Beim gerade beendeten Nato-Gipfel in Madrid stand die Forderung nach Einigkeit und gemeinsamem Vorgehen klar im Fokus. Die Welt, so Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ist gefährlicher geworden. Maybrit Illner nahm den Gipfel als Sendungsthema auf und wollte wissen: "Krisengipfel gegen Putin – wie lange hält der Westen durch?"
Zu Gast bei "Maybrit Illner" waren:
- Stefanie Babst, ehemalige Nato-Chefstrategin, seit 2020 strategische Beraterin und Publizistin
- Nicole Deitelhoff, Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungspolitik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Direktorin der Hesischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)
- Omid Noripour (Bündnis ´90/Die Grünen), Parteivorsitzender
- Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, stellvertretender CSU-Vorsitzender
- Claus Kleber, ehemaliger Moderator des ZDF-Heute-Journals, Autor u. a. Dokumentation "Die Bombe"
- Im Vorfeld gab es ein Interview mit Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär
Mehr und bessere, modernere Waffen für die Ukraine
Im nachmittags aufgezeichneten Interview mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte dieser, dass die Aufgabe der Nato im "heißen Krieg" sei, die Ukraine zu unterstützen und eine Eskalation zu verhindern. Und die Unterstützung müsse an- und ausdauernder Natur sein, wir werden "mehr tun müssen", so Stoltenberg. Wie genau diese Leistungen aussehen, dürfte mittlerweile klar sein: Mehr Waffen, mehr Ausrüstung, bessere, modernere Waffen, schwerere Geschütze. Es muss und wird schneller geliefert werden und für Stoltenberg ist die Botschaft dieses Gipfels gewesen, dass gemeinsam die Entscheidung getroffen wurde, "mehr zu tun", in jeglicher Hinsicht.
Es sei "wahrscheinlich", dass der Krieg am Verhandlungstisch enden wird und bis dahin müsse die Ukraine in die Lage versetzt werden, die bestmögliche Verhandlungsposition zu erreichen. Und das geht eben nur mit ausreichenden Waffenlieferungen. Tatsächlich sind solche Aussagen natürlich wichtig und richtig und doch fehlt in Politik-Talkshows oft eine Einordnung für alle, die keine MilitärexpertInnen sind. Bei Maybrit Illner waren gleich zwei Expertinnen zu Gast, die diese Rolle auch besonnen übernommen haben. Gleichzeitig ist es an manchen Tagen aber auch schwer zu ertragen, wenn ModeratorInnen immer wieder die nächste Katastrophe heraufbeschwören, auf Kriegsgefahren und Auswirkungen für das eigene Leben aufmerksam machen und weiter nachbohren, wie viel schlimmer es denn noch kommen könnte.
"Deutschland führt vorbildlich"
Der Nato-Generalsekretär lobte explizit die deutsche Rolle in der Nato, "Deutschland führt vorbildlich", sagte er und verwies darauf, dass die Verbündeten anerkennen, was Deutschland in den letzten Woche geleistet hat. "Wenn die Welt gefährlicher wird, müssen wir in unsere Sicherheit investieren", sagte Stoltenberg und unterstrich einmal mehr seine Zufriedenheit mit dem Ausgang des Nato-Gipfels.
Befremdlicher Euphorierausch
Die ehemalige Nato-Chefstrategin Stefanie Babst empfand diesen "Euphorie-Rausch" als befremdlich. Alle seien "ganz begeistert von den eigenen Beschlüssen", aber die entscheidenden Fragen, wie beispielsweise Putin aus der Ukraine zurückgedrängt werden kann, die blieben unbeantwortet. Neben dieser drängenden Frage machte sich Nicole Deitelhoff vor allem Sorge, dass die Nato zwar noch keine Kriegspartei geworden ist, aber der "Balanceakt" immer schwieriger wird. Es befinden sich keine Nato-Truppen in der Ukraine, wohl aber Nato-Gerät. Und damit würde auch Deutschland immer weiter an diesen Krieg heranrücken.
