Das Problem an Safe-Spaces ist ja, dass es schnell einsam werden kann, wenn man sie nicht mehr verlässt − Shoutout Corona-Lockdowns. Trotzdem liegen Safe-Spaces in der Millennial-Generation im Trend, weil sie nun mal den Vorteil versprechen, dass einen dort einfach mal alle in Ruhe lassen.
Rap wird einfühlsam
2011 erbaute Casper für tausende Teenager den vielleicht ersten musikalischen Safe-Space im deutschsprachigen HipHop. Der Rapper erschuf ein neues (modernes) Männerbild im Rap, das vielen anschlussfähiger erschien als das bisherige Macho-Image anderer Musiker. Enge schwarze Hosen, Chucks, Schnürsenkel um die Knöchel gebunden, lange Haare hängen in die Stirn, auf einem schwarzen T-Shirt steht der Name einer Rockband, Kapuze über den Kopf gezogen und aus schwarzen Sony Kopfhörern hört man kaputte Stimmbänder sagen: "Ich tätowier' mir deinen Namen übers Herz − mit Ankern, damit jeder weiß wo meins hingehört." Oberflächlich beschrieben, sah so das neue Lebensgefühl aus, das Benjamin Griffey, der bis zu seinem elften Lebensjahr in den USA lebte, als Casper in Deutschland erschuf. Mit seinen Texten baute er ein Zelt aus einfühlsamen Texten und anschlussfähigen Gedanken, das ihn ins Radio und auf die großen Bühnen Deutschlands brachte.
Da man 2011 kein Wort für das alles hatte, was der junge Bielefelder auf seinem Album “XOXO” mit deutschem HipHop machte, erfand man eins: Emo-Rap. Abwegig war das nicht, denn alles klang irgendwie schmerzvoll, belastend, verkopft, aber halt auch erschreckend ehrlich. Casper gelang damals etwas, für das kurz zuvor der Rapper Kid Cudi in Amerika die Tür geöffnet hatte − er rappte über mentale Gesundheit und schenkte mit seinen Texten jungen Menschen einen Ort für ihre Ängste, deren Eltern keine Zeit für so was hatten. Bezeugen tun dies tausende blasse Millennial-Unterarme, auf denen noch heute steht: "Wir tragen Schwarz, bis es was Dunkleres gibt."
Casper: Bunte Sprachbilder auf Postrock- und Indie-Beats
Zwölf Jahre später ist nichts mehr schwarz. In einem rosa Outfit auf einer kleinen Insel mit bunten Blumen im blauen Meer liegend, klingen die ersten Worte von Caspers fünftem Studioalbum fast schon wie eine ironische Entschuldigung für das erste Kapitel seiner Karriere: "Ich habe heute wieder dran gedacht, dass ich mir zu viele Gedanken mach". Fünf Jahre nach "Lang lebe der Tod" trägt sein neues Album den Titel "Alles war schön und nichts tat weh" − ein Zitat aus dem Roman "Slaughterhouse-Five" von Kurt Vonnegut, den der Rapper während eines Lockdowns der Pandemie gelesen hatte.

Das neue Album klingt lebensfroher als Caspers frühere. Es ist ein Ausbruch aus dem Safe-Space. Auch das Soundbild ist ein neues: Postrock, Gospel, Indie und irgendwo dazwischen etwas Rap. Für die Produktion im Frühjahr 2020 nahm Casper sich Max Rieger, Musiker der Band "Die Nerven", an seine Seite. Das Ergebnis: Ein abwechslungsreiches, stellenweise sehr unerwartetes Klanggerüst und Texte, die in ihren Sprachbildern die vier vorherigen Alben überbieten.
Safe-Space und Ausbruch
Gefühlstechnisch schwankt der Rapper auf "Alles war gut und nichts tat weh", wie er es sagen würde: zwischen "Mount-Everest und Marianengraben". Einerseits gibt es Songs wie "Lass es Rosen für mich regnen" mit Lena Meyer-Landrut und "Gib mir Gefahr" mit Felix Kummer, die nach Freiheit, Ausbruch aus alten Mustern und irgendwie auch nach einem Ende der Pandemie klingen.
Andererseits gibt es Tracks wie "Wo warst du" über eine unbefriedigende Fernbeziehung und "Billie Jo" über das Schicksal eines Kriegsveteranen. Am Ende erinnern viele Songs an Caspers Durchbruchsalbum "XOXO". So etwa der sieben Minuten lange Storytelling-Track "Fabian", eine autobiographische Geschichte über einen krebskranken Freund, der an den 2011er Song "Michael X" erinnert. Auch "Zwiebel&Mett − Die Vergessenen Pt. 3" und "Das bisschen Regen − Die Vergessenen Pt. 4" funktionieren als Fortsetzungen zweier sozialkritischer Songs aus dem Jahr 2011, die vielen Fans der ersten Stunde noch im Gedächtnis sein dürften.
Wären seine Vorgänger nicht so gut gewesen, wäre es vielleicht sein bestes Album
"Alles war schön und nichts tat weh" klingt anders und doch vertraut. Rein textlich gesehen scheint es das ehrlichste Album in der Discographie des Musikers zu sein. Denn die größte Stärke der zwölf Songs ist das offene Eingestehen und Besprechen von Ängsten und Schwächen. Eine Qualität, die Casper im Deutschrap nur wenige nachmachen. "Alles war schön und nichts tat weh" ist Safe-Space und Mut-Macher auf eine Zukunft ohne Lockdowns und Krieg zugleich.