Auffallend viele neue Sendungen mussten mangels genügender Einschaltquote rasch wieder vom Bildschirm verschwinden - wie "Hire or Fire" mit John de Mol bei ProSieben, "Für dich tu ich alles" mit ARD-Hoffnung Sebastian Deyle oder der spektakulärste Flop "Anke Late Night" mit Anke Engelke bei Sat1. Die Gründe sieht der Medienwissenschaftler Jo Groebel in der Tendenz, dass die Sender Erfolgreiches wie die Quizshows kopieren und dass bei den Zuschauern "so etwas wie eine Erregungssättigung" eingetreten sei.
Der Direktor des Europäischen Medieninstituts sagte, im Wettbewerb der Sender nehme die Risikobereitschaft ab. Die Programmangebote würden einander immer stärker angeglichen - "bis zum Formatklau". So habe es zum Beispiel allein fünf bis sieben verschiedene Sendungen über "Schönheits-Casting" gegeben. "Das Besondere geht flöten", meinte Groebel.
Keine Stammkundschaft mehr
Die Zuschauer seien immer weniger einem Lieblingssender treu, sondern würden das jeweils interessanteste Sendeformat wie Schönheitsoperationen auf jedem Kanal ansehen, der das Angebot im Programm habe. Zum Beispiel habe die zweite Staffel der RTL-Dschungelshow ihren Erfolg gar nicht mehr dem Skandal der ersten Staffel zu verdanken.
Ein Dauerbrenner entsteht nach seiner Einschätzung höchstens ein Mal im Jahr. Der letzte sei Günther Jauchs Quizshow "Wer wird Millionär?". Die erfolgreichsten Shows des Jahres seien fast ausnahmslos die lange etablierten Formate, allen voran "Wetten, dass...?" Groebel sagte: "Das Vertraute, Familiäre bietet letztlich größeren Erfolg als das Neue."
Die Programmmacher seien gezwungen, Neues nach "Schrotflinten-Taktik" mit viel Geldaufwand auf den Markt zu bringen, um vielleicht zufällig einen Erfolg zu landen. In diesem Jahr jedoch schienen viele neue Formate "fast todsicher zu sein", sagte Groebel. Er nannte "Hire or Fire" und das Sat1-Männercamp "Kämpf um deine Frau". Dagegen sei der Misserfolg von Anke Engelke absehbar gewesen.
ARD und ZDF in der "Generationenkrise"
Erstaunlicherweise würden in Deutschland aber auch erfolgreiche Sendungen "gekillt", monierte der Professor. Er verwies auf die ARD-Serie "Berlin, Berlin", die vor kurzem mit dem amerikanischen Fernsehpreis Emmy ausgezeichnet wurde. Der Ausstieg von Schauspielern sei kein Grund, eine Erfolgsserie einzustellen, das zeige die ARD-Serie "Verbotene Liebe".
Groebel wandte sich dagegen, gleich neue Trends auszurufen, sobald ein neues Programmformat Erfolg hat. "Eine wirkliche Trendwende hat stattgefunden mit dem Stilprinzip der Vermischung von Dokumentation, Information und Fiktion", sagte er. Diese Vermischung habe nämlich auch in Dokumentationen etwa von ZDF-Historiker Guido Knopp Einzug gefunden.
Schlechtes Benehmen als Programm
Als großen Trend könne man auch das "Gesindel-TV" bezeichnen. Der Medienwissenschaftler bezeichnete damit eine Bevölkerungsgruppe, die bis Anfang der 90er Jahre nicht im Fernsehen vorgekommen sei, weil sie zu ordinär und zu primitiv sei und schlechte Ausdrücke und schlechtes Sozialverhalten habe.
Groebel bescheinigte ARD und ZDF eine vielfältige Qualität. Die Aussage, das deutsche Fernsehen sei auf den Hund gekommen, sei "großer Quatsch". Es gehöre im Gegenteil "mit zu dem besten Fernsehen, das es weltweit gibt". Das liege zum Teil allein an der Quantität des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Dieses müsse sich allerdings einer "Generationenkrise" stellen.
Die Quoten von ARD und ZDF bei den jüngeren Zuschauern seien verheerend: "Die Jungen gucken situativ 'Was ist für uns interessant?'", erklärte Groebel, und sie blieben auch dabei, wenn sie älter seien. Hinzu komme, dass sie nicht mehr Fernsehen und Presse, sondern das Internet als glaubwürdigstes Medium ansähen, wie eine Umfrage des Europäischen Medieninstituts ergeben habe. Groebel riet den öffentlich-rechtlichen Sendern, ihre Online-Angebote "nicht primär" auf die Konkurrenz mit den Privatsendern abzustellen.