Partnerschaft Offene Beziehungen liegen im Trend – doch nicht jedes Paar wird glücklich damit

Überraschung: Vor allem junge Menschen führen eine "offene Beziehung" 
Überraschung: Vor allem junge Menschen führen eine "offene Beziehung" 
© Lisa5201 / Getty Images
Offene Beziehungen nehmen zu, das erlebt Paartherapeutin Andrea Bräu in ihrer Praxis. Vor allem junge Paare treibt das Modell "Partnerschaft Plus" um. Doch häufig verspürt nur ein Partner den Wunsch nach "mehr".

Das Konzept der lebenslangen Monogamie steht spätestens seit den 1968er in der Kritik. Die meisten Menschen halten daran fest, auch wenn es immer weniger Menschen gelingt, das "lebenslang" durchzuhalten. Trotz der Krise der Ehe haben die Erwartungen an die Monogamie in den letzten Jahrzehnten zugenommen. "Mehr denn je erwarten die Menschen von ihrem Partner, dass er alle ihre Bedürfnisse (z. B. in Bezug auf Erziehung, Finanzen, Sicherheit, intellektuelle, soziale und kreative Fähigkeiten) erfüllt und nicht die eines anderen," schreibt Professorin Ashley Thompson. Offene Beziehungen und ein promiskuitives Leben liegen im Trend.

Ob die Monogamie am Ende sei und das Zeitalter der "Offenen Beziehung" oder der Polyamorie begonnen hat, wie das Dating-Portal Ashley Madison in dem Bericht "Die nächste Generation der Nicht-Monogamie" verkündet, weil die eigenen User es so sehen, kann man bezweifeln. Ein Portal wie Ashley Madison wird auch als "Fremdgeh-Plattform" bezeichnet, dort geht es eher um Abenteuer und nicht um eine Eheanbahnung. Doch zumindest eine Minderheit unterstützt und lebt das Konzept. In einer Umfrage gaben 65 Prozent der Ashley Madison-Mitglieder an, überhaupt nicht an Monogamie zu glauben. 82 Prozent der Ashley Madison-Mitglieder sagten, dass ihr idealer Beziehungstyp im Moment etwas Nicht-Monogames ist. Aber das Gleiche wünschen sich auch 18 Prozent der Deutschen – immerhin fast ein Fünftel über alle Alters- und Glaubensgruppen. Das lässt vermuten, dass in einigen Milieus der Wert weit höher ist – da er in anderen wiederum geringer sein wird.

Zunahme in der Beratung

Unabhängig von der Dating-Plattform liegt das Modell "feste Beziehung" plus weitere erotische Abenteuer tatsächlich im Trend, sagt Paartherapeutin Andrea Bräu. Vor zehn Jahren seien "offene Beziehungen" überhaupt kein Thema in ihrer Arbeit gewesen, sagt Bräu. "Heute ist eine offene Beziehung durchaus ein Thema. Ich kann sagen, dass sich die Zunahme in meiner Praxis widerspiegelt."

Seit fast 20 Jahren hat Bräu eine Beziehungspraxis in München. Sie berät das Portal, durch die Erfahrungen in der Praxis, sieht sie auch die Probleme beim Trend "offene Beziehung". Das sei ein gewagtes Experiment, ein Schritt, der gut überlegt sein will, so Bräu. "Ich bin der Meinung, dass das nur etwas für sehr differenzierte Menschen ist. Jemand, der nur die Erlaubnis haben will, fremdzugehen, wird scheitern."

Zwei Gründe 

Andrea Bräu kennt zwei Motivationen: Leiden oder Neugier. "Die Menschen wollen ihr Leiden verkleinern. Es gibt Menschen, die sexuell sehr in ihrer Beziehung leiden, aber wissen, alles andere passt 100 Prozent. Und dann gibt es die Menschen, die sagen, ich bin neugierig, ich will Abenteuer erleben. Ich bin zu jung, um mich einfach mit dem Status quo zufrieden zu geben." Offene Beziehungen begegne sie vor allem bei sehr jungen Menschen. "Also gar nicht bei Menschen in der Midlifecrisis, wo man das vermuten würde, sondern bei Mittzwanzigern." Das ist auch kein Wunder. Menschen, die heute schon Anfang der 20er in einer festen Beziehung leben, erleben in ihrem Umfeld, dass dort eine muntere "Party und Hook-Up"-Phase bis in die 30er andauern kann, während sie eventuell mit Kleinkindern zu Hause sitzen und dieses Leben an ihnen vorbeizieht.

