Im Skandal um Dioxin-verseuchtes Tierfutter sind inzwischen mehr als 4700 Betriebe in Deutschland vorsorglich geschlossen worden. Wie das Bundeslandwirtschaftsministerium am Donnerstagabend in Berlin mitteilte, handelt es sich vor allem um Betriebe in Niedersachsen und größtenteils um Schweinemastbetriebe. Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) forderte europaweit einheitliche Regelungen für den Lebensmittelschutz.
Die Zahl der vorsorglich geschlossenen Betriebe sei bis Donnerstag auf 4709 gestiegen, erklärte das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Allein in Niedersachsen dürften 4468 Betriebe aus Vorsorgegründen solange keine Produkte mehr ausliefern, bis ihre Unbedenklichkeit erwiesen sei. Nach Niedersachsen waren im November und Dezember von einem Hersteller knapp 2500 Tonnen von insgesamt knapp 3000 Tonnen mit Dioxin verunreinigtem Futterfett geliefert und anschließend zu Mischfutter weiterverarbeitet worden.
Aus Nordrhein-Westfalen wurden dem Ministerium 152 gesperrte landwirtschaftliche Betriebe gemeldet, aus Schleswig-Holstein 52, aus Sachsen-Anhalt 27. In Mecklenburg-Vorpommern wurden sieben Betriebe gesperrt, in Brandenburg, Hessen, und Thüringen je ein Betrieb. Betroffen seien alle Betriebsarten, überwiegend aber Schweinemastbetriebe.
Aigner sprach sich in einem Telefonat mit EU-Verbraucherkommissar John Dalli für europaweit verbindliche Standards zur Trennung gesundheitsgefährdender Stoffe aus. "Betriebe, die Futterfette herstellen, dürfen nicht auf dem selben Firmengelände gleichzeitig Stoffe für die technische Industrie produzieren", erklärte die Ministerin. Dalli habe sich offen dafür gezeigt, eine EU-weite Regelung in Angriff zu nehmen.
Auch der Präsident des Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, forderte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitagsausgabe) "die strikte Trennung von Betrieben, die Futtermittel und Nahrung herstellen und solchen Firmen, die etwa Kosmetika und Schmiermittel produzieren".
Das Bielefelder "Westfalen-Blatt" (Freitagsausgabe) berichtete unter Berufung auf das niedersächsische Agrarministerium, die Spedition Lübbe im niedersächsischen Bösel habe keine Genehmigung gehabt, auf ihrem Gelände Fette für die Futtermittelherstellung zu lagern und zu mischen. Die Herstellung von Futtermittelfett sei illegal erfolgt. Es bestehe der Verdacht, dass der Futtermittelhersteller Harles und Jentzsch im schleswig-holsteinischen Uetersen die Spedition genutzt habe, um sich der Überwachung der Behörden zu entziehen, sagte Ministeriumssprecher Gert Hahne der Zeitung.
Die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" (Freitagsausgabe) berichtete, bereits am 19. März 2010 habe ein privates Labor eine Probe des Futtermittellieferanten Harles und Jentzsch positiv auf zu viel Dioxin getestet. Das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium habe dies bestätigt. Es habe zugleich erklärt, erst am 27. Dezember von der Grenzwertüberschreitung erfahren zu haben.
Der Dioxin-Skandal hat sich auch auf das Ausland ausgeweitet. Über die Niederlande wurden Produkte mit möglicherweise belasteten Eiern aus Deutschland nach Großbritannien exportiert. Das britische Lebensmittelbehörde erklärte am Donnerstag, sie gehe nicht von einer gesundheitlichen Bedrohung aus. Die kontaminierten Eier seien in den Niederlanden mit nicht-kontaminierten Eiern vermischt worden, um nach Großbritannien exportiertes pasteurisiertes Flüssigei herzustellen. Durch die Mischung habe sich der Dioxinwert verringert.