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Maggie Rogers begeistert Pharrell Williams Das Pharrell-Girl aus dem Viral-Video im Porträt

Ihre Musik sei wie eine Droge für ihn, sagte der große Pharrell Williams – vor laufender Kamera. Die junge Musik-Studentin begeisterte mit ihrem Song "Alaska" ein Millionenpublikum auf YouTube. Doch wer ist das süße Pharrell-Girl wirklich? Wir haben mit ihr gesprochen.

Da ist sie. Nimmt einen freitagabendgroßen Schluck Bier in einer Berliner Bar, scherzt mit ihren Begleitern von der Plattenfirma und wirkt dabei erwachsener als angenommen – die Schlangenlederschuhe dürften dazu beitragen. Aber ja, das ist sie, zwar mitten im Berliner Winter und nicht in ihrem Zuhause in Brooklyn, aber unzweifelhaft sie: die Frau, die alle als das süße Pharrell-Girl kennen. So titulierten Menschen auf der ganzen Welt Maggie Rogers, nachdem sie das Video gesehen hatten.

Rückblick, März 2016, Clive Davis Institute der New York University, ein Kurs, in dem junge Musiker ihre Songs produzieren und Experten vorspielen. Ähnliche Schmieden gibt es auch in der zweiten Heimat des Pop, England; an der Londoner Goldsmiths University waberte erstmals James Blakes Sound durch die Gänge, an der Brit School erinnern sie sich heute noch an Adeles Gesangsproben. Immer sind da auch prominente Gastdozenten, die den Schülern helfen, ihre Kompositionen weiterzuentwickeln. So auch an der New York University, ein Überraschungsgast hat sich angekündigt. Ausgerechnet der Mann, der die genialsten Beats entwirft. Pharrell Williams betritt das Studio und hört den Songs von Maggies Mitschülern zu. Mit ihren Outfits, rosa Haaren, Federn, sehen sie aus wie Popstars. Konstruktive Kritik von Pharrell, keine Euphorie.

Dann ist Maggie an der Reihe

Sie wirkt natürlich, pur, etwas schüchtern. Ihr Dozent sagt, sie sei der herzenswärmste Mensch dieses Planeten. Maggie, das Video im Netz zeigt sie mit Jeans und einer faustgroßen Muschelkette um den Hals, setzt sich neben Pharrell und stellt sich vor: Sie ist 22, kommt aus Maryland, hat als Kind viel Zeit draußen verbracht, ihre Klasse nennt sie das „Banjo-Mädchen“, weil sie Folk liebt. Der Dozent spielt Maggies Song „Alaska“ ab. Pharrells Reaktion: erst ungläubiges Staunen, dann ungläubiges Kopfschütteln, später ungläubiges Lächeln. Der Song ist zu gut, um wahr zu sein. Nach rund zwei Minuten blicken sich beide kurz an. Es wirkt, als schaue er zu ihr auf und nicht umgekehrt. Sie lächelt verlegen. Als der große Pharrell dann auch noch beginnt, mit seinen Fußspitzen zu ihrem Song zu wippen, schaut sie lieber schnell auf den Boden, versucht, in ihren Song zu versinken, abzudriften.  Unwirklich habe sich das angefühlt, wird sie später sagen. Als er endet, sagt der Mann, der uns Jahr für Jahr in einen musikalischen Rausch versetzt, ihre Musik sei wie eine Droge für ihn.

Das Mädchen, das von Pharrell gefördert wird

Ein Kamerateam hat die Szene gefilmt und den Clip ins Netz gestellt. Seither haben ihn sich 2,5 Millionen Menschen angesehen, 200 000 folgen Maggie Rogers nun auf Facebook, „Alaska“ wurde auf Spotify 20 Millionen Mal gehört. Das Video hat Maggie berühmt gemacht, und es hat ein Bild von ihr geprägt. Maggie, die Süße, Maggie, die Schüchterne, Maggie, das Mädchen, das von Pharrell Williams gefördert wird.

Aber sagt diese eine Szene wirklich so viel über sie aus? Die Artikel, die bisher über sie erschienen sind, beziehen sich meistens auf die Szene mit Pharrell. Nur wenige haben sie persönlich getroffen, auf Promo-Tour ist sie erst seit Kurzem. Stimmt das Bild, das die Welt von ihr hat?