Es fehlen klare Ziele
Was der Direktorin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung vor allem aber fehlte, war das klare gemeinsame Ziel von Nato und EU mit Blick auf diesen Krieg. Sie würde sich ganz persönlich, wie alle Gäste, wünschen, dass die Ukraine wieder vollständig souverän agiert und kein russisches Militär mehr ukrainischen Boden betritt. Realistischer sei es aber die Grenzen vom 23. Februar zu verhandeln. Und auch Teilziele sollten verhandelt werden können. Es sei, so Deitelhoff, vollkommen "unsinnig", Sanktionen nur dann aufzuheben, wenn Maximalziele erreicht werden. Stattdessen sollen Etappenziele formuliert werden, zu denen Teile der Sanktionen aufgehoben werden, um überhaupt "wieder in einen Dialog treten zu können".
Wie viele Waffen hat Russland?
Auch Claus Kleber gab zu bedenken, dass es ein "allgemeiner Eiertanz um die Kriegsziele" sei. Ein Scheitern Russlands zu fordern sei auch vor dem Hintergrund, dass niemand wisse wie es um Russlands Waffen bestellt ist, schwierig. Nicole Deitelhoff wagte die Prognose, dass es sein könne, dass Russland in vier bis sechs Wochen massive Nachschubprobleme hätte. Stefanie Babst gab aber zu bedenken, dass es aktuell auch schwierig sei, die Ukraine mit Waffen und Gerät zu beliefern, weil die Aufklärung auf russischer Seite so gut funktioniere, dass klar sei, was geliefert würde. Diese Lieferungen wären vor einigen Wochen noch einfacher gewesen, weswegen es sinnvoll sei, wenn die Nato in enger Abstimmung mit der Ukraine ein militärisches Konzept erarbeiten würde.

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Weitere Themenpunkte:
- "Groteske Diskussion": Manfred Weber nutzte seinen kurzfristig angesetzten Auftritt in der Talkshow natürlich auch für einen Seitenhieb auf die Regierung. Es sei ihm unverständlich, wieso in Zeiten möglicher Versorgungsknappheit die AKW nicht weiterhin genutzt werden können. Grünen-Chef Omid Nouripour urteilte über diesen Vorschlag, er sei grotesk.
- Die Kosten der Sanktionen: Nicole Deitelhoff wies darauf hin, dass die Bevölkerung frühzeitig damit vertraut gemacht werden müsse, was die beschlossenen Maßnahmen für Konsequenzen hätten. Das würde ihrer Meinung nach aktuell noch zu wenig geschehen.
- Wir müssen selber dastehen können: Claus Kleber erinnerte daran, dass schon Angela Merkel darum warb, dass Deutschland eine starke Nation ist, unabhängig von den USA. In Zeiten eines schwachen Joe Biden, der wenig Rückhalt im eigenen Land findet, sei das auch in militärischer Hinsicht wichtiger als je zuvor. Zu Zeiten des Kalten Krieges sei diese Partnerschaft verlässlich gewesen, mit dem jetzt "Heißen Krieg" mitten in Europa braucht es neue Wege.
- Sorge um nationale Egoismus: Manfred Weber sorgt sich, dass ab dem Herbst der Zusammenhalt in der EU und in der Nato bröckeln könnte, sollte Putin dann kein Gas mehr nach Europa liefern. Er forderte daher eine gemeinsame Strategie, um das zu verhindern.
Nato-Beschlüsse, ein "sportliches Unterfangen"
Die ehemalige Nato-Chefstrategin Stefanie Babst erklärte sehr eindrücklich, wieso die nun beschlossenen Maßnahmen insbesondere in der Einsatzbereitschaft von 300.000 Soldaten und Soldatinnen ein "sportliches Unterfangen" seien. Auch wenn sich diese Einsatzkräfte aus allen Nato-Ländern zusammenfinden, es sei eine enorme Herausforderung, das in den nächsten Jahren auf die Beine zu stellen und auch aufrecht zu halten. Auch die Munitionsdepots, die zu Zeiten des Kalten Krieges gut gefüllt und zahlreich vorhanden waren, gäbe es nicht mehr. Man sei "sehenden Auges in die Katastrophe gerutscht" und müsse nun schnellstmöglich handeln. Das erfordere ein starkes Deutschland und eine starke Nato, die eben mehr kann als nur Beschlüsse zu fassen. Ein Anfang ist nach diesem Gipfel gemacht.