Herr Sachs, was haben Mülltrennung und FKK gemeinsam?
Beides sind sehr deutsche Eigenschaften. Die deutsche Seele ist getrennt in Ratio und Poesie, Vernunft und Abenteuerlust. Die Mülltrennung ist ganz klar Ausdruck unseres Pflichtbewusstseins. FKK ist wie Sturm und Drang und Romantik: Man wollte ausbrechen aus den Konventionen, suchte eine geistige und körperliche Freiheit. FKK ist unglaublich deutsch. Im Englischen Garten in München ist es vorstellbar, dass ein nacktes Pärchen neben einer picknickenden Familie liegt. Im Central Park und im Hyde Park - undenkbar!
Sie haben eine Ausstellung zusammengestellt, die "Typisch deutsch?" heißt. Dabei haben Sie den größten Teil Ihres Lebens nicht in Deutschland verbracht.
Ich habe in den so genannten formativen Jahren, von drei bis acht, in Deutschland gelebt. Ich bin sehr deutsch erzogen worden von meiner Großmutter in Kronberg. Sie hatte zwei Weltkriege mitgemacht. Sie hat mich im Graubrot-Stil erzogen: mit Liebe, aber auch sehr streng. Es ging barock zu.
Ihre Mutter starb, als Sie zwei Jahre alt waren. Ihr Vater Gunther Sachs trat erst in Ihr Leben, als er Sie zu sich nach Lausanne holte, da waren Sie acht.
Er hat mich in die Welt hinein geholt. Er war neugierig, voller Lebensfreude, hatte viele internationale Freunde, aber im Grunde war er sehr deutsch. Er war bodenständig und geradlinig - deswegen hat er sein Leben auch durchziehen können, ohne vom Weg abzukommen. Er war kein Verschwender. Ich bin in Lausanne bald ins Internat gewechselt, habe nicht mit meinem Vater zusammengelebt. Ich besuchte ihn ab und zu in seiner Wohnung in Paris. Die hing voller Kunst. Ich kannte bald jedes Bild, jeden Maler: Max Ernst, Günther Uecker, Victor Brauner sowie Vertreter des Noveau Surrealisme. Ich habe mich mehr für die Bilder meines Vaters interessiert als für seine damalige Frau, Brigitte Bardot. Die Bardot hat mich nicht so beeindruckt.
Sie leben seit 20 Jahren in London. Welche deutschen Worte hören Sie im täglichen Sprachgebrauch der Briten?
Gemütlichkeit, Wanderlust, Schadenfreude - und Angst. Es gibt keine englische, sondern nur eine German Angst. Die Engländer besitzen ein größeres Ego und damit eine größere Leichtigkeit des Seins. Eine englischer Geschäftsmann sagt sich: "Ich habe diese Nickelmine in Chile entdeckt. Die kaufe ich." Der Deutsche dreht den Euro vorher 20 Mal um, überlegt sich, ob er 8,5 Prozent oder 9,25 Prozent Rendite erzielen kann. Der Deutsche ist sparsam und vorsichtig. So bin ich auch. Ich schaue ständig 20 Jahre nach vorne.
Ein weiteres typisch deutsches Wort ist Heimweh. Wie stark plagt Sie dieses Gefühl?
Bei uns Deutschen sitzt ganz tief die Melancholie, daher rührt auch die Sehnsucht nach Heimatboden. Ich selbst habe keine Heimat und auch kein Heimweh. Ich bin in Europa aufgewachsen.
Wo fühlen sich Ihre drei Kinder sich zu Hause?
Bei Fußballspielen hält der eine Sohn für England, der andere für Deutschland, meine Tochter ist neutral. Wir besitzen ein Haus in den bayerischen Bergen, dort verbringen wir jeden Sommer. Dort haben meine Kinder den deutschen Jagdschein gemacht. Dadurch besitzen sie deutsche Wurzeln.
Welches Produkt ist für Sie typisch Deutsch?
