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Der Ehec-Erreger Porträt eines Keimes

Die Deutschen lernen ein neues Kürzel kennen: Ehec. Für Experten ist der Keim, der sich gerade rasch verbreitet, kein Unbekannter - es spricht aber viel dafür, dass er sich verändert hat.
Von Lea Wolz

Ehec - das Kürzel dürfte mittlerweile jedem bekannt sein. Seit einigen Tagen stecken sich immer mehr Menschen in Deutschland mit dem gefährlichen Darmbakterium Enterohämorrhagische Escherichia coli an. Drei Frauen starben vermutlich im Zusammenhang mit Ehec-Infektionen. Doch was ist eigentlich über den Erreger bekannt, der Deutschland in Angst versetzt?

Der Keim ist nicht neu. Zum ersten Mal wurde er wissenschaftlich in den 70er Jahren beschrieben. In den frühen 90er Jahren geriet der Erreger in Amerika in die Schlagzeilen, als dort nach dem Verzehr halbroher Hamburger hunderte von Menschen erkrankten. Auch in Deutschland kam es immer wieder zu Ausbrüchen - vor allem in ländlichen Gebieten mit vielen Nutztieren.

Doch was die Wissenschaftler bis jetzt über den Täter wissen, deutet darauf hin, dass er sich diesmal verändert hat. Vor allem Erwachsene trifft die aktuelle Seuche - und dies zumeist schwer. Viele Kranke werden auf Intensivstationen behandelt, einige ringen mit dem Tod. Eine Frau starb bereits an den Folgen der Infektion mit dem Bakterium, zwei weitere Todesfälle werden damit in Verbindung gebracht. "Mit Todesfällen war allerdings zu rechnen", sagt der Mikrobiologe Lothar Beutin, der das Nationale Referenzlabor für Escherichia coli am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) leitet. "Bei großen Ehec-Ausbrüchen sterben immer Menschen."

Beispiel Japan: Dort seien 1996 um die 10.000 Menschen an Ehec erkrankt, drei starben, erinnert sich Beutin. Verunreinigte Rettichsprossen waren damals die Quelle des Übels. Doch diese Zahl an Toten wäre, wenn sich die Vermutungen bestätigen, in Deutschland bereits erreicht.

Handelt es sich also diesmal um eine besonders aggressive Form des Erregers? "Die häufig schweren Verläufe deuten darauf hin", sagt Beutin. "Ehec kann mutieren und so mehr Virulenz ansammeln. Es könnte sich also um eine neue Variante handeln, die infektiöser ist." Eine andere Möglichkeit: Die Patienten haben große Mengen des Erregers abbekommen.

Aggressive Variante

Der übliche Keim, der bei den meisten Ehec-Ausbrüchen auftritt, ist diesmal jedenfalls wohl nicht für die Seuche verantwortlich. Die jetzt in Deutschland auftretenden Ehec-Erreger verfügen über ein "neuartiges biochemisches Profil", sagt Werner Solbach, Leiter der Mikrobiologie am Institut für Infektionsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Untersuchungen zufolge ist der Stamm auch gegen Antibiotika resistent. Allerdings ist das nicht besonders beunruhigend, da Ehec-Infektionen ohnehin nicht mit Antibiotika behandelt werden sollen.

Auch in einem ganz normalen Jahr erkranken in Deutschland um die 1000 Menschen an Ehec. Die Keime sind eine Unterart der nützlichen Kolibakterien, die Teile des menschlichen Darms besiedeln. Die meisten dieser Varianten sind harmlos, doch es gibt auch einige gefährliche, die sogar lebensbedrohliche Krankheiten auslösen können. Dazu zählt auch der aggressive Darmkeim Ehec.

Natürlicherweise kommt der Erreger im Darm von Wiederkäuern vor - Rindern, Schafen und Ziegen zum Beispiel. Diese erkranken zwar nicht, verbreiten das gefährliche Bakterium aber durch ihren Kot weiter. Wer mit den Fäkalien in Berührung kommt, kann sich den Erreger einfangen. Auch verunreinigte Lebensmittel sind eine Infektionsquelle.

Die Weltgesundheitsorganisation stuft Ehec als gefährlichen Keim ein. Zum einen ist er hochansteckend. "Zehn bis hundert dieser Organismen reichen aus, um einen Menschen zu infizieren", sagt Beutin. Zum Vergleich: Bei Salmonellen braucht es mehrere Tausend. Zum anderen bleibt der Keim lange in der Umwelt: Über viele Wochen können die Mikroben im Boden und im Wasser überleben.

Profil des Übeltäters wird noch erstellt

Im menschlichen Körper heftet sich der Erreger an die Zellen der Darmwand und verhindert dort die Eiweißproduktion - was die Zelle schnell absterben lässt. Zudem bildet der Keim starke Zellgifte, die ins Blut übergehen können. Diese zerstören die roten Blutkörperchen und können so zu einem Nierenversagen führen.

Nicht jeder, der sich infiziert, erkrankt. Ein kleiner Teil der Ehec-Patienten scheidet den Erreger über den Stuhl einfach wieder aus. Bei fünf bis zehn Prozent der Patienten verläuft eine Ehec-Infektion schwer. Sie entwickeln ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS), bei dem ein akutes Nierenversagen, Blutarmut oder ein Mangel an Blutplättchen auftritt. Auch das Gehirn kann gefährlich anschwellen. Etwa zwei Prozent der HUS-Fälle enden tödlich, etwa die Hälfte der Patienten leidet unter Folgeschäden wie Bluthochdruck oder Niereninsuffizienz.

140 der schweren HUS-Fälle sind laut RKI mittlerweile bestätigt - und damit schon deutlich mehr, als sonst üblicherweise in einem Jahr auftreten. "Die Untersuchungen zum Profil des aktuellen Übeltäters sind allerdings noch in vollem Gang", sagt Beutin. Auf die Schliche kommen die Wissenschaftler dem Erreger mit mehreren Methoden: Sie lassen die Keime auf Nährmedien wachsen und ermitteln sie mit einem Antigen-Antikörper-Test. Absichern lassen sich die Ergebnisse durch einen sogenannten PCR-Test, bei dem die DNA-Stränge des Bakteriums nachgewiesen werden.

"Ob Lebensmittel oder Menschen auf den Erreger getestet werden, macht keinen Unterschied, die Methoden sind gleich", sagt Beutin. Je nach Methode kann der Nachweis von zwei Tagen bis zu einer Woche dauern. "Wenn man den Übeltäter identifiziert hat, an dem die Menschen erkrankt sind, kann man viel gezielter nach diesem Erreger in den Lebensmitteln suchen."

Doch ob man überhaupt die Quelle des Übels finden wird, ist fraglich: In den vergangenen Jahren kam es in Deutschland immer wieder einmal zu einem vermehrten Auftreten von HUS-Erkrankungen - die Infektionsursachen konnten laut RKI bis jetzt nicht ermittelt werden.

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