"Anne Will" Olaf Scholz bei Anne Will: "Wir machen das, was möglich ist"

  • von Andrea Zschocher
Olaf Scholz bei Anne Will
Bundeskanzler Olaf Scholz stellte sich 60 Minuten den Fragen von Anne Will
© Wolfgan Borrs/NDR / stern
Bundeskanzler Olaf Scholz stellte sich bei "Anne Will" in einem Solo den Fragen zu Russland, dem Krieg gegen die Ukraine und einer möglichen deutschen Beteiligung daran.

Eine Stunde Talk, der in die Tiefe hätte gehen können, aber oft nur an der Oberfläche kratzte. Olaf Scholz war bei "Anne Will" eingeladen, um Fragen rund um Putins Krieg zu beantworten. Der Bundeskanzler sagte dabei an keiner Stelle mehr, als unbedingt nötig, wiederholte dafür aber mehrfach Erklärungen, die seiner Argumentation dienten. Selten wäre ein Live-Faktencheck wichtiger für die Zuschauenden gewesen als an diesem Abend.

Beispielsweise waren die Ausführungen von Scholz zur Aufrüstung der Bundeswehr, die der Bundeskanzler als federführend in der EU ausschmückte, so nicht haltbar. Andere Länder sind da schon weiter vorangekommen, das versuchte auch Anne Will im Gespräch anzumerken. Ja, aber wenn denn die Mittel wirklich bereitgestellt sein werden, dann wäre, laut Scholz, Deutschland der größte Verteidiger in der Nato. Das müsse so sein, denn die anderen Länder würden sich auf Deutschland verlassen. Man müsse sich "stark machen, dass niemand es wagt", uns anzugreifen. Das sei auch die Nachricht an Putin: "Wag es nicht!"

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Was dabei leicht aus den Augen verloren wird: Zum einen ist dieser Etat noch nicht vom Bundestag verabschiedet worden, am Mittwoch hatte Friedrich Merz darauf aufmerksam gemacht, dass der Bundeskanzler nicht auf die vorbehaltlose Zustimmung der Opposition bauen sollte. Der Kanzler hofft "auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Oppositionsführer" und nutzte die Redezeit bei Anne Will auch dafür, in Richtung der Union zu schießen. Seiner Meinung nach dürfe die Bundeswehr kein Gegenstand für parteipolitisches Kalkül sein.

Scholz über die Bundeswehr: "Die können richtig was!"

Auch die Kritik vom ukrainischen Außenminister, dass die von Deutschland zugesicherten Waffenlieferungen viel zu lange brauchen, ließ Olaf Scholz nicht gelten. Er verwies darauf, im ständigen Austausch mit Präsident Wolodymyr Selenskyj zu sein und jede Lieferung genaustens geplant sei. Über Details könne er selbstverständlich nicht sprechen, das würde die Lieferungen und auch die daran Beteiligten gefährden. Genau diese Wortwahl nutzte auch die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht letzte Woche bei "Anne Will". Ebenfalls wortkarg war Olaf Scholz bei der Frage nach einem möglichen Raketenabwehrsystem, ähnlich dem israelischen Iron Dome. Das sei "dringend nötig", darüber würde "aus gutem Grund" zurzeit beraten. Es sind Sätze wie diese, fast nebenbei gesagt, die einen zögern lassen, nachdenken darüber, was wir alle nicht wissen.

Bereits im Dezember, so erklärte Scholz, haben die Vorbereitungen für den Ausstieg aus der Gas-, Kohle-, und Ölabhängigkeit von Russland begonnen. Über Sanktionen wurde also schon Monate vor dem Krieg gesprochen, weil zu befürchten stand, was nun Gewissheit ist: Putin würde einen Krieg gegen die Ukraine führen. Das Ziel der Sanktionen sei immer gewesen, "maximalen Schaden in Russland" anzurichten, mit möglichst geringen Folgen für Deutschland.

Embargo für russische Lieferungen?

