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Interview Wie viel Pflege braucht ein Seitenscheitel, Herr Kleber?

"Einmal kämmen, fertig"
Der "Spiegel" wollte ihn, er blieb lieber beim ZDF. Im stern-Interview erzählt Claus Kleber, wie er das "Heute-Journal" aufmöbeln will - und wie lange er braucht, um sich selbst aufzumöbeln.
Von Oliver Fuchs und Alexander Kühn

Herr Kleber, lassen Sie uns über Ihre berufliche Zukunft reden. Welcher Job wäre es wert, die Moderation und Leitung des "Heute-Journals" abzugeben?

"Spiegel"-Chefredakteur.

Der Zug ist abgefahren.

Stimmt. Aber es war die einzige Aufgabe, die mich in fünf Jahren "Heute-Journal" über einen Wechsel hat nachdenken lassen. Und nachdem ich so eine Riesenchance abgesagt habe, macht mir wahrscheinlich kein Mensch mehr ein Angebot. Ich habe meiner Truppe gleich nach der Entscheidung gesagt: "Ihr werdet mich nicht mehr los."

Haben sich Ihre Mitarbeiter auch ein bisschen gefreut?

Nach dem entscheidenden Gespräch mit dem Intendanten und dem Chefredakteur kam ich gerade rechtzeitig zur 18-Uhr-Sitzung in die Redaktion - und schon stand Champagner da. Sie waren froh, dass ich bleibe, aber damit ist es auch gut. Jetzt ärgern sie sich schon wieder über die Sprunghaftigkeit ihres Chefs.

Hatten Sie Angst vor dem "Spiegel"?

Nein. Als die "Spiegel"-Leute bei mir anriefen, hatte ich aber erst mal den Verdacht, mein Name solle nur ein bisschen Bildschirm-Prominenz in die Debatte bringen.

Wie lief Ihr Bewerbungsgespräch ab?

Ich wurde gefragt, ob ich mir zutraue, mit ähnlichem Genie wie Stefan Aust die richtige Titelgeschichte zu finden. Da konnte ich nur sagen, ich hoffe es. Ich war in Hamburg, habe zwei Stunden lang mit den Gesellschaftern darüber gesprochen, was beim "Spiegel" not täte.

Nämlich?

Sorgfalt im Handwerk. Die machen sich zum Beispiel Sorgen, dass der "Spiegel" nicht mehr das Leitmedium für Deutschland sei. Manche glauben, dass das besser wird, wenn sie wieder Kommentare einführen. Seit Augsteins Tod gibt es die nicht mehr. Ich habe gesagt: Liebe Kollegen, natürlich könnt ihr das Leitmedium in Deutschland sein. Wer denn sonst? Aber das geht nicht mit Bevormundung.

Was soll das denn heißen?

Bevor man eine Nachricht kommentiert, muss man erst mal erklären, wie sie zustande kommt. Welche Interessen stecken dahinter? Wer will was warum? Wie funktioniert die Mechanik der Macht? Der Artikel muss sich auch mit den Argumenten der Gegenseite auseinandersetzen. Allen! Nachvollziehbar, gut strukturiert. Dann kann meinetwegen kommentiert werden. Aber so weit ist der "Spiegel" zurzeit nicht. Ich hatte aktuelle Artikel dabei. Wir haben da nicht gekuschelt. Es ging um alle möglichen Aspekte - und das war auch konfrontativ. Ich hab ihnen gedroht, dass ich ein Chefredakteur wäre, der ihnen dauernd im Nacken sitzt. Mir hat’s gefallen, aber ich habe mir keine Hoffnungen gemacht. Zwei Tage kam kein Anruf - dann ging’s nach Las Vegas. Ausgerechnet!

Wo Sie eine Reportage gedreht haben.

Nach neun Stunden Flug haben wir noch bis nachts um eins gefilmt, ich habe nicht eine Sekunde an den "Spiegel" gedacht. Und dann wurde ich am nächsten Morgen um halb sechs geweckt, mit der Auskunft, im Internet sei zu lesen, dass ich Chefredakteur werde. Erst mal haben wir zu Ende gedreht, dann ging es von Las Vegas nach Mainz, dann nach Hamburg und wieder zurück nach Mainz. 48 intensive Stunden! Meine Frau und ich waren dann spazieren, haben lange gesprochen. Danach habe ich gesagt: Ich bleibe.

