VG-Wort Pixel

Susi Kentikian "Alman-Taxi": Wenn die berühmte Boxweltmeisterin plötzlich von ihrer drohenden Abschiebung erzählt



Interview: 


Michel Abdollahi: Herzlich Willkommen zu Alman Taxi. Ich rede heute mit meinem Gast über all das, worüber Sie sich schonmal mit 'nem Migranten unterhalten wollten, aber auch einfach keinen gefunden haben. Die junge Dame, die kenn' ich doch! Hallo! Wohin, wohin?


Susi Kentikian: Einmal in die Stadt bitte.


In die Stadt. Ist voll heute, ne?


Ja.


Ist Demo.


Das dauert dann wahrscheinlich.


Ja, wir haben Zeit.


Ich kenn' Sie irgendwo her, ne? Kann das sein?


Ja? Woher?


Weiß ich nicht. Irgendwie kommt mir das... Haben Sie Sport gemacht oder so?


Ja.


Sie sind's, ne?


Ja!


Weltmeisterin, ne?


Ja.


Wow! Weltmeister habe ich noch nie gefahren.


Nicht? Noch nie?


Ne, nicht, dass ich mich erinnern würde. Wird man komisch angeguckt, wenn man als Frau boxt?


Ja gut, es ist halt...


Also dann auch als ausländische Frau, ne. Die Ausländer sind ja da immer sowieso  "Ah, wieso boxt du denn? Warum machst du denn..."


Ja, aber ich finde man kann boxen und auch gleichzeitig eine Frau sein und die zwei Sachen, wenn du das verbindest, finde ich immer ganz schön, weil dann zeigst du eben eine Frau kann eben auch eine Frau sein, aber auch eine Boxerin.


Und war für die Familie kein Problem?


Ja, mein Vater war schon anfangs dagegen,  weil er wollte immer, dass ich Turnerin werde.


Warum Turnerin?


Ja, weil er wollte immer, dass ich Spagat kann, und das kann ich bis jetzt nicht.


So Mädchensachen?


Ja genau! Und das wollte er halt unbedingt, aber wenn da nicht, wenn da keine Leidenschaft ist, dann... Also Talent war da, aber ich hatte eben diese... Ich bin nie zum Training gegangen und er war immer sehr sauer, weil er hat immer diese Monatsbeträge bezahlt und ging mal zu dem Trainer und meinte:  "Und wie macht sich so meine Tochter?" Und da meinte der Trainer so: "Ich hab' die nur einmal gesehen." Ich habe immer das Training leider geschwänzt, weil's mir keine Freude bereitet hat. Und beim Boxen war es halt anders. Also ich bin zum Training und vom ersten Augenblick,  mit meinen Buffalo Schuhen habe ich da mitgemacht. Und das war einfach ne ganz andere Geschichte. Also ja, das war Liebe auf den ersten Blick.


Was seid ihr? Armenier, ne?


Armenier, ja!


Und bist du immer schon hier gewesen, oder bist du hier geboren?


Ne, ich bin in Jerewan, also in Armenien und ich bin dann halt mit meiner Familie, als ich vier war,  nach Deutschland gekommen. 


Und wie war es für dich hier her zu kommen damals? Hast du Erinnerungen daran?


Also ich weiß, dass damals mein Vater nach Deutschland gekommen ist. Und irgendwann hat er gesagt, er möchte uns mit her nehmen. Also hat uns dann gerufen und dann hat meine Mutter die Sachen gepackt und dann sind wir halt auch dazu gekommen. Er ist ja auch geflohen damals wegen dem Krieg,  er sollte ja in den Krieg einziehen.


Welcher Krieg?


Um den Bergkarabach. Und er war ja Soldat.  Und dann hat er halt gesagt, dass mit der Familie dann, das wollte er nicht, hat er gesagt. Ich entscheide mich für meine Familie. Was hätten wir denn sonst gemacht, ohne unseren Vater. Das ginge gar nicht. Ja, und dann gab es die Möglichkeit und die haben wir dann halt,  die hat er dann genutzt.


Ach du bist ein richtiges klassisches Flüchtlingskind.


Ja.


Und was denkst du über die Flüchtlinge, wenn du das heute siehst, die hier her kommen?


Ja, es ist halt immer so 'ne Situation, ich bin ja auch Flüchtling. Also ich verstehe viele Sachen. Es gibt aber auch Sachen wo ich denke, "mh, schwierig". Also man muss immer jedem die Möglichkeit geben sich hier zu integrieren, also dafür stehe ich komplett. Aber ich sehe zum Beispiel Sachen nicht ein,  wo die nichts tun und Erwartungen haben.


