Stellen Sie sich vor, Sie hängen in einem brennenden Haus fest – und in der Fahrerkabine sitzen die Feuerwehrleute und spielen auf dem Handy rum. So oder so ähnlich fällt heute stellenweise die Berichterstattung über Bodo Ramelow aus, der nach eigener Aussage gerne mal Candy Crush auf dem Smartphone daddelt, während "es um Leben und Tod geht".
Clubhouse: Ramelow spielt Candy Crush
Was war passiert? In der gerade sehr beliebten App Clubhouse treffen sich – vornehmlich prominente – Menschen, plaudern launig über Politik, Gesellschaft oder Banales. Wie bei einem Live-Podcast. Nur, dass es für User die Gelegenheit gibt, sich mit einer Frage einzubringen. Eigentlich ist es Twitter als Hörbuch.
In einer dieser launigen Runden setzte sich der Ministerpräsident für rasche Lockerungen ein – zumindest für die der eigenen Zunge. Vor tausend aufmerksamen Hörer*innen nannte der die Bundeskanzlerin "Merkelchen" und berichtete davon, dass er in zehnstündigen Corona-Konferenzen gerne mal Candy Crush spielt und es dort bis auf Level zehn bringt. Was die Inzidenzen in Thüringen angeht, bringt er es sogar fast auf 210.
Er nennt Merkel "Merkelchen"
Eingedenk dieser doch eher unrühmlichen Bilanz kommt es unglücklich rüber, outet man sich selbst als jemand, der während dieser weitreichenden Entscheidungen juchzend am Smartphone hängt.
Dass er die Frau, deren dringliche Warnungen er noch im Oktober ignoriert hatte, herablassend "Merkelchen" nennt, passt ins Bild eines Landesvaters, der mit dem seriösen Führen seines Bundeslandes offenbar überfordert scheint und auch sonst gerne sein Ding macht. Allerdings eben kein gutes.
Ein vermeidbares Debakel, hätte der redselige Candy Crusher bedacht, dass eine Runde, in der vornehmlich Journalisten, politische Mitbewerber, Tratschtanten und die in Social Media üblichen Entkontextualisierungsfachwirte sitzen, eher nicht dazu geeignet ist, menschliche Schwächen zu offenbaren. Und wenn jemand von Axel Springer im selben Raum ist, muss dir eh klar sein, dass da einer mit dem Benzinkanister zum Lagerfeuer erscheint.
Ramelow beschwert sich
Dass sich der dauerbeleidigte Landesvater mit der zuverlässig klemmenden Impulskontrolle im Nachhinein heftigst über den unfairen Umgang mit ihm und diese Indiskretion beschwerte, offenbart einen ziemlichen Mangel an Professionalität, oder um es anders zu sagen: Bei Candy Crush kommt er weiter als bei Clubhouse. In diesem "Raum" waren ja doch recht viele Menschen anwesend. Es war kein Gespräch unter drei, sondern eher unter Tausend. "Unter Tausend" – was die Neuinfektionen in Thüringen angeht, kann man davon nur träumen.

Grundsätzlich gilt: Privat bist du nicht bei Twitter, nicht im Clubhouse und nicht beim Kamingespräch im Springer-Haus. Privat bist du, wenn du mit dem Hund raus bist. Und diese Einsicht darf man von jemandem durchaus erwarten, der ein Bundesland durch diese Krise führt.
Abwägung zwischen Persönlichem und Privatem
Das mag ein bisschen schade sein für die Ungezwungenheit der Konversationen innerhalb dieser App – aber auch hier gilt wie bei allen Personen der Öffentlichkeit, eine gute Abwägung zu treffen zwischen Persönlichem und Privatem. Es ist absolut menschlich, sich in längeren Besprechungen abzulenken, und wer bei einer zehnstündigen (!) Sitzungen noch nie versucht war, sich anderweitig zu beschäftigen, der werfe den ersten Tetris-Stein.
Stellen Sie sich vor, es ist Konferenz und Söder södert ungehemmt vor sich hin oder es ginge gar ums Saarland – würden Sie da nicht panisch Snake auf dem Handy öffnen? Das ist alles komplett nachvollziehbar und menschlich. Das ist Rodeln in Winterberg allerdings auch.
Da, wo das Vertrauensverhältnis zwischen Bevölkerung und Landesführung zunehmend bröckelt, muss man von einem Krisenmanager aber erwarten dürfen, geistig anwesend zu sein, während man über die Existenzen Hunderttausender befindet. Oder wenigstens so tun.
Der Vorwurf gilt also weniger dem laxen Umgang mit dem Smartphone beim Candy Crush, sondern bei Clubhouse. Würde man bei Candy Crush wenigstens ein paar Impfdosen erspielen, dann ging's ja noch.
Andererseits: Beim Candy Crush verdaddelt man vielleicht ein bisschen Vertrauen, aber wenigstens nicht 500 Millionen Steuergeld. Womit wir bei den deutlich größeren politischen Problemen dieses Landes angelangt wären.