Warum?

Ich habe meinen Bauch entscheiden lassen.

Wie hat der die Entscheidung begründet?

Mein Bauch begründet nicht.

Ist der ZDF-Intendant vor Ihnen auf die Knie gefallen, damit Sie bleiben?

Dazu neigt er nicht. Nein, das Haus hat mir und meinem Team versprochen, dass strukturelle Hindernisse abgebaut werden …

Jetzt sprechen Sie schon wie ein Politiker!

Ertappt. Etwas konkreter: Wir müssen eine Handschrift des "Journals" entwickeln - auch außerhalb der Moderationen. Ende des Jahres ziehen wir in das neue Nachrichtenstudio, das sich da unten (zeigt aus dem Bürofenster) gerade im Rohbau befindet. Da entstehen ganz neue Möglichkeiten, die wir optimal nutzen müssen. Dann haben wir auch keinen Moderator mehr, der an seinem Schreibtisch festgetackert ist. Ich will mich bewegen können. Außerdem schaffen wir Platz für Computeranimationen und Grafiken neben den Moderatoren.

Also: Bürgerkrieg in Kenia - und Kleber mittendrin? Flugzeugabsturz - und neben Ihnen segeln die Wrackteile runter?

Würden Sie so einen Unsinn sehen wollen? Glauben Sie im Ernst, dass junge Leute dann begeistert sagen: "Wow, ist das spacig"? Wir drehen ja nicht die Fortsetzung von "Independence Day"! Nein, bloß keine billigen Effekte. Ich will den Raum nutzen, um Zusammenhänge zu erklären. Wenn wir zum Beispiel über die US-Immobilienkrise berichten, dann werden wir diese Machenschaften begreifbar machen, zum Beispiel mit 3-D-Grafiken.

So wie die Tiefdruckkeile, die hinter Jörg Kachelmann das nördliche Europa überqueren?

Na ja, sagen wir mal: so ähnlich.

Und was wird aus Gundula Gause?

Keine Sorge, sie bleibt. Keine Grafik kann Gundula ersetzen.

Schauen Sie "Switch Reloaded", diese Comedy-Reihe auf Pro Sieben? Dort werden Sie beide Woche für Woche parodiert.

Ich seh mir das im Internet gern auf Youtube an. Super fand ich die Folge, in der Gundula zu mir sagt: "Merkst du eigentlich nicht, dass das alles hier Fake ist? Das kann doch nicht wahr sein! Claus Kleber und Gundula Gause - so heißt doch niemand. Das klingt doch wie Klaas Klever und Gundel Gaukeley in den Micky-Maus-Heften. Das hat sich doch jemand ausgedacht."

Was ist an Claus Kleber parodierenswert?

Zum Jammer der deutschen Bekleidungsindustrie sitzen meine Sakkos immer schlecht - mit einer Ausnahme, das ist das Werk eines wunderbaren alten Schneidermeisters aus Schwäbisch Gmünd. Ich hänge immer irgendwie so auf halb acht, schiefe Haltung, schiefes Gesicht, das kann man gut karikieren. Reicht das?

Aber Sie sind doch der Robert Redford des deutschen Nachrichtenjournalismus. Ein Gentleman und Frauenschwarm, wie eine spontane Umfrage bei stern-Redakteurinnen ergab. Sie haben Glamour.

Können Sie mir mal sagen, wie? Ich bin nie auf diesen roten Teppichen, ich fahre einen alten Mercedes-Kombi, ich trage Anzüge, die bestenfalls vor zwei, drei Jahren modisch waren. Meine Lieblingsjeans sind gerade in Reparatur, weil das Loch in der Tasche zu groß geworden ist.

Das Supermodel Cindy Crawford hat mal gesagt: Wenn ich morgens aufstehe, sehe ich auch nicht aus wie Cindy Crawford. Wie lange brauchen Sie, um auszusehen wie …

… Claus Kleber? 15 Minuten. Mit Duschen und Rasieren. Können auch 12 oder 17 sein.

Ab welchem Alter sollte ein Mann Feuchtigkeitscreme benutzen?

Wenn die Haut juckt.

Wie viel Pflege braucht ein Seitenscheitel?

Einmal kämmen, fertig.

Frustrierend, wenn keiner auf Ihre Moderationen achtet und alle nur auf Ihre Curaçao-blauen Augen?

