Nichtraucher-Verordnung Raucherparadies in Not

In ganz Europa geht es den Rauchern an den Kragen. In ganz Europa? Nein. Deutschland weigert sich weiter, Nichtraucher besser zu schützen - wogegen die EU nun klagen will. Die Tabakindustrie dagegen versucht, das Raucherparadies zu retten.

Deutschland und Österreich riskieren in Sachen Nichtraucherschutz Ärger mit Brüssel. Obwohl die EU-Kommission aus Wettbewerbsgründen Mindestpreise für Zigaretten verboten hat, müssen Raucher in der Alpenrepublik ab Mitte Mai mindestens 3,25 Euro pro Packung zahlen.

Die Regierung will damit gegen einen Preiskrieg vorgehen, der zurzeit in Österreich tobt und in dessen Folge einige Zigarettenpackungen nur noch 2,90 Euro kosten. Experten warnen davor, dass durch die niedrigeren Preise vor allem Jugendliche ermutigt werden, mehr zu rauchen.

Auch wenn das österreichische Ansinnen, Jugendliche vom Rauchen abzuhalten, löblich sein mag, hat der EU-Steuerkommissar Laszlo Kovacs bereits angekündigt, gegen das Land ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Wobei es weniger um den Nichtraucherschutz geht, als vielmehr darum, dass Staaten nicht in die Preisgestaltung von Unternehmen eingreifen dürfen.

Regierung lässt Frist verstreichen

Rechtliche Schritte erwägt die EU-Kommission auch gegen Deutschland: Die Bundesrepublik lasse sich zuviel Zeit, die EU-Richtlinien in nationales Recht umzusetzen, beklagt Gesundheitskommissar Markos Kyprianou, die dafür gesetzte Frist von Anfang April habe die Regierung verstreichen lassen.

Deutschland und Luxemburg seien die einzigen EU-Staaten, die zudem das Tabakwerbeverbot noch nicht gesetzlich geregelt hätten. Die Werbung ermutige vor allem Kinder und Jugendliche, mit dem Rauchen anzufangen, so Kyprianou. "Ich hoffe, dass Deutschland rasch wirksame Maßnahmen ergreift, um Rauchen an allen Arbeitsplätzen und in allen frei zugänglichen Räumen zu untersagen."

Die Bundesregierung weist die Vorwürfe des EU-Kommissars zurück: Man wolle den Schutz von Nichtrauchern nicht verhindern. Jedoch habe die Vorgängerregierung eine Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen das Tabakwerbeverbot eingereicht, über die noch nicht entschieden sei, heißt es aus dem Verbraucherschutzministerium.

Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums verweist zudem darauf, dass eine freiwillige Vereinbarung mit dem Hotel- und Gaststättenverband bislang erfolgreich sei und einer Umfrage zufolge mehr als 30 Prozent der Gaststätten eine Nichtraucherzone eingerichtet hätten.

Dem Ärztekammer-Präsidenten Jörg-Dietrich Hoppe geht die Selbstkontrolle nicht weit genug: Er tritt für ein umfassendes Rauchverbot sowie die Rücknahme der deutschen Klage gegen das Tabakwerbeverbot ein. "Die Regierung ist in hohem Maße unglaubwürdig, wenn sie einerseits nationale Anti-Tabak-Kampagnen unterstützt, andererseits aber jeden Versuch der Eindämmung des Tabakkonsums torpediert", so Hoppe.

Deutschland zählt zu den letzten Raucherparadiesen in Europa. Nirgendwo wird so liberal mit dem blauen Dunst ungegangen wie hier. Selbst in klassischen "Rauchernationen" wie Spanien oder Italien ist das Qualmen an öffentlich zugänglichen Orten de facto untersagt.

Über die Gründe streiten sich die Experten, aber die Nichtraucher-Verbände sehen eindeutig die Tabaklobby als großen den Verhinderer in Sachen Nichtraucher-Schutz. "Kaum ein Interessensverband ist derart eng und tief mit der Politik verflochten wie die Tabakindustrie", sagt Maria Giselly de Albuquerque Leinenbach, Sprecherin des Berliner Forums Rauchfrei, zu stern.de.

Auch eine Studie der University of California im Auftrag des Deutschen Krebsforschungszentrums kommt zu dem Ergebnis, dass es die "Tabakindustrie in Deutschland erfolgreich verstanden hat, die Umsetzung der Erkenntnisse über die Schädlichkeit des Passivrauchens in wirksame Gesundheitspolitik zu verhindern". So soll die Zigarettenindustrie deutlichen Einfluss auf Forscher, Ärzte und auch die Gesundheitspolitik nehmen.

Tabaklobby spendet an Parteien

Die Nichtraucher-Initiative Deutschland will anhand der Auswertung von Spenden-Rechenschaftsberichten herausgefunden haben, dass die Rauchlobby vermehrt an Parteien gespendet habe, nachdem sie Mitte der neunziger Jahre ein verhältnismäßig liberales Nichtrauchergesetz in den Bundestag eingebracht hatte.

Dass die Tabakvertreter "sehr viel geleistet haben", wie Leinenbach sagt, zeige sich auch daran, dass selbst der ehemalige und für politisch korrektes Verhalten bekannte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse keinen Interessenkonflikt sieht, wenn die Tabakindustrie Gelder für den politischen"guten Zweck spendet".

Trotz aller mutmaßlichen Bemühungen der Tabakunternehmen, kann sich die Nichtraucheraktivistin auch einen weitaus profaneren Grund vorstellen, warum sich das Land nu ungern vom Raucherparadies verabschiedet. Die Deutschen, so Leinenbach, ließen sich nur ungern vom Staat sagen, was sie in ihrem Privatleben zu tun und zu lassen hätten.

AP
Niels Kruse mit DPA/AP

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