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"Where to invade next" Was die AfD von Michael Moore lernen kann

Zwei Berlinale-Filme krempeln die Weltsicht um: "Zero Days" über die Kriegsführung im Cyberspace und vor allem Michael Moores fulminantes neues Werk "Where to invade next". Danach werden auch Sie Europa lieben!
Von Sophie Albers Ben Chamo

Wenn "Zero Days" mit einem fertig ist, sieht die Welt ein bisschen anders aus. Die Dokumentation von Alex Gibney ("Going Clear") fängt als Spurensuche über den Computervirus Stuxnet an. Und während IT-Sicherheitsexperten, Ex-NSA- und CIA-Chefs, ehemalige Mossad-Agenten und auch ein paar Whistleblower über das reden, worüber niemand reden darf, fällt der Satz, dass es sich gerade anfühle wie 1945, nachdem die USA zwei Atombomben über Japan gezündet haben: In dieser verwirrend coolen Spionage-Geschichte, die Sie permanent auf der Stuhlkante hält, geht es um mächtige, neue Waffen, über deren Reglementierung man dringend reden muss, wenn die Welt nicht noch mehr im Chaos versinken soll. Nicht weniger.

Ohne dass es irgendeine Regierung der Welt je bestätigt hätte, legt "Zero Days" nahe, dass besagter Virus Stuxnet, der 2009 die iranische Atomanlage Natanz effektiv wie subtil sabotierte, bevor er "ausbrach" und weltweit Schaden anrichtete, eine Kollaboration gleich mehrerer Geheimdienste war. Sowohl in den USA als auch in Israel (wie im Rest der Welt) sind im Auftrag ihrer Regierungen Spezialabteilungen am Werk, in denen professionelle Hacker nichts anderes tun, als Mittel und Wege zu finden, zerstörerischen Code ans Ziel zu bringen. Millionen Angriffe täglich seien bereits die Norm.

Cyberattacken: Chaos, Anarchie, Tote, Verletzte

Gibney wertet nicht, sondern zeichnet in bewährt elaboriertem, aber auch sehr spannendem Stil nach, wie und warum sich die Konfrontationen zwischen Staaten ins Netz verlegt haben, und welche Auswirkungen solche Cyberattacken auf die Bevölkerungen haben können: Chaos, Anarchie, Tote und Verletzte, wenn existenzielle Grundlagen wie Stromversorgung, Flugverkehr oder das Bankensystem angegriffen würden. Denn: "Das, was wir anderen antun können, können sie auch uns antun", so eine Informantin. Atombombe ist so letztes Jahrhundert!

Und während man denkt, dass "Zero Days" besser ist als die drei letzten Michael-Moore-Filme zusammen, walzt der laute Mann aus Flint ("Fahrenheit 9/11", "Bowling for Colombine") mit "Where to invade next" auf die Kinoleinwand und wirft den bereits wunderbar ausformulierten Abgesang über den Haufen. Denn kein anderer Film ist so eine sozialpolitisch-aktuelle Punktlandung wie dieser Mockumentary. Vor allem für Deutschland. Sie werden sich vor Lachen am Kinosessel festhalten und in Europa verlieben. Wer hätte gedacht, dass so eine starke Waffe gegen Frauke Petrys antisolidarisches Gefasel aus Amerika kommt.

Weil Moore mit Lungenentzündung zuhause bleiben musste, bedankte er sich bei der Premiere im Friedrichstadtpalast per Videobotschaft vor allem beim deutschen Publikum. "Ich weiß, es gibt auch Probleme, aber Ihre Großzügigkeit und Menschenliebe gegenüber den Flüchtlingen rührt mich und Millionen Amerikaner zutiefst", so der Filmemacher. "Ihr Instinkt war es zu helfen", davon könnten die Amerikaner, die ja teilweise Auslöser der Massenflucht seien, nur lernen. Und los geht's mit Moores "Einmarsch" in Europa.

Weil Amerikas Kriege seit "dem Großen" nicht mehr gewonnen wurden, hätte das Pentagon sich entschieden, fortan nur noch einen Mann zu schicken, um zu erobern und "das Beste" der unterworfenen Nationen mit nach Hause zu nehmen: Moore.

In Italien stellt er fest, dass bezahlter Urlaub und ein 13. Monatsgehalt nicht nur hart erkämpft, sondern absolut normal und gut für den Profit der Unternehmen sind. Gesündere, glücklichere Arbeiter leisteten einfach mehr, erklären ihm der Fabrikchef von Ducati und die Besitzer von Lardini.

In Frankreich nimmt er das Schulessen unter die Lupe, das gesund und abwechslungsreich sei und trotzdem nicht mehr koste als der Fraß, den amerikanische Kinder vorgesetzt bekommen. In Finnland muss er schockiert feststellen, dass Kinder hier weniger Unterrichtsstunden und keine Hausaufgaben haben, aber trotzdem die schlauesten Schüler sind. In Norwegen sorgt ein revolutionäres Strafsystem, das auf Rehabilitierung anstatt auf Rache baut, für weniger Verbrechen und vor allem weniger rückfällige Täter. Und wir sprechen von dem Land, in dem der Rassist Breivik 69 Jugendliche ermordet hat. Slowenien bis Portugal - überall, wo Moore hinkommt, gehen ihm - und uns - die Augen über ob der großartigen Errungenschaften der Zivilisation für ein besseres Zusammenleben, die wir angesichts der täglichen Nachrichten allzu leicht vergessen.

Extreme statt Schattierungen: Michael Moore eben

Und dann "erobert" Moore Deutschland. Es ist eine Übung in Demut, wenn er davon berichtet, wie dieses Land mit seiner Vergangenheit umgeht. Dass der Holocaust und das Dritte Reich nicht verschwiegen, sondern zum Thema gemacht werden: in der Schule wie auf der Straße, wo die Stolpersteine von vormaligen, von den Nazis vertriebenen und ermordeten Nachbarn erzählen. Nur wenn man sich zu seiner dunklen Seite bekenne, könne man sich bessern, so Moore und starrt auf alte und nagelneue Bilder der Geschichte des amerikanischen Rassismus.

Ja, das wird alles in Extremen erzählt. Schattierungen? Nein, danke. Es ist eben Michael Moore. Aber der staunende, bewundernde Blick auf das, was die Länder auf diesem Kontinent leisten, ist eine dringend notwendige Wiedervorlage. Und dann das Ende: Fast überschwänglich erklärt der Filmemacher vor den Resten der Berliner Mauer stehend das Unmögliche für möglich. Es ist beeindruckend, dass sich ausgerechnet Moore in diesen beunruhigenden Zeiten als weltgrößter Optimist entpuppt. Oder einfach nur konsequent.

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