Bei einer zufälligen Begegnung mit dem im Süden Berlins gesuchten Wildtier sollten Menschen nicht plötzlich agieren. "Das Wichtigste ist, dass die Tiere das Gefühl haben, die Kontrolle über die Situation zu behalten", sagte Heribert Hofer, Direktor des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung der Nachrichtenagentur DPA in Berlin. Nach Einschätzung der Polizei handelt es sich bei dem gesuchten Tier wahrscheinlich um eine Löwin.
"Was vermieden werden muss, ist der Überraschungseffekt", wenn etwa eine Löwin plötzlich mit einem Menschen konfrontiert werde. "Das ist eine Situation, wo sie einen Kontrollverlust der Situation erlebt." Daraus könnten sich Reaktionen ergeben, weil sich das Tier gefährdet fühlt und sich deswegen eventuell verteidigen würde.
Hofer verwies auf Empfehlungen in Gebieten mit Grizzly-Bären in den USA. Wanderer sollten dort "kleine Bimmeln an ihre Rucksäcke montieren, damit sie die Bären nicht überraschen. Wenn der Bär weiß, dass ein Wanderer kommt, ist er nicht überrascht, dann hat er die Kontrolle über die Situation und kann sich überlegen, wie er damit umgeht."
Hofer warnte vor Spaziergängen mit Haustieren. "Was Sie auf jeden Fall nicht mit sich nehmen sollten, ist ein Hund", sagte der Zoologe. "Der Hund ist auf jeden Fall gefährdet." Auch die Kombination Hund und Hundeführer sei für einen Löwen Angst erregender als ein Mensch ohne Hund.
Überlebenschance der Löwin von Herkunft abhängig
Die Überlebenschance für das Raubtier hat nach Einschätzung Hofers auch mit dessen Herkunft zu tun. "Es hängt davon ab, ob diese Löwin ursprünglich mal aus der Wildnis kam und auf irgendeine Weise nach Europa gebracht wurde oder ob es sich etwa um einen Zirkuslöwen handelt, der vielleicht mit der Flasche aufgezogen wurde." Das seien unterschiedliche Ausgangssituationen. "Eine von Hand aufgezogene Löwin geht mit Menschen völlig anders um, Menschen waren immer Teil ihrer Umgebung und sie ist damit vertraut."
Genau das macht die Situation nach Einschätzung von May Hokan von der Umweltstiftung World Wide Fund For Nature (WWF) noch schwieriger: "Das bedeutet, der Mensch ist ihm bekannt und er hat keine Angst vor Menschen. Er ist es gewohnt, Menschen zu sehen. Oder sie – wenn es eine Löwin ist – hat keine Angst vor Menschen. Darum macht es das auch noch mal gefährlicher."
Gesundheitsvorsorge bei Großkatzen – Löwin Julie bekommt "das volle Programm"

Ein Faktor könnte laut Hofer auch der Hunger des Tieres sein. Hätte die Löwin ein Wildschwein erlegt und gefressen, "wäre sie satt und würde sich einen Verdauungsschlaf gönnen." Das hänge aber auch davon ab, inwieweit das Tier durch die Suchaktion getrieben werde.
Ein Wildschwein würde als Nahrung für ein paar Tage ausreichen. Das Tier müsse dann nicht unbedingt sofort wieder jagen. Bei Löwen in natürlichen Lebensräumen wie etwa der Serengeti in Ostafrika sei es üblich, dass sie in der Nähe der Beute blieben. "Die Löwen bleiben beim Riss eines größeren Beutetiers so lange, bis dieses Beutetier aufgefressen ist. Wenn sie fertig damit sind, bleiben sie meistens noch für ein paar Stunden in der Nähe bevor sie sich irgendwo anders hin begeben."
Vermutlich meiden werde das Tier zum Beispiel offene, belebte Straßen. "Also wenn es darum geht, kann ich mit dem Auto zu meinem Einkauf im Supermarkt fahren: Das ist völlig problemlos möglich", sagte Hofer.
Gefährliche Phase nach Narkose-Schuss
Beim Einfangen des Raubtieres könnten sich gefährliche Phasen ergeben. Wenn ein Tier in freier Wildbahn gefangen werden sollte, werde Tele-Injektion mit einem Narkosegewehr eingesetzt, sagte Hokan vom WWF. Das könnten am besten etwa Zootierärzte, die mit solchen Situationen auch unter Stress gut umgehen könnten.
Die Tierärztin schilderte mögliche Probleme: "Wenn man so einen Löwen trifft, fällt der nicht direkt um und schläft ein. Es gibt eine Stressphase, er hat diesen Pfeil im Hintern, wird erst mal losrennen und Radau machen." Dies dauere einige Minuten, auch abhängig von der Art des Narkosemittels. "Wir haben dann eine schwierige Phase, bevor das Tier einschläft und man sich dem Tier nähern kann."
Theoretisch denkbar wäre auch ein Abschuss. "Je nachdem wie die Situation wahrscheinlich von Tierarzt und Polizei eingeschätzt wird, wird das Tier in solchen Situationen auch erschossen. Dabei muss natürlich die Sicherheit gegeben sein, dass da keine Menschen in der Nähe sind. Das ist auch nicht so einfach."

Das Raubtier sieht die Expertin gerade in einer besonderen Situation. "Das Tier ist nicht in seiner natürlichen Umgebung. Es ist gerade ein unglaublicher Stress." Es sei wahrscheinlich noch nie so frei unterwegs gewesen. "Wenn ich in Afrika in der Savanne rumlaufen würde und mir ein Löwe begegnet, der gerade gefressen hat, ist es gar nicht mal so dramatisch oder so gefährlich wie jetzt hier."