist, dass der Krebs nicht mehr wächst. "Dass ich irgendwann alles geschafft habe, was ich schaffen muss."

Zuweilen wirken unsere Wünsche im Hier und Jetzt und vor dem Tod wie der pure Anachronismus: Wir wünschen uns, mehrheitlich jedenfalls, einen schnellen, möglichst schmerzlosen Tod. Und wollen dann doch am liebsten ausreichend Zeit, um in Ruhe und Würde Abschied zu nehmen von Freunden und Familie (41 Prozent der Deutschen, siehe Umfrage). Denn der Tod mag zwar nach außen hin tabuisiert werden, nach innen wird er es nicht. Daran denken, das tut beinahe jeder hin und wieder, darüber zu sprechen fällt dagegen schwer. Aber mitunter hat ein Tabubruch nach außen etwas extrem Erfrischendes. Der Amerikaner Randy Pausch, 47, Professor für Computerwissenschaften, entzauberte seinen Tod, er machte eine Show daraus. Bei Pausch wurde Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert. Überlebenschance: null. Am 18. September hielt er im vollbesetzten Hörsaal der Carnegie Mellon University in Pittsburgh seine "last lecture", seine letzte Vorlesung. Es war sein Spiel mit dem Tod, eine hoch amüsante Bilanz seines Lebens, seiner Kindheitsträume, seiner Karriere. "Wenn ich nicht so deprimiert oder missmutig erscheine, wie ich sollte, tut es mir leid, Sie zu enttäuschen", sagte er gleich zu Anfang. Pausch machte Witze, er lachte, seine Zuhörer lachten. Er machte Liegestütze auf der Bühne und sah blendend aus, gesund, vital, während in seinem Körper der Krieg der Zellen tobte. Der Professor mochte nicht über seine Krankheit reden, "und wir werden auch nicht über Spiritualität reden, obwohl ich Ihnen erzählen muss, dass ich eine Bekehrung auf dem Totenbett hatte". Kurze, dramatische Pause, dann: "Ich habe mir gerade einen Macintosh gekauft."

Wie soll man leben?

Fast eineinhalb Stunden lang ging das so, unterbrochen nur vom Applaus und vom Gelächter. Randy Pausch schloss mit ein paar philosophischen Gedanken. "Es ging mir heute nicht darum, wie man seine Träume verwirklicht. Es ging darum, wie man sein Leben leben soll. Wenn du dein Leben auf die richtige Weise lebst, dann nimmt das Schicksal sich selbst in die Hand. Die Träume kommen zu dir."

Randy Pauschs launige Vorlesung wurde in kürzester Zeit berühmt, sie kursierte pronto auf Youtube, "ABC World News" kürte ihn zur Person der Woche, er trat in der "Oprah Winfrey Show" auf. Pausch machte Millionen von Amerikanern Mut, indem er den Tod entmystifizierte, ihm den Schrecken nahm, wenigstens für eineinhalb Stunden. Da stand einer auf der Bühne, mit sich und der Welt im Reinen, bereit zu sterben. Und - er lebt bis heute.

Die Reise zu den Todgeweihten endet in Hamburg-St. Pauli im Leuchtfeuer Hospiz. Es ist ein helles Haus in St. Pauli, zwei Gehminuten von der Reeperbahn entfernt. Wer in dieses Hospiz kommt, hat im Schnitt noch vier Wochen zu leben. Die Betonung liegt auf leben. Die Sterbenskranken heißen dort Bewohner und nicht Patienten. Sie essen zusammen, so das noch geht, sie lachen zusammen, sie leben zusammen. Die Hospizbewegung ist eine Antwort auf die moderne Apparatemedizin, die Leben verlängern mag, es aber dadurch nicht zwangsläufig lebenswert macht. Susanne Fischer arbeitet als Sozialpädagogin seit zwei Jahren im hellen Haus mit den elf Zimmern, alle Richtung Süden. Sie begleitet die Bewohner auf den letzten Metern. Fischer hat viele Menschen kommen sehen - und gehen. Wenn gestorben wird im Hospiz, sind die Bewohner eingeladen, gemeinsam Abschied zu nehmen, im Foyer brennt dann eine Kerze. Susanne Fischer sagt, dass sie einen erfüllten Beruf hat.

