Interview "Neuer Ausbruch im Winter"

Seit ihrem Ausbruch im März forderte die gefährliche Lungenkrankheit SARS weltweit fast 800 Todesopfer. Wie es mit der Viruskrankheit weitergeht, sagt einer der weltweit führenden SARS-Forscher, Prof. Dr. Rolf Hilgenfeld.

Wie gefährlich ist SARS für Deutschland?

Bisher nicht sehr. Es gab nur 10 Fälle. In Afrika sterben täglich 6000 Menschen an Aids. Aber: Wären die SARS-Kranken aus Singapur, die im März am Frankfurter Flughafen landeten, nicht sofort in die Obhut von gut vorbereiteten Top-Ärzten gelangt, sondern vielleicht zu einem kleinen Kreiskrankenhaus oder zu einer Arztpraxis, hätten sich vielleicht Dutzende infiziert. Toronto ist dafür das beste Beispiel. Kanada ist ein reiches Industrieland mit einem funktionierenden Gesundheitssystem, trotzdem konnte das SARS-Virus Fuß fassen.

Die SARS-Ansteckungen in China gehen zurück. Ist die Krankheit besiegt?

Nein, ich rechne damit, dass es im Winter wieder einen neuen Ausbruch gibt. Wenn ein Virus erst einmal die Grenze von einer Spezies zu einer anderen überschritten hat, ist es schwer, das rückgängig zu machen. Nach allem was wir heute wissen, ist SARS wahrscheinlich schon im vergangenen Jahr in Südchina vom Tier auf den Menschen übergesprungen.

Wann gibt es eine Pille gegen die Lungenkrankheit?

Normalerweise dauert es zwischen sieben und zwölf Jahren, ein Medikament zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Davon gehen rund drei Jahre für Grundlagenforschung drauf. Das konnten wir bei SARS auf wenige Monate verkürzen, weil ich mich mit Kollegen seit vier Jahren mit ähnlichen Coronaviren beschäftige.

Dauert es dann trotzdem noch neun Jahre?

Nicht unbedingt. China hat ein großes Interesse, die Krankheit schnell in den Griff zu bekommen. Weil das Land im großen Ausmaß betroffen ist und als Folge von SARS auch das Wirtschaftswachstum beeinträchtigt wird, sind die Forscher, Ärzte und Politiker dort eher bereit, wirtschaftliche Risiken einzugehen. Dort fließen viele staatliche Gelder, dort werden neue Medikamente schnell an Patienten getestet - ähnlich wie Ende der Achtziger auf dem Höhepunkt der Aids-Epedemie in Kalifornien. Dazu kommt, dass in China die Profiterwartungen nicht so hoch sind wie bei westlichen Pharmakonzernen.

Haben westliche Unternehmen schon bei Ihnen angeklopft?

Bei weltweit 8400 SARS-Kranken und 780 Toten lohnt das nicht. Ein neues Medikament muß in einem Jahr rund 500 Millionen Dollar Umsatz erzielen. SARS ist noch kein Markt für die großen Pharmafirmen.

Bei welchen Tieren kommen Coronaviren vor?

Bei Schweinen verursachen sie insbesondere bei jungen Ferkeln schwere Durchfälle, oft mit Todesfolgen. Coronaviren, die Hühner angreifen, führen in 25 Prozent der Fälle zum Tod durch Erkrankungen der Atemwege. Millionen Hühner sterben daran. Aber es ist billiger, als Ersatz neue Tiere zu beschaffen, als Geld für eine entsprechende Medikamentenentwicklung aufzuwenden. Bei Katzen wäre das etwas anderes.

Weil es auf der Welt und besonders in reichen Ländern viele Katzenliebhaber gibt?

Richtig.

Gab es vor SARS Coronaviren, die den menschlichen Körper attackierten?

Aber ja. Das humane Coronavirus 229E zählt zu den Hauptursachen für normale Erkältungen. Weil ein Schnupfen aber keine sehr dramatische Krankheit ist und viele Medikamente auf dem Markt sind, führte die Coronaviren-Forschung bisher ein Schattendasein. SARS zeigt aber deutlich, wie wichtig Grundlagenforschung ist, selbst wenn wenn sie auf den ersten Blick nicht profitversprechend erscheint. Wir dürfen die Grundlagenforschung in Deutschland nicht vernachlässigen!

