Es gibt so einen triumphierenden Blick, den manche Menschen bekommen, wenn sie glauben, dir jetzt mal so richtig die Welt zu erklären. Wenn sie meinen, dass das Argument, was sie da gerade vorgebringen, so noch nie da war. Wenn du zum Beispiel sagst, dass du seit 15 Jahren kein Fleisch mehr gegessen hast und sie von der Seite angeschossen kommen, um ein "NAJA, also DAS würde ich ja SO jetzt nicht sagen" in die Runde zu werfen, weil sie wissen, dass du im Urlaub mal, um nicht unhöflich zu sein, eine Messerspitze einer lokalen Fleischspezialität probiert hast. Ich kann auch nichts dafür, Sandra, dass du ein schlechtes Gewissen hast, weil du dir jeden Morgen Salami-Brötchen reinpfeifst. Ist mir, um ehrlich zu sein, auch ziemlich egal.
Tatsächlich habe ich noch nie jemanden dafür verurteilt, dass er oder sie Fleisch isst. Vielleicht habe mal angemerkt, dass es sich durchaus lohnt, auf Qualität und Herkunft zu achten, aber es würde mir niemals einfallen, jemandem Schuldgefühle einzureden, weil er sich ein Leben ohne Steak nicht vorstellen kann. Kann ich verstehen, ist bestimmt lecker. Ich halte es vermutlich auch nur deshalb schon so lange aus, weil ich mit elf Jahren aufgehört habe und keine Ahnung habe, wie ein richtig geiles Hüftsteak schmeckt. Hab ich nie probiert. Kann ich nicht vermissen.
Schmecken die Fleischersatzprodukte wie the real deal? Da scheiden sich die Geister.
Entgegen beliebter Vorurteile habe ich weder aufgehört Fleisch zu essen, weil mir die Rettung der Tiere so am Herzen lag (wobei die Tatsache, dass für mich keine Tiere sterben, natürlich ein netter Nebeneffekt ist), noch, weil ich es nicht mochte. Im Gegenteil: In Minisalamis hätte ich mich schon immer reinlegen können. Ich wollte mir damals selbst beweisen, dass ich konsequent genug bin, um das durchzuziehen. Im Grunde habe ich vor 15 Jahren also eine Wette mit mir selbst geschlossen – und bislang gewinne ich sie. Aber eben weil ich großer Fan von Mini-Salamis bin und auch der einen oder anderen Scheibe Mortadella nie abgeneigt war, bin ich sehr dankbar, dass es hierfür inzwischen vegetarische Alternativen gibt. Bei der Frage, ob diese tatsächlich wie das Original schmecken, scheiden sich auch unter Fleischessern die Geister. Mir ist das relativ egal, ich kann mich ohnehin nicht erinnern. Ich finde die einfach lecker.
Nun hat der Agrarausschuss der EU entschieden, dass sich vegetarische Schnitzel, Veggie-Leberwurst, vegane Frikadellen und wie sie alle heißen in Zukunft nicht mehr so nennen dürfen. Statt Burger schlägt man beispielsweise das Wort "Disc" vor. Ein Mitglied des Europäischen Parlaments, Éric Andrieu aus Frankreich, wies sofort die Kritik zurück, dass die Entscheidung auf dem Mist der Fleisch-Lobby gewachsen sei: "Die Fleisch-Lobby hat damit nichts zu tun. Diese Thematik hat eine nicht zu vernachlässigende Diskussion zwischen den Parteien ausgelöst und viele Menschen wünschten sich Klärung." Also, und das frage ich nun wirklich selten, weil ich eigentlich finde, dass man Probleme nicht miteinander aufwiegen kann, aber: Hat das EU-Parlament keine anderen Schmerzen?!
