Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat im Bundestag die mit den Ländern beschlossenen drastischen Corona-Maßnahmen verteidigt. "Die Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen, sind geeignet, erforderlich und verhältnismäßig", sagte sie am Donnerstag in einer Regierungserklärung, die mehrfach von Zwischenrufen aus den Reihen der AfD unterbrochen wurde. Merkel betonte mit Blick auf die rasant steigenden Infektionszahlen: "Wir befinden uns zu Beginn der kalten Jahreszeit in einer dramatischen Lage."
Es gebe kein anderes, milderes Mittel als konsequente Kontaktbeschränkungen, um das Infektionsgeschehen auf ein beherrschbares Niveau zu bringen, sagte Merkel weiter. Es gehe darum, die Kontakte in den kommenden Wochen auf ein "absolut notwendiges Minimum zu reduzieren". Mit Blick auf die Schließung von Freizeit- und Kultureinrichtungen sowie der Gastronomie sagte die Kanzlerin: "Ich verstehe die Frustration, ja die Verzweiflung gerade in diesen Bereichen sehr."
Merkel zitiert YouTuberin Mai Thi Nguyen-Kim
Die vielen erarbeiteten Hygienekonzepte seien nicht sinnlos, sie würden später auch wieder gebraucht. Aber in der gegenwärtigen Infektionslage "können diese Hygienekonzepte ihre Kraft nicht mehr entfalten". Zum Abschluss ihrer Rede betonte Merkel: "Der Winter wird schwer, vier lange schwere Monate, aber er wird enden."
Gegen Ende ihrer Regierungserklärung zitierte die Kanzlerin ein Interview mit der 33-jährigen Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, die auf ihrem YouTube-Kanal "maiLab" alltagstauglich Wissenschaft erklärt. Bekannt wurde sie auch durch ihre Erklärvideos zum Coronavirus.
In den kommenden Wochen und Monaten werde es entscheidend sein, dass möglichst alle verstehen, warum Maßnahmen beschlossen werden, so die Kanzlerin. "Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim hat genau darüber neulich in einem Fernsehinterview etwas gesagt, was ich persönlich nie so anschaulich formulieren könnte wie sie und was zugleich meine tiefe Überzeugung beschreibt, und deshalb möchte ich es hier aufgreifen", sagte Merkel vor dem Plenum.
Wenn das Coronavirus denken könnte
Es gehe um die Haltung zu dem Virus. Wenn man sich vorstelle, dass das Virus denken könne, würde es sagen – und da zitiert Merkel Nguyen-Kim: "Ich habe hier den perfekten Wirt. Diese Menschen, die leben auf dem ganzen Planeten. Die sind global stark vernetzt, sind soziale Lebewesen. Die können also nicht ohne soziale Kontakte leben. Die sind hedonistisch veranlagt. Die gehen gerne feiern. Also besser kann es gar nicht sein."
Merkel zitierte Nguyen-Kim weiter, dieses Mal aus der Perspektive der Menschen: "Ne, Virus. Hast du denn gar nichts aus der Evolution gelernt? Da haben wir Menschen schon mehrfach gezeigt, dass wir verdammt gut darin sind, uns in schwierigen Situationen anzupassen. Wir werden dir zeigen, dass du dir den falschen Wirt ausgesucht hast." Und weiter: "Wenn wir uns klarmachen, dass es sonst auch viel schlechter laufen könnte, kann man da auch die Motivation für manchen Verzicht draus ziehen."
Aussagen aus Interview zum Thema Corona und Generationen
Die Äußerungen Mai Thi Nguyen-Kims, die Merkel hier zitiert hat, stammen aus einem ZDF-Interview vom 18. Oktober, geführt von Claus Kleber. Thema ist die Solidarität der Generationen in der Corona-Pandemie und ob die jüngere Generation für steigende Corona-Zahlen verantwortlich sei.
Ob es auf Fakten basiert sei, wenn man jungen Menschen in dieser Phase der Pandemie jetzt doch eine Menge Verantwortung auf ihre Schultern packe, fragt Kleber. "Zumindest muss man davon ausgehen, dass sich mehr jüngere Leute anstecken. Das sieht man daran, dass die Infektionszahlen steigen, aber wir haben nicht so viele Todesfälle wie Anfang des Jahres", antwortet Nguyen-Kim. Dies spreche dafür, dass sich vor allem junge Menschen anstecken würden.
Die 33-Jährige zieht in der Debatte um die Solidarität der Generationen einen Vergleich zur Klimadebatte. "Bei der Klimakrise ist es ja tatsächlich noch so, dass mancher, je nachdem wie alt man ist, gewisse Folgen der Klimakrise tatsächlich nicht mehr miterleben wird." Junge Menschen dürften im Gegenzug in der Coronakrise nicht denken, dass es sie nicht betreffe. Nur weil man jung und gesund sei, hieße das nicht, dass man weniger von steigenden Fallzahlen betroffen ist.
"Aber ich hoffe, dass wir – wie gesagt – in der Coronakrise verstehen, dass es weniger darum geht, dass einer dem anderen einen Gefallen tut, sondern dass wir gemeinsam im selben Boot sitzen", so Nguyen-Kim.
"Man kann auch versuchen, die Maßnahmen ermächtigend zu sehen"
Zum Abschluss fragt Kleber, welchen Ratschlag Nguyen-Kim jungen Menschen geben könne. Zwei Dinge würden die Menschen frustrieren, antwortet sie. Zwar würden sich viele Menschen hinter das Ziel stellen, die Infektionszahlen zu verringern. In puncto Maßnahmen und den dazugehörigen Debatten dürfe der Frust über die politischen Maßnahmen sich aber nicht mit diesem grundlegenden Ziel vermischen.
Zum anderen sähen sich viele in den Maßnahmen eingeschränkt. "Aber man kann auch versuchen, die Maßnahmen ermächtigend zu sehen", so Nguyen-Kim, die dann den Vergleich mit dem "denkenden Virus" zieht, den Kanzlerin Merkel nun zitierte. "Wir werden dir zeigen, dass du dir hier den falschen Wirt ausgesucht hast", sagt die Wissenschaftlerin und junge Mutter in Richtung Coronavirus. Dass sie von der Bundeskanzlerin zitiert wurde, kommentierte sie auf Twitter mit den Worten: "Freunde der Sonne..."
Mai Thi Nguyen-Kim ist studierte Chemikerin. Sie hat unter anderem an der RWTH Aachen und der Harvard University geforscht. Seit 2018 moderiert sie die außerdem das Wissenschaftsmagazin "Quarks" in der ARD. Anfang Oktober erhielt sie den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland als Anerkennung für ihre aufklärerische Arbeit zum Thema Wissenschaft.
Quellen: ZDF, Nachrichtenagentur AFP