Das Europaparlament hat sich für eine weitere Zulassung des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat ausgesprochen – allerdings nur für sieben und nicht für 15 Jahre wie von der EU-Kommission geplant. Der Kompromiss, den die Konservativen vorgeschlagen hatten, wurde in Straßburg mit klarer Mehrheit verabschiedet. Forderungen von Grünen und Teilen der Linken, die Zulassung gar nicht zu erneuern, fand damit keine Mehrheit.
Hintergrund: Der Streit um Glyphosat
Seit einiger Zeit streiten Experten darüber, wie gefährlich Glyphosat ist. Die Internationale Agentur für Krebsforschung IARC der WHO hat das Herbizid im März des vergangenen Jahres als "wahrscheinlich krebserregend für Menschen" eingestuft. Die komplette Monographie wurde im Juli veröffentlicht. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) geht davon aus, dass bei richtiger Anwendung keine Gefahr besteht. Ähnlich sieht das die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa. Sie geht ebenfalls davon aus, dass Glyphosat keine Gefahr für die Gesundheit von Menschen darstellt. Eine Einschätzung, gegen die knapp 100 Wissenschaftler in einem offenen Brief protestierten.
Wie kann es zu so gegenteiligen Ansichten kommen? Kurz gesagt: Die IARC und die Efsa beziehen unterschiedliche Studien in ihre Auswertung mit ein. Die Einschätzung der IARC beruht auf fünf Studien an Mäusen, die vor der Publikation einen sogenannten Peer Review unterzogen, also durch unabhängige Experten auf dem Fachgebiet geprüft wurden. Die Efsa hingegen bezog laut "Nature" in ihre Bewertung auch industriefinanzierte Studien mit ein, nicht alle sind öffentlich. Kritiker werfen der Efsa daher vor, sie fälle ihre Entscheidungen nicht völlig unabhängig von Industrieinteressen. Zudem unterscheiden sich die Efsa und die IARC hinsichtlich ihres Blickwinkels: Die IARC beurteilt die prinzipielle Gefährlichkeit des Stoffs und sein Potenzial, Krebs auszulösen. Die Efsa legt den Fokus auf die Anwendung des Mittels und darauf, ob es bei korrektem Gebrauch ein Risiko darstellt.
374 Abgeordnete stimmten für die beschränkte Neuzulassung, 225 votierten dagegen und 102 enthielten sich. Das Parlament forderte die Kommission zugleich auf, eine Liste von Beistoffen zu erstellen, die in Insektenvernichtungsmittel nicht mehr verwendet werden dürfen. Außerdem soll sie einen Plan erarbeiten, um den Einsatz des Pflanzengifts zu reduzieren.
Die Marktzulassung für Glyphosat, den in Deutschland und weltweit am meisten eingesetzten Wirkstoff zur Unkrautvernichtung, läuft in der EU Ende Juni aus. Bis dahin muss die Brüsseler Behörde entscheiden, ob sie das Mittel erneut zulässt – und für wie viele Jahre. Dabei ist die Kommission nicht verpflichtet, der Forderung des Europaparlaments zu folgen.
Die SPD-Abgeordnete und Umweltschutzexpertin Susanne Melior verteidigte den vom Parlament verabschiedeten Kompromiss. Ein sofortiges Verbot von Glyphosat wäre "unrealistisch", betonte sie. Die europäische Landwirtschaft sei von Futtermittel-Importen etwa aus den USA und Brasilien abhängig, die mit Glyphosat behandelt worden seien.
Die Brüsseler Kommission hatte Anfang März eine Abstimmung über die geplante Neuzulassung von Glyphosat, die für 15 Jahre gelten sollte, verschoben, weil es im zuständigen Fachausschuss keine Mehrheit gab. Der Ausschuss, dem Experten aus den 28 EU-Staaten angehören, soll sich im Mai erneut mit der Frage befassen.
Gesundheitliche Bedenken
Die Verwendung von Glyphosat sorgt in der EU seit Jahren für Streit, einige Mitgliedsstaaten haben Bedenken gegen die weitere Zulassung geäußert. Umweltschützer machen geltend, dass das Pflanzengift in den menschlichen Organismus gelangt und möglicherweise krebserregend ist. Mit diesem Argument hatte sich im Europaparlament der Ausschuss für Umwelt- und Gesundheitsschutz gegen eine Neuzulassung ausgesprochen. Er verwies auf eine Warnung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC), die Glyphosat im März 2015 als "wahrscheinlich krebserregend für den Menschen" eingestuft hatte.
Nach Angaben des Europaparlaments ist der weltweite Verbrauch von Glyphosat in den vergangenen Jahrzehnten um das 260-Fache angestiegen – von 3200 Tonnen im Jahre 1974 auf 825.000 Tonnen im Jahre 2014. In Deutschland werden etwa 40 Prozent der Ackerfläche mit glyphosathaltigen Pflanzengiften behandelt.
Wie sich Deutschland bei der Abstimmung über eine Neuzulassung verhalten wird, ist noch nicht klar.