Der Beruf der Therapeutin bringt mit sich, dass bei den Klienten zumindest ein Partner ein Problem mit dem Konzept hat. "Wenn ein Paar sich einigt und sagt, wir kriegen das hin, das versuchen wir jetzt mal, die sehe ich nicht. Zu mir kommen die Menschen, die ein Problem mit dem Konzept haben. Direkt gesagt: Wo der andere umgestimmt werden soll." Erstaunen mag, dass nicht unbedingt Männer die treibende Kraft sind. In der zitierten Umfrage unter den Nutzern von Ashley Madison sagten 13 Prozent der Männer auf Ashley Madison, sie hätten eine nicht-monogamer Beziehung mit dem Partner, bei den Frauen waren es 26 Prozent, doppelt so viele.

Auseinandersetzung lohnt 

Auch wenn ein Partner von dem Wunsch nach einer offenen Beziehung nicht begeistert oder gar schockiert ist, lohnt es sich, sich mit dem Thema zu beschäftigen und den Partner nicht brüsk zurückzuweisen, meint Bräu. Und weist auf ein Paradox hin. Eine offene Beziehung löst häufig Erstaunen und Ablehnung aus, während die verdeckte Variante – das Fremdgehen – fast alltäglich ist. Andrea Bräu sieht einen klaren Vorteil. "Ich arbeite lange in diesem Bereich. Ich kenne Affären, Seitensprünge und all dies. Das Schlimme ist weniger das Fremdgehen an sich, sondern die vielen Lügen drumherum." Die Heimlichkeit vergiftet die Beziehung und das wird mit einer offenen Beziehung umgangen.

 

Andrea Bräu hat eine langjährige Erfahrung, wenn es um Liebe, Sex und Beziehungen geht. 
Andrea Bräu hat eine langjährige Erfahrung, wenn es um Liebe, Sex und Beziehungen geht. 
© PR

Hoch differenziert – das bedeutet, Paare müssen bereit sein, sich unangenehmen Fragen zu stellen und über ihre Ängste und Wünsche Rechenschaft abzulegen. Zuerst muss man mit der Kränkung zurechtkommen. "Ich bin nicht genug, warum will er das? Warum will sie das? Das bedeutet oft auch eine Minderung des Selbstwertgefühls."

"Warum sollte ich das wollen? Überwiegt die Angst, den Partner zu verlieren, wenn ich nicht einwillige? Ich glaube, die Angst heraus ist keine gute Basis, dass so etwas funktionieren kann."

Stunde der unangenehmen Wahrheiten

Danach müsse man differenzieren. Vielleicht mag man die Idee nicht, vielleicht kann man sich aber doch darauf einlassen. "Welche Vorbehalte stecken bei mir dahinter? Es lohnt, sich damit auseinanderzusetzen und nicht gleich im Vorfeld zu sagen, das kommt nicht in Frage." Für den eher unwilligen Partner stellt sich die Frage, ob er den Weg mitgehen will, oder, ob er die Gefahr eingeht, die Beziehung eventuell ganz zu verlieren. Andrea Bräu denkt, dass die offene Beziehung häufig nur eine Phase ist. Insbesondere bei denen, die glauben, etwas zu verpassen. "Es sind nur wenige Menschen, die jahrelange Affären haben. Häufig hat sich da etwas aufgestaut, das sich Raum schaffen will."

Es kommen aber auch unangenehme Wahrheiten zu Tage. Etwa, dass ein Partner ein sehr viel geringeres sexuelles Interesse hat, oder dass ein Partner eine Fetischisierung seiner Sexualität erlebt, die der andere nicht mitgehen mag. Ein Allheilmittel ist die offene Beziehung nicht. In einer Paartherapie kann auch herauskommen, dass es tiefe Probleme in der Beziehung und Spannungen in der Lebensplanung gibt, die sich nicht durch ein paar erotische Abenteuer lösen lassen.

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