Der Bundeskanzler wollte bei "Anne Will" auch mit der Behauptung aufräumen, Deutschland würde mit seinen Zahlungen für Gas, Kohle und Öl den Krieg gegen die Ukraine weiter am Leben halten. Das Geld, das Russland hat, kann es, laut Olaf Scholz, nicht zur wirtschaftlichen Stärkung des eigenen Landes nutzen. Die Reserven Russlands seien durch die Sanktionen "funktionsunfähig gemacht". Mit solchen Sätzen wird denjenigen, die sich für ein sofortiges Embargo der Importe einsetzen, der Wind aus den Segeln genommen. Aber, so der Bundeskanzler, der sofortige Ausstieg sei sowieso nicht möglich, auch wenn, wie Anne Will erklärte, führende Wissenschaftler:innen dies ja anders berechnet hätten.

"Die sehen das aber falsch", urteilte der Kanzler und erklärte, dass in sämtlichen Modellen ja keine Berechnungen zu den Terminals, zur Lagerung und Leitungen eingeflossen seien. Seine Ausführungen bezogen sich dann aber nicht nur auf Deutschland, sondern ebenso auf andere Nato-Länder, denn ein Embargo würde wohl eher gemeinsam verhängt werden. Dass manche Länder wie beispielsweise Italien oder osteuropäische Länder diese Beendigungen der Lieferungen aktuell nicht aushalten könnten, sei laut Scholz der Grund, warum es eben kein auch nur kurzfristiges, begrenztes Embargo geben wird.

Er stellte aber in Aussicht, dass noch 2022 die Unabhängigkeit von Russland bei Kohle und Öl erreicht sein soll, bis 2024 dann auch Gas. Da gäbe es einen "unglaublichen Ehrgeiz". Ob das reichen kann? Und ist 2024 nicht noch ganz schön weit in der Zukunft in Anbetracht eines Krieges, der gerade in der Ukraine tobt, aber sich ja auch auf die Nato ausweiten könnte? Denn, das bestätigte auch der Kanzler, dass Putin gewillt ist, die Grenzen der Nato zu wahren, das ist keine Tatsache.

"We will respond!"

Ein Regimewechsel sei nicht das Ziel, gleichzeitig weigerte sich Scholz aber, Putin als Kriegsverbrecher zu benennen. "Jeder Krieg ist ein Verbrechen" und "es ist Putins Krieg", sagte er, auf Nachfrage von Will, weigerte er sich aber, den russischen Präsidenten als Kriegsverbrecher zu bezeichnen. Stattdessen lenkte er die Aufmerksamkeit auf mögliche Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. "Ich finde die Entscheidungen, die er [Putin] getroffen hat, alle falsch", sagte Olaf Scholz auch im Hinblick auf die zivilen Opfer und die Schätzungen von mehr als 10.000 gefallenen Soldatinnen und Soldaten. Sollte Putin chemische oder biologische Waffen einsetzen, wäre das eine weitere verheerende falsche Entscheidung.

"Die Nato wird nicht Kriegspartei", erklärte Scholz, "aber ich wiederhole die Worte, die Biden gesagt hat: We will respond!". Wie diese Antwort ausfallen wird, das sagte er nicht, und wir werden es hoffentlich nie herausfinden müssen.

Ukraine-Krieg: Russlands Präsident Wladimir Putin
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© Alexei Nikolsky/ / Picture Alliance
"Stimmen die Annahmen, hat Putin den Krieg verloren": stern-Militärexperte zu Verlusten in der Ukraine

Es wurde in diesem Talk vieles ausgespart, vor allem auch im Hinblick auf die vielen Geflüchteten, auf zerstörte Städte der Ukraine und drohende Hungersnöte weltweit. Stattdessen ging es in dieser Stunde viel um die Einigkeit der Nato, um Verteidigung und Militäreinsätzen und um einen Putin, der nicht akzeptiert, dass "Grenzen nicht verschoben werden dürfen". "Das ist eine Bedrohung für den Frieden" sagte der Bundeskanzler, und die momentan wichtigste Stellschraube sei es, neben der Diplomatie, die eigenen Verteidigungsmöglichkeiten zu erhöhen.

kng

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