Die Flüchtlinge?


Ja, das ist dann so...Weil ich weiß, meine Familie und ich wir haben damals auch wirklich gekämpft, wir haben nichts geschenkt bekommen, wir mussten arbeiten. Und deswegen finde ich immer, man muss dann schon ackern. Weil es ist ein tolles Land, es gibt viele Möglichkeiten, woanders kriegst du die Möglichkeiten nicht. Ich selber wäre in Armenien niemals Weltmeisterin geworden. Ich weiß es nicht. Nur Gott weiß was passiert wäre, aber so eine Karriere zu machen wie hier,  hätte ich dort niemals machen können. Und das war einfach so eine Fügung. Deswegen bin ich Deutschland sehr dankbar dafür. Und deswegen sollte man, man hat hier viele Möglichkeiten, deswegen muss man sich halt echt ein bisschen anpassen. Und man kommt aus einem fremden Land und denkt es ist alles so wie dort, so ist es ja aber nicht. Ich musste selber mit 17 zwei Jobs machen, damit wir die Kosten decken können für die Wohnung. Mein Vater hatte vier Minijobs,  weil er einen Vollzeitjobs nicht genehmigt bekommen hatte. Mein Bruder hatte drei Minijobs  und so haben wir das ganze Geld damals. Jahrelang haben wir so durchgehalten. Also wirklich, unser Tag lief so ab: Morgens aufstehen, Schule. Und dann habe ich abends eben noch geputzt und das war hartes Leben. Aber wir haben dafür gekämpft, dass wir in Deutschland bleiben. Und die Menschen, die hier her kommen, die wissen das gar nicht zu schätzen, was die hier haben.


Darf man das laut sagen als Ausländer, sowas?


Also ich habe damit kein Problem, weil ich möchte, dass alles fair ist. Also ich bin ein Fairness Mensch und jeder sollte für das was er bekommt auch etwas tun.


Und wie seid ihr hier geblieben? Was war euer Grund?


Unser Grund war, dass ich eben... Also meine Familie, wir haben gearbeitet, jeder hatte einen Job. Ich hab' damals noch meinen Profi-Vertrag bekommen, das war ein Zusatz Job, damit konnten wir die gesamten Kosten decken für unseren Lebensunterhalt. Ja, und dann haben wir hier unser Bleiberecht bekommen. 


Ach durch das Boxen habt ihr dann das Bleiberecht bekommen?


Nee, nicht durch das Boxen. Also wir hatten schon, weil wir ja nachweisen konnte, dass wir arbeiten. Das war erstmal der Grund. Dann kam noch zusätzlich, dann hat sich alles so Schlag auf Schlag ergeben, dass dann ich dann auf einmal einen Profi-Vertrag bekommen habe. Und das hat das nochmal komplett gesichert. So hatten sie gar keine Chance uns abzuschieben. Man wollte uns ja abschieben und hatte uns auch schon zum Flughafen damals gebracht.


Nein!


Ja, wir waren auch kurz vor der Abschiebung.
Du warst schon auf dem Weg raus?


Ja, war ja schon im Flughafen. Ja, das war schon echt krass.


Wie war das?


Nicht schön. Also ich weiß noch als die kamen, die Beamten und morgens um vier dann geklingelt haben an der Tür und gesagt haben: "Familie Kentikian" Ich hab' dann damals die Tür geöffnet und ich so "ja" und die so "ja Sie müssen Ihre Sachen packen, Euer Flug geht um 8h." Und ich hab total unter Schock gestanden, also ich konnte mich kaum bewegen, weil das war ein richtiger Schock.


Wie alt warst du?


Ich war zwölf.


Oh Gott! Und du bist zur Schule gegangen, hast Freunde gehabt?


Ja, alles. Freunde, Schule. Aber man hat noch ich weiß nicht was es war, es war wie ein Wunder. Man hat die Abschiebung noch Rechzeitig gestoppt. Weil ich hab' meinen Trainer angerufen, ich hab' unseren Anwalt angerufen. Ich hab' dann gesagt: "Ja die wollen uns abschieben! Wir werden gerade zum Flughafen gefahren." Und dann hat der Trainer von mir alle möglichen Leute angerufen. Und man hat die Abschiebung dann so gestoppt, dass man dann einen Petitionsantrag gestellt hat. Und so durften sie uns dann nicht mehr abschieben und mussten uns dann wieder nach Hause fahren. Aber dieser ganze Weg und diese drei, vier Stunden, die wir dort verbracht haben waren die Hölle. Also ein psychischer Knock-Out für die Familie auch.