 Berliner House brachte sie dazu, sich selbst zu fühlen Schlesisches Tor, Baumhaus Bar, kurz vor acht Uhr abends, der Musikverlag lud zum Einzelgespräch mit Maggie ein. Ihre EP erscheint im Februar, im März gibt sie in Deutschland Konzerte. Die Wahl des Ortes ist kein Zufall, denn wenn millionenschwere Plattenfirmen beteiligt sind, ist der Zufall gerade das, was es nicht geben darf. So charmant Maggies Story ist, für manche bedeutet sie auch ein Geschäft. In der Baumhaus Bar sitzt man auf Holzbänken, daneben kleine Birkenstämme. Hinter den Fenstern spuckt die Oberbaumbrücke vierspurigen Berliner Verkehr aus.

Folk-popish-Indie-Dance-Natural-Something

Die Bar ist eine Reminiszenz an legendäre Berliner Orte, an die Bar 25, den Kater Mikesch und an Maggies eigene Verbindung zu Berlin. Ein „spirituelles Erweckungserlebnis“ nennt Maggie das, was ihr hier passierte. Als sie, Monate bevor sie Pharrell traf, in Berlin bei Freundinnen zu Besuch war, habe sie sich tagelang mit ihnen durch die Stadt treiben lassen, erzählt sie. In einem dieser Holzbuden-Clubs an der Spree hörte sie, das Mädchen von einer Farm mit wackeligem Internetanschluss, zum ersten Mal einen House-Song. Er dauerte lange zehn Minuten. Erst verstand sie ihn nicht, aber mit seiner Kraft zwang er sie zum Tanzen. Als das geschah, verstand sie plötzlich. Der Song brachte sie dazu, ähnlich wie das Wandern, das sie so mag, sich selbst zu fühlen. Seit diesem Moment wisse sie, was sie machen will: organischen mit kräftigem Sound verbinden, das Ergebnis nennt sie: „Folk-popish-Indie-Dance-Natural-Something“.

Maggies Geschichte wird, je mehr man hört, immer besonderer, immer idealer. Normalerweise entwerfen Werbestrategen solche Storys, um ein Produkt zu verkaufen. Aber diese Geschichte ist echt. Ist sie doch, oder?

Im Oktober vergangenen Jahres erschien das offizielle „Alaska“-Video: Maggie läuft lässig, wie Pharrell selbst es tun würde, durch einen Wald, singt wie eines ihrer größten Vorbilder, Feist, und tänzelt – an ein Musical angelehnt – auch wie sie. Wenn sie davon erzählt, wie sie das Video gedreht hat, nämlich fast alleine, wirkt sie kein bisschen schüchtern mehr. Vielmehr tritt sie mit dem Selbstverständnis einer Beyoncé auf. Zudem könnte „Alaska“ mit seinem tanzenden, organischen Rhythmus und den catchy Beats von Pharrell selbst entworfen sein. Ihr Song hat diesen Flow, mit dem Pharrell durch die Welt geht. Kein Zufall, dass Maggie und er eine Verbindung spürten, wie sie es nennt, als sie gemeinsam ihren Song hörten. Oder war es vielleicht weniger Übersinnlichkeit, sondern nur eine kühle Strategie?

Maggies Businessplan: fünf Jahre, 15 Seiten 

Wir fassen zusammen: Der ideale Song von einer ideal auftretenden Protagonistin mit einer idealen Geschichte wird von einem idealen Genie namens Pharrell von einem Kamerateam gefilmt, idealerweise zufällig. Solche Cinderella-Storys suchen Musikverlage. Maggie bleibt locker, konfrontiert man sie mit diesen Zweifeln. „Es ist verrückt. Ich weiß nicht, wie man die Leute davon überzeugen kann. Das Einzige, was ich sagen kann: Ja, die Story ist echt.“

Was sie aber einräumt, ist, dass sie nach dem Treffen mit Pharrell einen 15-seitigen Businessplan für ihre Karriere der nächsten fünf Jahre aufstellte. Ihn präsentierte sie auf Meetings den Plattenbossen, die nach dem Pharrell-Coup bei ihr Schlange standen. Wenn sie so redet wie in diesem Augenblick, scheint die süße, schüchterne Maggie weit weg. „Das Coole an der Musikindustrie ist, dass sie sich derzeit stark verändert, keiner weiß, wie es weitergeht. Da kann es vorkommen, dass ein 22 Jahre altes Mädchen in einen Konferenzraum mit 40-jährigen Männern tritt und ihren Plan erzählt – und plötzlich sagt das Mädchen, wo es langgeht.“ Sie sei nicht fest bei einer Plattenfirma, sondern lizenziere ihre Songs nur an sie. „Ich bin Kopf meines Labels und meiner Musik“, sagt sie über die Welt der Plattenverlage.

