Von Birgit Lahann und Karin Rocholl (Fotos)
Berlin. Gendarmenmarkt. Gourmet-Adresse, Medien-, Macher-, Kanzler-Treff. Gedämpftes Licht, gedämpftes Gespräch, betuchte Gäste, die sie zum Tisch führt. Als der Kommissar in der Tür steht, erstarrt sie. Seit sechs Jahren ist ihre kleine Tochter verschwunden. Jetzt wurde sie gefunden. Genickbruch. Ja, sie muss sofort mit nach Königsrode kommen. Der Fall wird neu aufgerollt. Und sie, Eva Hennig, soll die Mörderin sein. Also das steht schon mal fest.
Eva Hennig ist Nadja Auermann. Sie kommt wie ein Alien in das sauber gefegte Fachwerknest: weiß wie Schnee der Teint, rot wie Blut die Lippen und die Wimpern schwarz wie Ebenholz. Eingeschnürt in weiße Haute Couture, wiegt sie sich mit federndem Gang durch die entfremdete Vergangenheit. Der Ort, in dem sie einst gelebt, geliebt und gelitten, hält zusammen. Pech & Schwefel.
Aber langsam hebt sich der Deckel der Idylle - und es fängt an zu stinken. Die Leute lügen, betrügen, trinken, unterschlagen Briefe und Beweise, legen falsche Fährten und gehen fremd. Ganz ungeniert. Bis die Fassade bricht, bis ein letzter Schuss fällt.
Und mitten in dieser bedrückenden Atmosphäre sitzt Nadja Auermann im engen Schwarzen und feinem Strick zwischen Märchenbüchern, versteckten Schätzen, wehenden Gardinen und nächtlichem Uhu-Schrei. Und sie macht das gut. Mit klugen Blicken, echtem Gefühl und sparsamen Gesten. Sie hätte es auch ohne Alta Moda geschafft.
Frau Auermann, wie finden Sie sich im Film als Alien?
Ich kann mich nicht beurteilen. Es gibt ja viele Schauspieler, die mögen sich nicht sehen. Das passiert mir nur, wenn ich mich im Fernsehen bei Interviews angucke. Dann denke ich immer: Mensch, hampel doch nicht so rum, Mädchen.
Hatten Sie als Mutter von zwei Kindern Probleme mit dem Thema Kindermord?
Ich bin ein sehr sensibler Mensch. Wenn ich irgendwo sehe, dass Kinder misshandelt werden, breche ich sofort in Tränen aus. Aber der Film ist ja eher eine spannende Aufklärungsgeschichte.
Haben Sie sich von Ihren Kollegen akzeptiert gefühlt, oder hielt man Sie für die Seiteneinsteigerin ohne Ausbildung?
Sie haben es mich jedenfalls nicht fühlen lassen. Dabei könnte ich das durchaus verstehen. Aber vielleicht hat man gemerkt, dass ich versucht habe, gut vorbereitet zu sein.
Mit einem Coach?
Ja. Für richtigen Schauspielunterricht war natürlich alles zu kurz.
Wie hat er Sie trainiert und präpariert?
Indem er meine Fantasie in Bewegung gesetzt hat. Ich musste mir also vorstellen: Wer ist diese Eva, die ich spiele? Wer ist der Vater meines Kindes, das umgebracht wurde? Darin habe ich dann den Text eingebettet und konnte ihn mit Gefühlen belegen.
"Dornröschen" spielt im Film eine düstere Rolle. Hätten Sie heute Schwierigkeiten, das Märchen Ihren Kindern vorzulesen?
Nein. Aber meine Kinder kannten es schon vor dem Film. Viel schwieriger war für mich die Zeit, als ich die Rolle der Eva lernte, als ich mich in sie hineinversetzte. Da war ich doch schon manchmal sehr schwermütig.
Und wenn Sie den Film Pfingstsonntag im Fernsehen anschauen?
Dann werde ich wieder anfangen zu weinen. Das weiß ich jetzt schon. Ich war schon immer nah am Wasser gebaut.
Aber in der Schule waren Sie doch eher rebellisch. Sollen sogar eine "rote Socke" gewesen sein.
Ich war mit neun auf meiner ersten Demo. War politisch ziemlich interessiert. War für Gerechtigkeit und Gleichheit.
Also mit roter Fahne in den Sozialismus?
Nein, nein, ich war keine Kommunistin, eher Öko, eher grün. Habe auf Antikriegsdemos protestiert, und als die Pershings stationiert werden sollten, bin ich auch auf die Straße gegangen. Ich war für Freiheit, Menschenrechte und Gerechtigkeit.
Wenn Gerhard Schröder sich für den Krieg im Irak ausgesprochen hätte, wären Sie dann wieder auf die Straße gegangen?
