Axel Springer und Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt gingen im Herbst 2021 getrennte Wege. "Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen", hieß es damals von Seiten des Verlags. Im März 2021 hatte Axel Springer ein Compliance Verfahren gegen den ehemaligen Chefredakteur eingeleitet, wenige Tage danach war Reichelt allerdings wieder zurück bei der Arbeit.
Julian Reichelt: Neue Recherchen von "Reschke Fernsehen"
Wie neue ARD-Recherchen ergeben haben, wusste Axel Springer offenbar schon im Herbst 2019 von den Vorwürfen gegen Reichelt. Im anonymen Briefkasten des Verlags ging damals eine Nachricht ein, in der von Machtmissbrauch, Drogenkonsum und Affären Reichelts berichtet wurde. Laut den Recherchen von "Reschke Fernsehen" (NDR) schrieb eine Frau darin, "dass Frauen unter Druck gesetzt werden, da mitzumachen, weil sie sonst beruflich abgestraft werden. Dass die Frauen sehr unter der Situation leiden."
In ihrer Sendung "Reschke Fernsehen" erzählt Anja Reschke, dass ihr Team Kontakt zu 13 Frauen hatte, die allesamt Ähnliches schildern. Reichelt soll sie zu Treffen gedrängt haben. "Irgendwann habe ich eingewilligt. Es kam zum Sex", erzählte eine Frau. Sie habe nicht Nein sagen können, obwohl sie den Geschlechtsverkehr nicht wollte – aus Angst um ihren Job, ihre Existenz. "Die schlimmste Entscheidung meines Lebens", so die ehemalige "Bild"-Mitarbeiterin.
Text-Nachrichten von Reichelt
Dass das interne Compliance Verfahren von einer Anwaltskanzler den Frauen augenscheinlich nicht weiterhalf, zeigt die Aussage einer anderen Frau. "Ich habe gegen Julian Reichelt ausgesagt und wurde anschließend, als er von seiner Beurlaubung zurückkam, subtil aus meinem Job befördert", sagt sie "Reschke Fernsehen".
"Alle von uns benannten Vorwürfe sind unwahr und Teil einer Verleumdungskampagne", sagt wiederum der Anwalt von Reichelt selbst.
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Reschke zitiert in ihrer Sendung auch aus der einzigen Klage, die bisher gegen Reichelt erhoben wurde. Eine Mitarbeiterin, die für "Bild" unter anderem in den USA zuständig war, reichte diese vor Gericht in Los Angeles ein. Reichelt habe sie zum Sex gedrängt, sie habe anschließend "unkontrolliert geweint", schilderte die Frau darin. Das Verfahren wurde eingestellt, laut Reschke erhielt die Frau Geld und vereinbarte mit Springer, nicht mehr über den Fall zu sprechen. "Die der Klage zugrunde liegenden Sachverhaltsschilderungen enthalten evident unwahre Tatsachenbehauptungen", so Reichelts Anwalt.
Besonders schockierend sind Textnachrichten, die Anja Reschke in ihrer Sendung vorliest. "Die Situation zwischen uns ist überwältigend und ich frage mich die ganze Zeit, ob wir das machen sollten", soll er einer Mitarbeiterin geschrieben haben. "So riskant", nannte er offenbar die Beziehung, die sich trotzdem "so richtig" anfühlte. "Wir müssen einfach mehr die Büros nutzen, wenn die anderen gehen", heißt es in der Nachricht. In einer weiteren Nachricht ist der Ton ein anderer: "Weil ne dumme Affäre wie du es nicht besser verdient hat, ganz einfach: Bumsen, belügen, wegwerfen."
Mathias Döpfner, der aktuelle und damalige Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, wollte sich laut Reschke nicht äußern. In einer Stellungnahme des Verlags heißt es: "Wir haben unsere Lehren aus der Vergangenheit gezogen, was die kulturelle Entwicklung betrifft, bereits viel verändert, und schauen jetzt wieder nach vorne."
Quelle: "Reschke Fernsehen"