Wie könnte ein Medikament gegen SARS aussehen?

Ich arbeite seit Jahren mit Proteinase, einem Enzym, das entscheidend ist für die Vermehrung der Viren. Da kann man ansetzen und einen Hemmstoff entwickeln. Wir haben vorgeschlagen, einen Hemmstoff namens AG7088 gegen SARS auszuprobieren. Er wird zur Zeit als Medikament gegen den Erkältungserreger Rhinovirus getest. Erste Erfolge im Reagenzglas gibt es schon. Nach chemischen Veränderungen kann daraus ein Medikament zur Behandlung von SARS werden.

Werden Sie reich, wenn Sie eine Anti-SARS-Pille erfinden?

Das denke ich nicht. Darauf kommt es mir aber auch nicht an. Wir habe unsere Forschungen sofort veröffentlicht und ins Netz gestellt, nachdem SARS weltweit Aufmerksamkeit erregte.

Haben Sie genug Geld für Ihre Forschung?

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat mich und meinen Würzburger Kollegen John Ziebuhr mit knapp 250.000 Euro unterstützt. Davon konnte ich eine Doktorandenstelle bezahlen. Ich hoffe jetzt auf deutsche und EU-Gelder für Projekte mit chinesischen Wissenschaftlern.

Herr Hilgenfeld, Sie haben in der vergangenen Woche in Peking an einem SARS-Seminar teilgenommen. Wie war die Zusammenarbeit mit chinesischen Wissenschaftlern?

Nach meinem Eindruck sehr positiv und offen. Die Tagung wurde vom Chinesisch-Deutschen Zentrum für Wissenschaftsförderung veranstaltet. Darüberhinaus habe ich mit chinesischen Pharmafirmen über eine Kooperation verhandelt.

Mit welchem Ergebnis?

Wir werden zusammenarbeiten. Für den Herbst plane ich einen dreiwöchigen Forschungsaufenthalt in Peking. Ein Kollege hat mir jetzt schon SARS-Proteine für meine Forschungen mitgegeben.

Wie haben sie die nach Deutschland geschafft?

In einem kleinen Plastikbehälter, mit dem die Chinesen Essen, das sie in Restaurants nicht aufessen, nach Hause nehmen. Im Flugzeug habe ich mir immer Eis kommen lassen, um die kostbare Fracht kühl zu halten.

War das nicht gefährlich?

Überhaupt nicht. Das waren ja keine Viren, sondern nur Proteine. Die würde ich ohne Bedenken herunterschlucken, wenn sie nicht so wertvoll wären.

Wie gut sind die chinesischen SARS-Forscher?

Hervorragend. Ich habe mir in Peking die Forschungsinstitute der angesehenen Qinghua- und Beijing-Universität angesehen. Alle supermodern, die neuesten Computer, neue Gebäude. Das riecht nicht nach einem Entwicklungsland. Fleiß und Einsatzbereitschaft der Kollegen haben mich ebenfalls beeindruckt.

Bitte geben Sie ein Beispiel?

Am vergangenen Samstag hielt ich einen Vortrag in der Qinghua-Universität. Weil sich nach einer Verordnung der Pekinger Stadtregierung wegen SARS nie mehr als fünfzig Leute versammeln dürfen, konnte für die Veranstaltung nicht geworben werden. Trotzdem kamen mehr als vierzig Interessierte - an einem Samstag. Ich habe Zweifel, ob das an einer deutschen Uni am Wochenende passiert wäre.

Haben Sie in Peking eine Maske getragen?

Nein, das Schlimmste ist in China für den Moment vorbei.

Haben Sie nach Ihrer Rückkehr nach Deutschland Vorsichtsmaßnahmen getroffen?

Nein, ich habe zwei Tage mit meiner Familie verbracht und ab Mitwoch halte ich in Lübeck wieder Vorlesungen. Einige Kollegen sind allerdings für ein paar Tage ins Hotel gegangen.

Wann ist mit einem Impfstoff gegen SARS zu rechnen?

Das wird weit länger dauern als ein Medikament zu entwickeln. Impfstoffe greifen Viren an deren Oberfläche an. Die aber ändert sich oft sehr schnell, das Virus mutiert und ist dadurch schwerer zu fassen. Das Grippevirus ist dafür ein Beispiel. Da brauchen wir jedes Jahr ein neues Impfmittel.

Interview: Matthias Schepp

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