Über welche Männer Maggie reden will, bestimmt sie selbst

In noch einem Punkt unterscheidet sich Maggie Rogers von dem Bild, das sich nach dem Video bei so vielen Menschen festgesetzt hat: Pharrell mag wichtig gewesen sein für Maggies Karriere, aber künstlerisch geprägt haben sie andere. Spricht man mit ihr über ihre musikalischen Einflüsse, fallen Namen wie Florence + The Machine, Coco Rosie, Adele, aber vor allem sagt sie: „I love Feist. I love Björk. I love Stevie Nicks. I love Patti Smith. I love Kim Gordon. I love Carrie Brownstein.“ Ihre Liebesbekundungen richten sich allesamt an Frauen.

„Je länger ich Musik mache, spüre ich eine Form von Schwesternschaft zwischen mir und ihnen“, sagt sie. „Rock ’n’ Roll war immer ein wenig ein Boys-Club. Als Frau hast du vielleicht gesungen, aber Rock ’n’ Roll zu spielen, vorne auf der Bühne zu stehen und zu schreien, war doch den Jungs vorbehalten.“ Man versucht zu ergänzen, dass manche ihrer Vorbilder Punk-Musikerinnen sind, doch sie lässt sich nicht bremsen und redet weiter: „Sie sind Frauen, keine Mädchen – und sie wollen es keinem recht machen. Hätte ich diese Frauen nicht gehabt, hätte ich Pharrell nie getroffen.“

„Ich habe immer zu Frauen aufgeschaut, vor allem zu denen, die etwas gemacht haben, das bisher Männern vorbehalten war“, sagt Maggie. Damit meint sie zum Beispiel Peggy Oki, eine der ersten professionelleren Skateboarderinnen, und Hillary Clinton, die sie gerne im Weißen Haus gesehen hätte und für die sie sogar einen Song geschrieben hat. Dass ausgerechnet Frauen aus ihrer Heimat Maryland Hillary nicht unterstützten, macht sie wütend.

It takes darkness to have the light

Momente wie diese, in denen Maggie mit lauter Stimme ihre Haltung vertritt, lassen sie eher tough als sweet wirken. Wie die Frauen, die sie in ihrem Leben antrieben, will auch sie es keinem recht machen. Sich von dem Bild zu distanzieren, das von ihr in der Welt ist, scheint allerdings schwierig zu sein. Auf ihrer Interview-Tour hat Maggie Journalisten getroffen, die sie auf diese Rolle des schüchternen Pharrell-Girls festlegen wollten. Wenn sie das merke, beginne sie zu beißen, zu kratzen, sich von ihren Gesprächspartnern abzuwenden, sagen Leute, die mit ihr arbeiten. Manche hielten Maggie dann fälschlicherweise für eine Diva.

Selbstbewusst tritt sie auch in diesem Gespräch auf: Über welche Männer sie reden will, bestimmt sie. Pharrell ist es nicht. Lieber spricht sie über Leonard Cohen, der an dem Tag gestorben ist. Über seinen Tod sagt Maggie: „It takes darkness to have the light.“ Was für ein Satz, den sie ganz nebenbei fallen lässt. Er klingt wie ein Cohen-Song.

Aber die Frage nach dem anderen Mann muss man ja doch noch stellen: Wie nah steht sie Pharrell? „Wir sprechen nicht, ich habe nicht einmal seine Nummer. Er hat auf Twitter einmal mein Video geteilt“, sagt sie. „Das war’s.“

„@MaggieRogers, you have a unique gift, and I can’t wait to watch you soar“, schrieb er, sie antwortete: „Thanks professor p!“

Sie finde es sogar gut, dass Pharrell sie seither nicht mehr kontaktiere, sagt sie. So gebe er ihr die Möglichkeit, sich zu einer eigenständigen Künstlerin zu entwickeln. „Ich bin eben nicht sein Pharrell-Girl.“

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