Der Porsche. Der wird auch in 40 Jahre noch nicht in China nachgebaut werden können. Im Porsche vereinen sich die deutschen Tugenden: Präzision, Pünktlichkeit, Sauberkeit. Wir sprechen oft von dem Deutschen, der sich im Restaurant im Ausland darüber beschwert, dass sein Schnitzel zu kalt ist. Dieser Deutsche aber sorgt dafür, dass es Produkte wie den Porsche gibt. Er duldet keine Fehler.
Zum schönsten deutschen Wort wurde vor einigen Jahren "Habseligkeiten" gewählt. Was schleppen Sie, als Heimatloser, mit sich herum?
Ich liebe einfache Gebrauchsgegenstände. Bleistift, Bürste, Spaten, Schlitten. Wenn ich sie sehe, überkommt mich Nostalgie. Ich kenne sie seit Kindertagen. Sie haben für mich eine Seele - anders als etwa Plastikmöbel mit obendrein verschnörkelten Formen.
Gehen wir doch mal einige der typisch deutschen Begriffe durch. Was fällt Ihnen zu Pünktlichkeit ein?
Wenn meine Großmutter um 18 Uhr zum Essen eingeladen war, waren wir oft fünf vor sechs da. Wir sind so lange im Auto sitzen geblieben, bis es Punkt sechs war.
Reinlichkeit.
Jede Schublade und jeder Koffer bei uns daheim war mit Seidenpapier ausgelegt. Auf diese Idee würde kein Engländer, kein Franzose kommen.
Sicherheit.
Wenn ich in der Schweiz ein Bobrennen veranstalte, stürzt sich der Engländer jubelnd die Eisbahn runter. Der Deutsche fragt: "Sind wir versichert?"
Bodenständigkeit.
Der Junge aus dem Dorf bleibt gern in seinem Dorf. Die Kanzlerin Merkel passt sehr gut zu dieser Eigenschaft. So wie Helmut Kohl: Da wussten die Deutschen, wen sie haben. Ich bin mit dem ehemaligen Sekretär von Margaret Thatcher befreundet. Er erzählte, wie Thatcher einmal von einem Essen mit Kohl zurückkehrte, es gab wohl Saumagen, und sie sagte: "He's so German." Das war nicht als Lob gemeint.
Pflichtbewusstsein.
Wir sind pünktlich zur Arbeit, wir gehen nicht einfach raus und rauchen eine Zigarette. Das Leben ist dadurch nicht immer angenehm, aber die Dinge, die wir herstellen, funktionieren.
Das Reinheitsgebot.
Dieses Kulturgut ist auch ein Marketingtrick. So lässt sich das deutsche Bier besser verkaufen.
Ist der Gartenzwerg wirklich noch so wichtig in Deutschland, wie Sie es in der Ausstellung nahelegen?
Die damit verbundene Spießigkeit ist nicht mehr so präsent. Mir scheint, es stehen heute mehr Buddha-Figuren in deutschen Gärten als Zwerge.
Eine unschöne deutsche Eigenart ist der Neid. Wie oft haben Sie ihn zu spüren bekommen?
Am Anfang hieß es: Warum muss der Sachs jetzt Kunst machen? Dem bin ich mit beständiger Arbeit begegnet. Neid ist in einem Land, in dem es heißt "Schaffe schaffe, Häusle bauen", stärker verbreitet als in einer Nation, in der die Menschen sagen "Let's go". Die Aldi-Gründer, die Brüder Albrecht, haben abends im Dunkeln Dosenwurst gegessen, damit die Leute nicht über ihren Reichtum reden. German Angst.
Würden Ihre Kinder oder Enkel in 50 Jahren noch mal eine Ausstellung "Typisch deutsch" organisieren, was wäre dann anders?
Vielleicht wird FKK verschwinden, aber unsere Grundeigenschaften werden die gleichen sein. Auch das ist typisch deutsch: Wir ändern uns nur ungern.
Die Ausstellung "typisch deutsch" ist noch bis zum 20. April 2014 im Museum für Angewandte Kunst Köln zu sehen.