Im Prinzip ja. Aber ich gehe heute eigentlich nicht mehr demonstrieren. War aber froh, dass wir nicht mitgemacht haben. Super, habe ich gedacht. Und war sehr stolz. Auch, dass wir uns von Bush nicht haben unter Druck setzen lassen. Amerika ist für mich immer noch ein großes freiheitliches Land mit hohem Nationalgefühl, aber ich weiß nicht, wie es aus dieser Sache wieder rauskommen kann.
Dass die Deutschen kein richtiges Nationalgefühl haben, finden Sie nicht in Ordnung?
Ich glaube, es ist ungesund, keins zu haben. Wenn man wie ich zwölf Jahre im Ausland gelebt hat, stellt man fest, dass eigentlich alle Länder patriotisch sind. Außer Deutschland.
Die Gründe dafür sind bekannt.
Natürlich. Man darf das Düstere unserer Geschichte auf keinen Fall vergessen. Aber wir haben doch auch schöne Sachen in unserer Kultur, für die es sich lohnt, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Und der alte Fritz zum Beispiel hat die modernste Monarchie gehabt. Alle anderen Monarchen haben sich mit Gott gleichgesetzt, nur Friedrich hat gesagt: Ich bin der erste Diener meines Staates. Das ist doch schon was?
Er ist dann aber zur Kampfmaschine geworden und hat seine Soldaten in die Schlacht getrieben.
Wie andere Monarchen auch. Aber er hat auch Künstler gefördert, Bücher geschrieben und herrliche Musik gemacht. Doch in der Schule habe ich erlebt, wie man ständig eins auf die Mütze bekommt. Tatsächlich scheinen die Nazi-Greueltaten alles bisher Dagewesene zu überschatten. So jedenfalls wurde es mir beigebracht.
Im Geschichtsunterricht?
Also, den Nationalsozialismus habe ich mindestens dreimal durchgenommen, was ich gut finde. Aber wenn mir, wie in meinem Fall, auch noch der Lehrer sagt, eure Großeltern waren schuldig, schlecht und böse, und wenn man in anderen Ländern ist und sagt, dass man Deutsche ist, und sich dafür schämen und entschuldigen muss, dann wünscht sich eine aus meiner Generation, schon mit etwas mehr Selbstbewusstsein auftreten zu dürfen. Ich denke, kein Mensch kann mit dem Gedanken leben: Ich bin der Nachkomme eines Verbrechers.
Es gibt aber erschreckende Umfragen, die belegen, dass viele Schüler Hitler für einen Ritter der Tafelrunde halten oder einen Feldherrn des 19. Jahrhunderts.
Das finde ich unvorstellbar. Ich hab das bis zum Überfluss gelernt.
Die Väter Ihrer beiden Kinder stammen aus der ehemaligen DDR. Konnten die Ihnen erklären, weshalb es seit der Wende so viele Neonazis im Osten gibt?
Darüber haben wir nicht wirklich geredet. Ich vermute aber schon, dass es mit der Einverleibung der DDR zu tun hat. Das hat vielen Menschen dort ihre Identität genommen. Es wurde sich ja dauernd über sie lustig gemacht: Ihr habt bis jetzt ein Scheißleben gehabt, guckt euch eure Kleider an, eure Möbel, ihr habt keinen Geschmack, keinen Stil, keine Kultur - aber wir zeigen euch jetzt mal, wo es lang- geht. Das macht natürlich aggressiv. Da sucht man nach Stärke, wenn man kein Selbstbewusstsein hat. Und das war immer schon ein guter Nährboden für Extremisten.
Welchen Einfluss hat eine Figur wie Alice Schwarzer auf Ihr Selbstbewusstsein gehabt?
Ich bin ihr dankbar. Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen, wie das früher war. Ich selbst aber bin in einer ungewöhnlichen Situation groß geworden. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich zwei war. Ich bin mit meiner Schwester in einem richtigen Frauenhaus aufgewachsen. Ich habe nie gesehen, wie ein Mann mit einer Frau umgeht und umgekehrt. Rollenspiele gab es bei uns nicht. Männer und Frauen spielen ja miteinander. Es gibt ja sogar Sprach-Codes. So was geht mir total ab. Ich red mit einem Mann wie mit einer Frau.
Fanden es die Väter Ihrer Kinder auch toll, dass sie eine Zeit lang Hausmänner waren?
Waren sie doch nicht. Ich weiß, es stand überall. Aber es stimmt nicht. Als meine Kinder kamen, habe ich aufgehört zu arbeiten. Ich wollte Mutter sein, mit allem, was dazugehört. Meine Männer waren keine armen Kerle, die mit der Schürze durch die Wohnung tobten oder mit dem Bügeleisen hinter mir herrannten: Huch, da ist noch eine Falte in deinem Kleid.