Hast du das Gefühl, dass Sport wichtig ist? Für junge Migranten, um sich zu integrieren? Also ist das ein Integrationsmedium?


Ja absolut! Also ich glaube Sport ist sehr sehr wichtig. Durch Sport kommst du nicht auf blöde Gedanken irgendwie andere Sachen zu machen, die halt nicht so gut sind. Ich hätte selber auch wahrscheinlich entweder Depressionen oder sonstiges gehabt, wenn ich meinen Sport nicht hätte. Da bin ich komplett ehrlich. Weil das hat dieses Gleichgewicht wieder gebracht, dass ich etwas in meinem Leben gemacht habe. Weil du drehst ja durch, du darfst ja gar nichts machen. Und diese Umstände, in denen man lebt. Man hat keine Privatsphäre in einem kleinen Raum.


Im Heim. Im Ausländerheim, im Asylantenheim, ne?


Das ist nicht einfach, also sowas ist echt nicht einfach!


Wie lange habt ihr im Heim gelebt, weißt du das noch?


Wir haben dort...  Also wir waren zuerst in einem Container, zwei Jahre. Und von dort aus dann in ein Wohnheim, auch nochmal ca. acht Jahre. 


Du hast zehn Jahre deines Lebens quasi im Heim gelebt?


Ja.


Mit der ganzen Familie in einem Zimmer?


Ja. Und dann geboxt noch, ja.


Dann wärst du wirklich verrückt geworden, wenn du nicht was anderes gemacht hättest.


Eben. Deswegen war da das Boxen...


Keine Privatsphäre, kein gar nix, ne? Kein Zimmer...


Ich war immer draußen. Hab' mich draußen tagtäglich (aufgehalten). Also ich war immer, ich hab' entweder draußen gespielt, oder, ja.


Du hast zehn Jahre im Heim gelebt? Weißt du noch wie das war in die eigene Wohnung einzuziehen, irgendwann?


Das war... Das kann ich gar nicht beschreiben wie das war. Das war unglaublich. Das war wie ein Traum. Ich hab' ja, also ich hab' immer gedacht, dass das nie geschehen wird. Es war so, dass ich die Hoffnung schon (verloren hatte). Man sagt ja immer, die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber ich hatte gar keine Hoffnung mehr. Weil zehn Jahre, da denkst du du wirst schon dein ganzes Leben dort sein. Da gibts kein Ende. Aber da war ich auch noch jung. Ich meine es ist klar, irgendwann kommt ein Ende und es kommen bessere Zeiten. Aber bei uns hat es eben zehn Jahre gedauert bis wir dann wirklich in eine Wohnung kamen. Und als dann gleichzeitig mein Vertrag kam und dann habe ich mir irgendwann selber eine Eigentumswohnung gekauft und alles. Dann haben sich diese zehn Jahre Leiden irgendwann ausgezahlt, ja!


Das ist aber schön, dass du das so siehst. Du musst deine Geschichte immer wieder erzählen. Das ist eine unglaublich spannende Geschichte. Weil das öffnet den Leuten glaube ich die Augen.


Auch wenn es mir immer schwer fällt, aber da ich das weiß, mache ich es auch. Weil wenn ich in die Tiefe gehen würde, dann würde ich tatsächlich sehr emotional werden und das will ich eben auch vermeiden, weil das kann sich wirklich keiner vorstellen. Das sind jetzt nur so Worte und Erzählungen, aber so etwas erlebt zu haben, ist halt echt nicht einfach gewesen.

Parallelgesellschaften, Ramadan, Integration: Statt mit Migranten zu sprechen, spricht man oft über sie. Wie geht es diesen 25 Prozent in unserem Land? Michel Abdollahi nimmt Sie mit auf eine Fahrt im "Alman-Taxi"! Diesmal zu Gast: Susi Kentikian.

"Alman Taxi" ist eine Initiative von Deutsch Plus und Michel Abdollahi im Rahmen des Förderprogramms der Bundesregierung “Demokratie leben”. Der stern als Medienpartner zeigt ausgewählte Videos dieser Reihe. 

Mehr zum Thema

Newsticker