In einem Café kam neulich eine Dame auf mich zu, extravagant, weltgewandt und deutlich in den Siebzigern. Sie beugte sich über den Tisch: "Nehmen Sie mir’s nicht übel, aber ich wollte einmal in diese Augen gucken." Das war so was von nett. Wenn sie zu mir gesagt hätte, großartig, wie Sie neulich das Dilemma von Schäuble in vier Worten zusammengefasst haben - das hätte mich bei Weitem nicht so gefreut.

Sind Sie Journalist geworden, um Frauen zu gefallen?

Nein. Ich wollte reisen. Von einer Klassenfahrt nach England abgesehen, hatte ich bis zum Abitur noch nichts von der Welt gesehen. Als Kind wollte ich Astronaut werden oder Pilot. Mit zwölf konnte ich von jeder gängigen Rakete die Schubkraft und alle sonstigen Daten runterbeten. Aber bei der Moped-Führerscheinprüfung stellte sich heraus, dass ich eine Brille brauche. Aus der Traum. Später wollte ich sein wie die Männer im Fernsehen, die am Sonntagabend aus fernen Ländern berichteten.

Wer hat Sie besonders beeindruckt?

Peter Scholl-Latour, wie er in den 60er Jahren mit einem Einbaum auf dem Kongo fährt und Rotchinesen sucht - die gelbe Gefahr auf dem schwarzen Kontinent. Das war damals nach der Ermordung von Ministerpräsident Lumumba ein Riesenthema. Scholl-Latour stand mit dem Mikrofon in der Hand auf der winzigen Plattform am Ende des Kanus, die Schwarzen paddelten ins Herz der Finsternis, und er erklärte die Welt mit seiner berühmten nasalen Stimme. Am Ende der Clou: "Chinesen haben wir keine gesehen am Kongo." Das war großartig. Ich war ganz sicher: Am Abend fliegt der nach Norden und sitzt mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in Rick’s Café. Da könntest du auch stehen, dachte ich, vielleicht würdest du sogar Chinesen sehen.

Sie waren 15 Jahre Korrespondent in Washington. Haben Sie manchmal Heimweh nach Amerika?

Immer wenn ich für ein paar Tage dort bin, merke ich, wie mich die Atmosphäre einfängt. Aber leben muss ich dort nicht mehr.

Schuld an Ihrer Liebe zu Amerika ist ja Ihr Vater.

Er war als Ingenieur dort manchmal auf Dienstreise. Wenn er zurückkam, erzählte er mir von einer Welt, in der die Autos acht Zylinder haben, die Straßen doppelt so breit sind wie bei uns und die Menschen freundlich miteinander umgehen. Ich hatte mir Amerika immer in Breitwand und Farbe vorgestellt. Und so war’s dann auch, als ich zum ersten Mal dort war, mit 20.

Sie haben das Land auch in seiner schlimmsten Stunde erlebt, am 11. September 2001. Da waren Sie Studioleiter in Washington und berichteten für die ARD stundenlang live über den Angriff auf Amerika.

Ich hab die ganze Zeit gedacht: red keinen Mist, red keinen Mist, red keinen Mist. Sag nur das, was du weißt. Aber wir wussten so verdammt wenig. Ich hab mich den ganzen Tag gefragt, wie manche schon nach 20 Minuten verkünden konnten, dass al-Qaeda hinter den Anschlägen steckt.

Wie sind Sie mit dem Druck fertig geworden?

An dem Tag selbst zählte nur Professionalität. Die Gefühle kamen mit Verzögerung. Eine Woche später. Es war ein herrlicher Spätsommertag, ich joggte am Potomac entlang, da kam mir die Frage eines Freundes in den Sinn, der mich an dem schwarzen Tag angerufen hatte: "Wie ist es, das Sterben von 3000 Menschen live zu übertragen?" Ich konnte nicht mehr weiterlaufen. Da war erst mal Schluss. Ich hab den Stress aus mir rausgeheult.

Sie haben als Korrespondent vier Präsidenten erlebt. Reagan, Bush, Clinton, Bush. Wer wird der nächste?

Schwer zu sagen. Die Amerikaner sind jedenfalls wie betrunken von Obama. Vielleicht ist er genau das, was das Land jetzt braucht: eine leuchtende Gestalt. Einer, der den amerikanischen Traum lebt. Der Deutsche in mir sagt: Das kann doch nicht gut gehen, so ein unerfahrener Mann. Und der Amerikaner, der sich da auch längst eingenistet hat, fragt: why not?

