Ding Dong, die Hex' ist tot. Man ist ja immer ein bisschen stolz, wenn es eine deutsche Führungskraft in die "New York Times" schafft, aber so ist es dann doch ein wenig naja ... Julian Reichelt ist von seinen Aufgaben als Chefredakteur der "Bild"-Zeitung entbunden, oder besser: Er ist abgeschwollen.
Man hätte auch sagen können, er hat seine Papiere bekommen - aber bei jemandem, der versucht haben soll, mit gefälschten Scheidungsurkunden Praktikantinnen gegenüber eine stabile Kopulationsbasis zu schaffen, fühlt sich diese Formulierung auch irgendwie falsch an. "Sagen Sie, sind das eingerollte Scheidungspapiere da in ihrer Hose, oder freuen sich einfach nur, mich zu sehen?"
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Der Grund für seine nun dann doch etwas überraschende Absetzung: Reichelt habe Berufliches und Privates auch nach Abschluss eines Compliance-Verfahrens nicht klar getrennt. Was eine Untertreibung ist, als würde man behaupten, der Abzug aus Afghanistan hätte geordneter ablaufen können.
Nach allem, was wir zu wissen glauben, war das Regime des Entthronten eine einzige große Dieterwedelei. Ein System, in dem Frauen nach "Fuckability" eingestellt wurden, sich nach oben oder ins Abseits schlafen konnten und generell ein Klima des Misstrauens ("passt, das ist eine von Julian") und der Demütigung herrschte.
Das alles so herrlich schmuddelig garniert mit Drogen und Schmiergeld, sodass man sich schon fragen darf, warum es eigentlich noch Axel- und nicht Jerry-Springer-Haus heißt. Für manche Frau muss der Arbeitsalltag bei Dick Brave and the Bad Bilds so eine Art Squid Game gewesen sein.
Julian Reichelts Feldbett im Schwarzlicht
Vermutlich waren alle happy, wenn ab und an das Kamerateam von Amazon vorbeikam - solange die Doku gedreht wurde, waren sie sicher. Macht sich jemand die Mühe, das Feldbett in Reichelts Büro mit Schwarzlicht zu beleuchten, er würde vermutlich schneeblind werden.
Wenn wir eines über unsere Zeiten gelernt haben: Je heftiger du versuchst, eine Enthüllung zu verhindern, desto heller strahlt der mediale Atommüll. So auch hier, als diese von dem tapferen Investigativ-Team von Ippen-Media enthüllten Vorgänge plötzlich detailreich in der "New York Times" (!) zu lesen waren.
Kurze Frage: Wenn man bei Springer vorhatte, diese brisanten Details über Reichelt vor der Öffentlichkeit zu verstecken, warum haben sie dann nicht einfach bei BILD TV darüber berichtet? Auf der nach oben offenen Strauss-Kahn-Skala kriegt der Ex-Chef eine satte 7, während der Springer-Vorstand hektisch versucht, den Reißverschluss wieder einigermaßen würdevoll zuzukriegen.
Erst die "New York Times" brachte alles ins Rollen
Es ging dann doch irgendwie überraschend schnell: Im Februar prüft man via Freshfields zwei Wochen lang das Gebaren des leitenden Angestellten, stellt fest, dass es so schlimm dann nicht ist, nur um nach dem Artikel in der "New York Times" nach gefühlten fünf Minuten zu bilanzieren: Um Gottes Willen, der Mann muss weg! Es ist auch ein wenig blöd, wenn man expandiert, "Politico" kauft, den Einfluss auch in den USA vergrößern will und als Gastgeschenk einen schönen Präsentkorb voll #metoo mitbringt.
Andererseits: Wenn ich als CEO eines großen Medienhauses die letzte Bundesregierung mit der DDR verglichen hätte, dann würde ich zur Ablenkung auch erstmal meinen Chefredakteur entlassen, weil mir jetzt plötzlich aufgefallen ist, dass sein Verhalten ja so gar nicht geht.
Während wir alle fleißig über Reichelts Stöckchen springen, wird gerne übersehen, dass der eigentliche Skandal vor allem dieser ist: Lange hat sich Mathias Döpfner seinen priapistischen Printer als eine Art Mr. Stamper gegönnt, weil der "halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland" sei, "der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt. Fast alle anderen sind zu Propaganda-Assistenten geworden."
Welche Rolle spielt Matthias Döpfner?
Erst als es wirklich nicht mehr anders ging, musste Reichelt - um im "Bild" zu bleiben - den Biermann machen, wurde ins Exil geschickt. Julian Reichelt ist aber eben nicht der Kopf des Fisches, sondern bestenfalls: der Schwanz. Fast möchte man lachen: Der Vorstand eines Unternehmens, in dem andere unterdrückt, ausgeforscht und terrorisiert werden, riecht woanders DDR! Merkel-Diktatur?
Döpfner ist Chef eines riesigen Medienimperiums und klingt kaum anders als der Wendler. Der Mann ist überdies Vorsitzender des Verbandes der Zeitungsverleger. Wer das nicht unheimlich findet, der würde auch Jan Josef Liefers zum Gesundheitsminister machen. Die Partner in den USA und auch wir sollten deshalb umso kritischer drauf blicken, unter welcher weltanschaulicher Glocke da veröffentlicht wird.

Und wir, die wir so selbstzufrieden auf den jüngst erlegten Reichelt blicken, sollten darüber nicht vergessen, dass die Vorgänge an der Rudi-Dutschke-Straße exemplarisch für Tausende Unternehmen in Deutschland sind, wo exakt diese Unkultur völlig selbstverständlich ist.
Schlussendlich bleibt zumindest die schöne Pointe, dass Julian Reichelt die gute Arbeit vieler junger Journalistinnen wie Juliane Löffler am Ende irgendwie doch belohnt hat. Sie kamen halt nur nicht aus dem eigenen Haus.