Ist das der Anfang vom Ende, der heilsame Schock, die Antwort auf die Frage: Wann ist Corona endlich vorbei? Omikron macht Sorgen, aber auch Hoffnung.
Die Virusvariante breitet sich rasch aus, die Infektionszahlen klettern abermals dem Rekord entgegen, doch deutet derzeit vieles auf einen milderen Krankheitsverlauf hin (was das genau bedeutet, lesen Sie hier). Eine Kombination, die nicht nur Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und den Virologen Christian Drosten vorsichtig optimistisch stimmte.
Die Hypothese: Durch Omikron könnte eine endemische Situation näher rücken, die hohe Übertragbarkeit dazu führen, dass die Bevölkerung als Ganzes vergleichsweise schnell eine höhere Immunität erreicht. Und im Idealfall die milderen Verläufe Druck vom Gesundheitssystem nehmen.
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"Endemische Situation heißt, dieses Virus wird zu einem Erkältungsvirus wie viele andere auch", sagte Drosten kurz vor dem Jahreswechsel. Es sei eine gute Situation, wenn ein Virus nicht mehr so krank macht, aber gut übertragbar sei und Immunitätslücken in der Bevölkerung schließe. Wenn sich das Virus im Jahresverlauf nicht erheblich ändere, dürften wir "einen relativ normalen Winter" haben – wie in Zeiten schwerer Grippewellen.
Nur: Befindet sich Deutschland überhaupt auf der Zielgeraden? Und woran werden wir die Ziellinie erkennen, wenn sie vor uns liegt?
Omikron-Variante: Wann war es das mit den Wellen?
"Die Hoffnung, dass Omikron deutlich weniger schwere Krankheitsverläufe verursacht, ist absolut berechtigt", sagt Ulf Dittmer (Virologe am Universitätsklinikum Essen) zum stern. Auch stehe Deutschland im Kampf gegen Corona besser da als viele andere Länder. Bei den Booster-Impfungen sei man deutlich weiter als anderswo, die Omikron-Welle habe Deutschland später getroffen und somit Zeit verschafft. "Ob wir auf der Zielgeraden sind, werden wir aber nur in den Krankenhäusern ablesen können", so Dittmer. "Hier muss es zu einer deutlichen Entlastung kommen, vor allem auf den Intensivstationen. Sonst sind wir von dem Ziel noch deutlich entfernt."
Trotz rückläufiger Fallzahlen in der vierten Infektionswelle (durch die Delta-Variante), warnte das Robert Koch-Institut (RKI) kurz vor dem Jahreswechsel, dass die Auslastung der Intensivstationen "noch auf sehr hohem Niveau" sei. Sollte die Dynamik der bevorstehenden Omikron-Welle nicht gebremst werden, sei mit einer "Überlastung der Gesundheitsversorgungsstrukturen in Deutschland zu rechnen."
Derzeit steigt die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Das RKI gab den Wert am Donnerstag mit 3,26 bei steigender Tendenz an (Mittwoch: 3,2, Dienstag: 3,12, Montag: 3,07).
Bei der Zahl der Covid-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung hingegen ist eine solche Entwicklung bisher nicht erkennbar. Im Tagesreport vom Donnerstag waren beim Divi-Intensivregister 3445 solche Patienten erfasst, 116 weniger als am Vortag. Zwischen Infektion und klinischer Behandlung vergeht stets einige Zeit, intensivmedizinisch behandelte Patienten wiederum können mehrere Woche auf den Stationen liegen – beides sorgt für verzögernde Effekte in der Statistik.
"Problematisch ist, dass die Impfpflicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen noch nicht umgesetzt wurde", mahnt Virologe Dittmer. "Hier wird es mit Sicherheit zu Omikron Übertragungen auch auf geimpfte Patienten kommen." Die Einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt nach dem Beschluss von Bundestag und Bundesrat ab Mitte März.
Festlegen will sich der Virologe nicht, aber: "Ich hoffe, dass die Pandemie mit der Omikron-Welle zu Ende geht." Die Variante sei so infektiös, "dass fast alle in der Bevölkerung danach eine gewissen Immunität haben werden." Entweder durch Impfung, Infektion, oder durch Impfung mit anschließender, wenn auch harmloser, Infektion. "Das Virus wird vermutlich langsam endemisch, ohne das Auftreten von großen Wellen", so Dittmer.