Wann haben Sie angefangen, sich für Politik zu interessieren?

Ich hatte Lehrer, die überzeugt waren, dass die Schule junge Menschen politisch aufwecken muss. Da war Klaus Kröner, mein Deutschlehrer, bei dem wir Zeitungsartikel lasen, über Atomenergie diskutierten, über Mitbestimmung und Notstandsgesetze. Ich weiß noch, wie er uns beibrachte, dass Demonstrationsfreiheit ganz schön ist, dass sich manchmal aber nur dann wirklich was ändert, wenn man die Staatsgewalt lahmlegt, mit zivilem Ungehorsam. Und da war meine Geschichtslehrerin, Elisabeth Gutmann, ihre Lebensthemen waren der Holocaust und die Ostpolitik. Einmal hat sie uns einen Film über die Befreiung der Konzentrationslager gezeigt, wie die alliierten Soldaten fassungslos vor den Leichenbergen standen. Als es im Klassenzimmer wieder hell wurde, ging sie nach vorn und hielt die Titelseite der Zeitung von diesem Tag hoch: Brandts Kniefall in Warschau. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie musste nichts sagen. Brandts Geste war damals umstritten. Bei uns in der Klasse nicht mehr. Solche Augenblicke, in denen niemand mehr Worte braucht, wünsche ich mir auch in einer Nachrichtensendung.

Es ist ja nicht so, dass Sie sich nichts trauen. Einmal hatten Sie einen Hund im Studio …

… das war Emma, der Golden Retriever von meiner Kollegin Dunja Hayali. Die hatte für diesen Tag keinen Hundesitter gefunden. Dann kam die Meldung, dass der Bundesgerichtshof die Rechte von Hundehaltern in Mietwohnungen stärkt. Das brachte uns auf diese Schnapsidee. Manchmal können wir uns halt nicht bremsen. Dass da ein Tier auf dem Tisch liegt, hat vielen nicht gefallen. Na gut, da haben wir mal übertrieben. Aber das passiert, wenn man was riskiert.

"Macht mehr Fehler!", sagt Brecht.

Und Jürgen Klinsmann sagt: "Try and you will see!" Von ihm würde man nie hören: Das geht nicht, das haben wir noch nie so gemacht. Da ist er mir ein Vorbild. Wenn ich daran denke, wie man ihn damals durch den Kakao zog, als er aus Amerika kam, einen Psychoguru engagierte und die deutsche Nationalmannschaft mit Gummibändern trainieren ließ. Aber Klinsmann hat gewonnen, in jeder Beziehung.

Und Sie?

Ich gebe uns ein Jahr, um das "Heute-Journal" zu modernisieren.

Vor allem müssen Sie junge Zuschauer gewinnen. 80 Prozent Ihrer Stammkunden sind 50 Jahre und älter.

Das ist eine Herausforderung. Es geht bestimmt nicht, indem man künstlich jugendlich tut. Ich war im Januar in New York in dem neuen großen Apple-Store in SoHo. Da standen hinter den coolen Bildschirmen Schwarze und Weiße, Junge und Alte, Business-People und HipHop-Boys. Apple hat es geschafft, aus einem Arbeitsgerät etwas zu machen, was alle anzieht. Es geht darum, originell, direkt und einfach gut zu sein. Dann zählen Altersschranken nicht. So was Ähnliches müssen wir beim "Heute-Journal" auch schaffen.

Ihre Töchter sind 19 und 21. Schauen die "Heute-Journal"?

Natürlich. Meine ältere Tochter guckt es jeden Morgen im Internet, in der ZDF-Mediathek, die viele junge Leute holt. Es läuft in ihrer Studentenbude auf dem Laptop, während sie sich für die Uni fertig macht. Ansonsten mögen die beiden "CSI", "Dr. House" und Stefan Raab. Mit der Jüngeren war ich mal beim "Deutschen Fernsehpreis", als Raab auf mich zukam und sagte: "Hey, supertoll, wie ihr das macht!" Er meinte tatsächlich das "Heute-Journal". Da wuchs ich in ihren Augen um mindestens vier Zentimeter. Und einen Moment lang fand ich mich selber cool.

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