"Wir fanden, dass Steak für echtes Steak aus Fleisch vorbehalten sein sollte und es eine neue Terminologie für all diese neuen Produkte geben sollte." Äh, gibt es?! VEGGIE-Steak. Tadaaaa. "Hier wird es viel zu tun geben, eine Menge Kreativität wird gefordert sein." Klingt irgendwie nach Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, wenn man mich fragt. Andrieu weiter: "Die Leute müssen wissen, was sie da essen. Damit Leute, die weniger Fleisch essen wollen, wissen, was sie essen." Ähh... nochmal: VEGGIE-Steak. VEGGIE-Burger. VEGGIE-Würstchen. Ich versteh jetzt nicht so recht, wo da die Stolperfalle sein soll.
In Deutschland gab es die – völlig unnötige – Diskussion um Veggie-Produkte schon vor Jahren
Auch in Deutschland gab es diese Diskussion bereits vor Jahren, als der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ähnliche Bedenken äußerte und unter anderem gegenüber der "Bild" sagte, niemand dürfe "bei diesen Pseudo-Fleischgerichten so tun, als ob es Fleisch wäre." Punkt Eins: das macht ja auch niemand. Niemand versucht, Herrn Schmidt eine vegetarische Wurst als ein Stück totes Schwein unterzujubeln. Wer auf die Packung guckt, sieht, nochmal, dass da fett V-E-G-G-I-E oder T-O-F-U drauf steht. Und Punkt Zwei: Wieso zur Hölle juckt das eigentlich irgendwen? Ich musste mir auch schon mehrfach so selten dämliche Fragen wie "Aber wenn du Bolognese essen willst, iss doch einfach Bolognese" anhören. Nein, Sandra, nochmal: Ich mag Fleischgerichte wie Bolognese oder Lasagne, will aber kein Fleisch essen. Und selbst jedermanns allerliebster Küchenheld Antoni aus "Queer Eye" beschwerte sich vor Kurzem über vegetarische Fleisch-Alternativen im Kühlfach. Es gebe ja wohl genug Gemüse, um so etwas nicht zu brauchen. Ja, Antoni, ab und zu mag ich auch Zucchini-Lasagne, aber nein, Karottensticks sind nicht das gleiche wie eine VEGGIE-Mini-Salami.
Die Forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen legte damals übrigens Umfragen vor, die bewiesen, dass weder Schmidt noch vermutlich Andrieu tatsächlich nur das Interesse des Verbrauchers im Sinn hatten. Denn die Forsa-Untersuchung ergab, dass nur etwa vier Prozent der Befragten irgendwann schon einmal versehentlich ein vegetarisches Produkt gekauft hatten. Die Mehrheit der befragten Personen gab außerdem an, Kennzeichnung wie "Veggie-Leberwurst aus Soja" oder "Veggie-Aufstrich nach Art Leberwurst" zu befürworten.
Und auch die Vorreiter in Sachen vegetarischer Fleischersatz wie Rügenwalder Mühle oder Herta stellten sich damals quer. So sagte Godo Röben, Marketingchef der Rügenwalder Mühle, gegenüber "Spiegel Online": "Die Politik sollte ausnahmsweise mal an den Verbraucher denken. Der will doch kein Bratstück auf Sojabasis kaufen, sondern eine vegetarische Frikadelle!" Amen!
Menschen wie mir wird diese Umstellung nicht weiter weh tun. Ich habe auch kaum mitbekommen, dass sich Soja-Milch irgendwann in den letzten Jahren aus ähnlichen Gründen in Soja-Drink verwandelt hat. Aber für all jene, die sich seit Jahren dafür einsetzen, dass besonders in Deutschland Verständnis dafür entsteht, dass eine Mahlzeit auch ohne Fleisch vollwertig sein kann, und man sich eben nicht morgens, mittags und abends Günstig-Wurst aus dem Discounter geben muss, ist es ein massiver Schritt zurück. Eine Bestätigung für alle, denen Vegetarier ohnehin suspekt sind (Hallo, Sandra!) und eine weitere Hürde für jene, die sich eigentlich überlegt hatten, vielleicht in der Zukunft ein bisschen weniger Fleisch zu essen – übrigens die Hauptkundschaft für vegetarische Produkte von Rügenwalder Mühle und Co.
Wie unfassbar albern.
Quellen: "Bild" / "The Guardian" / "Spiegel Online"