Stellt sich die Frage: zu welchem Preis?
"Dass das jetzt der Abgesang ist, glaube ich nicht"
Auch Gerárd Krause (Epidemiologe am Helmholtz-Institut für Infektionsforschung) gibt sich vorsichtig optimistisch. "Sofern wir nicht mit Virusvarianten ganz anderer Qualität konfrontiert werden, erwarte ich eine deutliche Entspannung im Jahr 2022 gegenüber 2021", sagte er dem stern, "weil ein großer Teil der Menschen in Deutschland ein gewisses Maß an Immunität erworben haben wird."
Das Licht am Ende des Tunnels verortet der Epidemiologe woanders: "Wenn im Winter 2022/23 die Zahl der Covid-bedingten schweren Erkrankungen und Todesfälle unter dem der Influenza-Wellen 2018/19 und 2019/20 bleiben, können wir wohl erwarten, dass sich eine saisonale oder endemische Lage eingependelt hat", so Krause. Allerdings gehe er aktuell nicht davon aus, dass die Omikron-Variante "alle Pandemiemaßnahmen innerhalb der kommenden Monate überflüssig machen wird."
Am heutigen Freitag werden Bund und Länder wahrscheinlich neue Kontaktbeschränkungen ins Werk setzen (lesen Sie hier, welche Maßnahmen zur Debatte stehen) und die derzeit geltenden Quarantäneregelungen lockern, um insbesondere die kritische Infrastruktur vor hohen Personalausfällen zu schützen.
Interessant wird sein, was zum Thema allgemeine Impfpflicht aus der Spitzenrunde hervorgehen wird. Bei der vergangenen Beratung am 21. Dezember war vereinbart worden, dass die Vorbereitungen für die "in den Blick genommene Einführung" einer solchen Pflicht vorangetrieben und kurzfristig ein Zeitplan vorgelegt werden solle. Zuletzt zeichnete sich aber ab, dass es einen eiligen Beschluss im Bundestag über die Impfpflicht nicht geben wird, weil noch viele Fragen offen sind.
Gesundheitsminister Lauterbach bekräftigte, dass er eine Impfpflicht gegen Corona befürworte – und warnte vor einem Verzicht. Die Impfpflicht sei wichtig, um im Herbst zu verhindern, "dass wir dann schon wieder vor diesen Problemen stehen, die wir jetzt haben", sagte er zur "Welt". Eine Durchseuchung als eine Art "schmutzige Impfung" sei keine Alternative, da er Omikron als letzte wichtige Virusvariante für unwahrscheinlich halte. Er glaube, "dass das sehr viele Menschen sehr krank hinterlassen würde und auch bleibende Schäden mit sich bringen würde." Der beste Schutz, daher: eine sehr hohe Impfquote. "Und wenn die nicht erreicht werden kann, muss es eine Impfpflicht sein."
Über die Feiertage hatte die Booster- und Impfkampagne einen "leichten Knick" gehabt, räumte die Bundesregierung ein. Jedoch würden die Impfungen wieder anziehen. Fast 41 Prozent der Bevölkerung haben nach RKI-Angaben vom Donnerstag inzwischen eine Auffrischungsimpfung, also den Booster, erhalten. Den Grundschutz mit der meist nötigen zweiten Spritze haben 71,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Ohne jeglichen Impfschutz sind aber noch immer rund 25 Prozent der Deutschen.

Dass Omikron dabei helfen werde, von einer pandemischen in eine endemische Lage zu kommen, meint zwar auch Oliver Harzer (Mediziner und Geschäftsführer des Bioscientia-Labors in Ingelheim). Doch: "Dass das jetzt der Abgesang ist, glaube ich nicht", sagte er zum stern. Eher müsse man sich auf neue Virusvarianten einstellen, die immer mal wieder auftreten könnten. "Das kennen wir ja von der Influenza auch, die Verläufe werden hoffentlich dann nicht mehr so schwer sein, weil wir auf eine Bevölkerung treffen, die mit dem Virus schon mal zu tun hatte."
Seine Prognose: Das Virus werde weiter mutieren – mal weniger infektiös, mal infektiöser. "Dass die Pandemie in diesem Jahr endgültig vorbei ist und das Virus verschwindet, damit kann man nach den letzten zwei Jahren nicht rechnen", so Harzer. "Es würde mich persönlich zumindest sehr wundern. Ausgeschlossen ist es natürlich auch nicht."