Letzte Wünsche

Sie erzählt von den Bewohnern und deren letzten Wünschen; von dem Mann, der vor Jahrzehnten aus Griechenland vor den Obristen floh, seine Familie zurückließ und nur noch einmal seine Tochter sehen wollte. Sie kam dann tatsächlich und verzieh ihm, und tags darauf starb ihr Vater. Susanne Fischer erzählt von dem Mann im Rollstuhl, der noch einmal gehen wollte, von der gut situierten Hamburgerin, die sich einen Ballonflug über ihre geliebte Stadt wünschte, den aber nicht mehr erlebte. Von der jungen Frau, Mitte 30, die Abschiedskisten packte für ihre Liebsten mit Tagebuchnotizen, T-Shirts, Parfüm und besprochenen Tonbändern. Es sind kleine Dinge, denn für große Sprünge sind die Bewohner zu schwach. "Manchmal", sagt Susanne Fischer, "ist das Leben hier wie in einem Schnulzenroman." Vor zwei Jahren feierten sie sogar eine Hochzeit im hellen Haus. Natürlich erlebt sie auch die Ängste, "ein Bewohner glaubte, dass der Tod an die Tür klopfte, und er warf Waschlappen nach ihm". Und schließlich spricht sie vom Lichtblick im Hospiz. Von Huda Al-Hilali, geboren im Irak, seit 30 Jahren in Deutschland, seit September im Haus. Huda hat einen Hirntumor, aber sie will nicht sterben, und als einmal das Thema auf den Tod kam, sagte sie nur: "Dann bin ich hier ein falscher Fünfziger, ich komme hier wieder raus." Der Tumor ging tatsächlich zurück, die Ärzte können sich keinen richtigen Reim darauf machen. Huda unterhält das Hospiz am Kiez, denn sie ist eine Geschichtenerzählerin und hat ein Buch geschrieben, "Von Bagdad nach Basra", und plant ein weiteres. Und Vorlesungen und Veranstaltungen und ein Einpersonenstück. Sie trägt ein schwarzes Kopftuch über dem geschorenen Haar. "Komm, lass uns zusammen leben, ich will nicht gegen dich kämpfen", sprach sie zum Krebs in ihrem Kopf. "Im Irak haben wir ein anderes Verhältnis zum Tod. Es ist offener, nicht so ernst. Als mein Onkel im Sterben lag, sagte ich zu meiner Freundin, komm, lass uns gucken gehen."

Huda glaubt, sie sei noch nicht fertig hier. Zum Abschied sagt sie: "Komm mich wieder besuchen. Ich habe noch viel zu erzählen." Ihr größter Wunsch ist leben, und diesen Wunsch lebt sie.

Manfred Lütz, der Theologe, sieht im Sterben und Tod die Würze des Lebens. Für Platon war endloses Leben die Hölle, und auch Lütz würde es davor grauen, "es wäre nichts als die absolute Langeweile". Er sagt: "Das ewige Leben ist etwas anderes - es sprengt die Zeit wie eine Mozart-Symphonie." Gelegentlich hält er Vorträge vor Studenten und Managern: "Wenn ich jetzt jedem von Ihnen das genaue Datum seines Todes sagen könnte, werden Sie gewiss schon morgen bewusster leben, denn jeder Tag ist unwiederholbar. Also fangen Sie an." Lütz selbst, der Katholik, hält es mit dem Reformator Martin Luther. "Wenn morgen die Welt unterginge", sagt er, "so würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen."

Nicolas Büchse, Rupp Doinet, Ingrid Eissele, Gerd Elendt, Alexandra Kraft, Dieter Krause, Anette Lache, Mario Pelizzioli, Mathias Rittgerott, Tobias Schmitz

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