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Ehec-Epidemie beeinflusst Einkaufsverhalten Deutsche werden zu Rohkostmuffeln

Das Image von Gurken, Sprossen und Co. ist hinüber: Salatbeilagen sind dieser Tage nicht gefragt. Das rohe Gemüse liegt wie Blei in den Regalen. Und auch Erdbeeren gelten mitunter als ungenießbar.
Von Swantje Dake

Die Cucumis sativus steht unter Generalverdacht. Egal, wo die gemeine Gurke gewachsen ist. So günstig sie jetzt auch sein mag. Im Supermarkt türmen sich die Gurken, eingeschweißt in Folien, aus einem der vielen Gewächshäuser in den Niederlanden. "Wir haben Umsatzeinbrüche von 30 bis 40 Prozent bei Obst und Gemüse", sagt ein Sprecher des Handelsverbands Deutschland (HDE). Gemüsehändler auf den Wochenmärkten bieten kaum noch Gurken an. Auch Salat und Tomaten werden eher versteckt als in erster Reihe drapiert.

Der Gurkenmarkt ist zusammengebrochen

Die Gemüsebauern sind verzweifelt. Ihre frische Ernte werden sie nicht los. Anfang Juni hatte bereits die Hälfte aller Deutschen ihre Ernährung auf Grund von Ehec umgestellt, besagt eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Forsa. Gurken, rohe Tomaten und Salate wurden vom Speiseplan gestrichen. Ein Sonderling, wer in diesen Tagen noch das wässrige Gemüse isst. Die Ehec-Epidemie manifestiert sich daher nicht nur in Statistiken des Robert-Koch-Institut (RKI) und der Krankenhäuser. Die Angst der Verbraucher spüren Landwirte, Gemüsehändler und Gastronomen gleichermaßen – und sie lässt sich abbilden in Diagrammen, Tabellen, Prozentzahlen. "Der Gurkenmarkt ist vollkommen zusammengebrochen", so Hans-Christoph Behr, Bereichsleiter Gartenbau von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI). Um zu zeigen, welches Gemüse gekauft wird, wertet die AMI Umfragen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) aus. Vor dem Bekanntwerden der Ehec-Epidemie wurden in einem Viertel aller Haushalte eine oder mehrere Gurken pro Woche gekauft. Nachdem die Gurke als Ehec-Überträger angeprangert wurde, waren es nur noch 7 Prozent.

Auf den Preis wirkt sich der bundesweite Gurkenverzicht nicht aus. "Eine Schleuderaktion mit Salat verbietet sich derzeit auch", so Behr. "Wenn die Kunden denken, dass ein Produkt gefährlich ist, kaufen sie es auch nicht, wenn es günstig ist."

"Ein normaler Handel fand nicht statt"

Diese Tendenz bestätigt die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE): Jede Woche werden auf den Großmärkten in Berlin, Frankfurt/Main, Hamburg, Köln und München Marktberichte erstellt. Woher kommen Obst und Gemüse? Was wird gekauft - und zu welchem Preis. Im Wochenbericht für die Kalenderwoche 20 (16. bis 20. Mai) läuft der Handel noch nach Plan. Mitte der folgenden Woche beginnt die schwierige Zeit für Gurken, Tomaten und Salat. Besonders das deutsche Gemüse werden die Händler nicht los. In der Himmelfahrtswoche ist das Desaster für die Händler komplett: "Bei Gurken und Salat waren die Direktvermarkter gezwungen, einen Großteil der Ernten zu vernichten", heißt es im Marktbericht. "Ein normaler Handel fand nicht statt", resümiert die BLE den Gurkenverkauf. Das Tomaten-Fazit fällt keinen Deut besser aus: "Die Nachfrage war merklich eingeschränkt. Eine Räumung der Partien aus den Niederlanden, Belgien, Deutschland und Italien gelang nicht immer." Und auch die Salat-Prognose fällt mies aus: "Der Ehec-Virus prägt das Geschehen. Das gesamte deutsche Sortiment wurde sehr schwach nachgefragt."

Radieschen und Paprika werden in Mitleidenschaft gezogen

Nicht nur Gurken und Tomaten werden links liegen gelassen. Auch die bislang über jeden Zweifel erhabenen Radieschen oder Paprika werden verschmäht. Ein Drittel weniger wurde gekauft. "Anfangs bestand die Vermutung, dass die Verbraucher auf Kochgemüse ausweichen", so Behr. Doch auch die Rechnung ging nicht auf: Selbst der Verkauf von Möhren und Brokkoli zog nicht an.

Zwar warnt das Robert-Koch-Institut (RKI) bislang nur vor Gemüsesorten. Doch auch Obst wird von den Käufern mit Missachtung gestraft. Seit dem Ehec-Ausbruch werden 30 Prozent weniger Erdbeeren verkauft. Nur Zitrusfrüchte und Steinobst wie Nektarinen erscheinen den deutschen Käufern noch als sicher.

Und was auf dem Großmarkt nicht verkauft wird, gelangt erst gar nicht in den Einzelhandel oder in die Küchen der Restaurants. Dort verlangen die Gäste zur Speisekarte jetzt auch die Erklärung, woher die Zutaten kommen. Vor allem in den Restaurants in Norddeutschland sei Ehec derzeit ein Riesenthema, so eine Sprecherin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) - ausgerechnet in der Hochsaison für Salate. "Je weiter südlich man kommt, desto mehr Vertrauen scheinen die Gäste zu haben", so die Sprecherin. Die Dehoga empfiehlt ihren Mitgliedern, sich von ihren Lieferanten die Lieferkette schildern und Unbedenklichkeitserklärungen ausstellen zu lassen.

Caterer nimmt Rohkost vom Speiseplan

Andere nehmen ihren Kunden die Entscheidung ab. Viele Kantinen haben Blattsalate, Tomaten, Gurken und Sprossen aus der Salatbar verbannt. Der Großcaterer Apetito verzichtet seit Ende Mai auf frische Salate, Rohkost und auch die Erdbeeren sind vom Menüplan gestrichen. Apetito beliefert Kindergärten, Krankenhäuser und Kantinen mit 1,3 Millionen Essen täglich und wird auf Gurken, Tomaten, Salat und Sprossen verzichten, bis die Quelle des Ehec-Erregers gefunden und ausgeschaltet ist. "Unsere Kunden haben absolutes Verständnis", so eine Sprecherin des Caterers. Wer auf den Salat nicht verzichten will, kann auf Rote Bete und Sellerie zurückgreifen.

Solange das Robert-Koch-Institut die Warnungen vor Gurke und Co. aufrecht erhält, wird sich die Marktmisere nicht bessern, befürchtet Behr. Und selbst wenn die Warnungen aufgehoben werden, wird es weitere vier bis fünf Wochen dauern, bis es in deutschen Haushalten wieder Gurkensalat gibt.

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