Und wenn Sie einen Job annahmen?
Das passierte so alle drei Monate. Wenn dann mein Freund - oder später mein Mann - Zeit hatten, kamen sie mit mir und den Kindern, oder sie blieben mit ihnen zu Hause und haben gewickelt und gefüttert. Finde ich ganz normal. Über so was würde ich nie diskutieren wollen.
Als Sie in Monte Carlo lebten, sagten Sie: Nie mehr nach Deutschland in die Neidkultur. Warum sind Sie zurückgekommen?
Das hat mit den Kindern zu tun. Ich habe mich einfach gefragt, mit welchem Land sie sich identifizieren sollen, wenn sie 16 sind. Mit Amerika? Mit Frankreich? Oder Monaco? Das konnte ich mir irgendwann nicht mehr vorstellen.
Trotz Europa?
Stimmt. Natürlich. Wir sind Europa. Aber ich bin zuerst deutsch. Und meine Männer sind auch Deutsche. Wenn sie aus Frankreich oder England kämen, wäre alles anders.
Sie ernähren sich gesund, keine Zigaretten, kaum Alkohol, kein Fleisch, kein Fett ...
Halt! Stimmt nicht ganz. Manchmal gibt's auch Fisch oder Geflügel, aber eher selten. Ich habe gerade eine Ayurveda-Kur gemacht. Man soll ja Butter essen, Ghee, gereinigte Butter.
Also Sie haben Aussichten, uralt zu werden. Angst davor?
Früher wollte ich 100 Jahre werden, weil ich als junges Mädchen oft ziemlich krank war. Ich dachte, dass ich mit 30 sterben würde. Jetzt bin ich in dem Alter und denke mir: Nun fängt es eigentlich erst richtig an.
Stört es Sie, wenn Leute Sie angaffen und mit den Augen ausziehen?
Ich kann damit heute gut umgehen. Ich bin gern sexy, renn auch im Minirock rum, finde Fotos von Helmut Newton toll, weil er starke, attraktive, sexuelle Frauen zeigt. Und wenn jemandem der Geifer aus dem Mund fällt, weil er mich erotisch findet, ist mir das egal. Aber manchmal möchte ich mich auch gern verhüllen.
Wie bitte? Bei Ihrem Aussehen?
Ja, gerade. Ich habe neulich was ganz Interessantes gelesen. Da ging es um Religion und deren Einstellung zum Sex. Eine Muslimin wurde gefragt, weshalb sie sich verschleiert. Und da hat sie gesagt, im Westen würden alle glauben, nur der Ehemann dürfe sie sehen. In Wirklichkeit aber möchte sie nicht auf ihre Schönheit reduziert werden. Alle Ablenkungsmanöver für Männer sollen mit dem Schleier genommen werden. Das finde ich toll. Und ich kenne das selbst ganz gut von früher. Als ich merkte, dass ich attraktiv bin, hab ich mich oft richtig verhüllt. Hab große Mäntel getragen. Am liebsten hätte ich sie mir über den Kopf gezogen. Ich mochte einfach nicht angeguckt werden. Wollte nicht auf das Sexuelle reduziert werden.
Mit den Aussichten des Bestsellers "Das Methusalem-Komplott" könnte es sein, dass Sie erst mit 75 in Frührente gehen dürfen. Mit welchem Beruf?
Ach, vielleicht mit Schauspielen? Das Leben ist ja wirklich gut zu mir gewesen.Und ich freue mich, dass ich diesen Traum, den ich schon als Kind gehabt habe, jetzt vielleicht richtig leben kann.
In "Dornröschens leiser Tod" tauchen Sie wie eine Außerirdische in einer Gesellschaft auf, der Sie lange entwachsen sind: groß, schön, blond, fremd. Was, glauben Sie, könnten Sie noch spielen?
Es würde mir überhaupt nichts ausmachen, in einem Film mitzuspielen, wo ich nicht gut aussehe und 20 Kilo mehr wiegen müsste. Das Problem wäre nur, wie fresse ich mir die Kilos an? Ich kann doch essen, was ich will. Na ja, zehn Kilo könnte ich vielleicht schaffen. Ich fürchte nur, dass ich so eine Aura habe, in der ich zu schnell entrückt wirke. Aber ich könnte auch eine Klofrau spielen. Das könnte ich hinkriegen. Es gibt ja schließlich auch große, dünne Klofrauen.
Und haben Sie Angst vor den ersten Kritiken?
Sicherlich wird es Leute geben, die mich nicht mögen. Aber wer sich in der Öffentlichkeit bewegt ...
... kommt darin um.
Nein, hoffentlich nicht. Aber bestimmt krieg ich auch eins auf die Mütze.