Kein Anschluss unter 110 und 112 "Nora", Meldestellen, Alarmpläne – das passiert, wenn der Notruf nicht mehr erreichbar ist

Nichterreichbarkeit der Notrufe 110 und 112: Polizist in der Leitstelle der Hamburger Davidwache
Polizist in der Leitstelle der Hamburger Davidwache (Archivbild). Wegen eines Defekts im Telefónica-Netz waren die Notrufnummern 110 und 112 für viele Menschen am Donnerstag mehrere Stunden nicht erreichbar.
© Bodo Marks / DPA / Picture Alliance
Der Ausfall der Notrufnummern von Polizei und Feuerwehr kann dramatische Auswirkungen haben. Was bei den Behörden passiert, wenn 110 und 112 nicht mehr funktionieren – und wie Sie in so einem Fall trotzdem Hilfe rufen können.

Es sind Albtraumszenarien: Ein Wohnungsbrand, ein Verkehrsunfall oder ein Raub – und weder Polizei noch Feuerwehr sind erreichbar, weil der Notruf ausgefallen ist. Die 112 und die 110 – tot. Und dann?

Der Ausfall der Notrufnummern oder des Telefonnetzes stellt die Einsatzkräfte vor Herausforderungen. Die Störung beim Netzbetreiber Telefónica am Donnerstag hat dies einmal mehr vor Augen geführt. In mehreren Bundesländern meldeten die Behörden Probleme bei der Erreichbarkeit der Einsatzzentralen von Polizei und Feuerwehr. Vor allem Hamburg und Bremen schienen dabei betroffen (der stern berichtete).

Letztlich stellte sich zwar heraus, dass kein Fehler beim Notruf vorlag, sondern das Netz von Telefónica, dem O2-Mutterkonzern, gestört war – für Hilfesuchende macht es aber unterm Strich keinen Unterschied, warum er oder sie beim Notruf nicht durchkommt.

Für Störungen beim Notruf oder im Telefonnetz liegen deutschlandweit bei Polizei und Feuerwehr Pläne in den Schubladen. Sie sollen sicherstellen, dass trotz Ausfalls der Notrufnummern schnell Hilfe geleistet werden kann.

Bevölkerung muss über Notrufausfall informiert werden

Dass das Telefonnetz oder die Notrufnummern ausgefallen sind, muss zunächst bekannt gemacht werden, damit die Bürgerinnen und Bürger Bescheid wissen. Die geschieht unter anderem über die Social-Media-Kanäle von Polizei und Feuerwehr, aber auch von Stadtverwaltungen. Zusätzlich wird über die Störung auch über die Medien informiert, zum Beispiel über Durchsagen im Radio. Auch Warn-Apps für Smartphones spielen eine immer größere Rolle. Über "Nina" und "Katwarn" wurden am Donnerstag entsprechende Informationen verbreitet. Diese Meldungen kommen direkt aus den Lagezentren der jeweiligen Bundesländer. Wenn möglich, wird auch über Alternativen zur Alarmierung der Rettungskräfte informiert – häufig sind etwa Polizeiwachen noch über ihre gewöhnlichen Festnetznummern zu erreichen.

Am Donnerstag verwiesen die Behörden in Bremen und Hamburg auch auf die Telefonnummer 19222, unter der normalerweise die Leitstelle der Krankentransporte erreichbar ist. Die Anschlüsse wurden durch die Polizeibeamtinnen und -beamte besetzt, sollten aufgrund der geringeren Kapazität nur "im absoluten Notfall" besetzt werden, wie die Hamburger Polizei mitteilte.

Parallel wird im Fall der Nichterreichbarkeit der 110 die Präsenz von Beamtinnen und Beamten auf der Straße erhöht – und zwar "massiv", wie die Polizei in Deutschlands zweitgrößter Stadt am Donnerstag betonte. Laut "Hamburger Abendblatt" wurden zwischenzeitlich "sämtliche verfügbaren Kräfte von Kriminal- und Schutzpolizei" alarmiert – denn wie lange eine Störung des Telefonnetzes anhält, weiß im Voraus niemand. 

Meldepunkte in Bremen, erhöhte Polizeipräsenz in Hamburg

"Bitte wendet euch bei Bedarf an einen Streifenwagen oder geht an eine Wache", rief die Hamburger Polizei die Bürgerinnen und Bürger der Hansestadt auf. Auch Brände oder medizinische Notfälle sollten in solchen Situationen an die Streifenwagenbesatzungen gemeldet werden, sagte ein Sprecher der Hamburger Feuerwehr. Zudem seien die Feuer- und Rettungswachen im Stadtgebiet jederzeit mit Personal besetzt gewesen und nahmen Alarmierungen auch persönlich entgegen. Die Feuerwehr selbst schicke keine Fahrzeuge vorsorglich auf Streife, erklärte ein Sprecher der Hamburger Berufsfeuerwehr dem stern.

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© wochit
Für den dunklen Nachhauseweg: Diesen Kurzbefehl auf dem iPhone sollte jede Frau kennen

Einen Schritt weiter gingen die Behörden in Bremen. An der Weser wurden zusätzliche Meldepunkte für Notfälle eingerichtet, unter anderem an der zentralen Sielwall-Kreuzung oder am Busbahnhof Vegesack standen Beamtinnen und Beamte bereit. Die Wachen der Freiwilligen Feuerwehren wurden ebenfalls besetzt. Auch die Notaufnahmen der Bremer Krankenhäuser nahmen Alarmierungen persönlich entgegen. Die Behörden in der Hansestadt veröffentlichten eine Karte mit allen Anlaufpunkten für Notfälle. "Das war eine schwierige Situation für uns", sagte ein Feuerwehrsprecher am Freitag dem stern, schließlich sei die Ursache für die unzuverlässige Erreichbarkeit der Einsatzzentrale für die Bürgerinnen und Bürger lange unklar gewesen. Daher sei ein Krisenstab eingerichtet worden. "Die Kommunikation mit unseren Einsatzkräften war jederzeit möglich", betonte der Sprecher.

Notrufe auch über Apps möglich

In einigen anderen Kommunen sehen die Alarmpläne auch vor, dass die Rettungskräfte auch auf den Straßen Patrouille fahren und als Ansprechpersonen bereitstehen.

Ist nur ein bestimmtes Mobilfunknetz von einer Störung betroffen, raten die Behörden, mit einem Handy von Freunden oder Nachbarinnen über ein anderes Netz den Notruf abzusetzen.

Darüber hinaus könnten Smartphone-Apps für die Alarmierung von Polizei und Feuerwehr in Zukunft eine größere Rolle spielen. Schon jetzt ist es mit "Nora", der offiziellen Notruf-App der Bundesländer, möglich, die Helferinnen und Helfer über einen Notfall zu informieren – zumindest, solange das (mobile) Internet nicht ausgefallen ist. Ursprünglich für Menschen mit Sprach- oder Hörbehinderung entwickelt, steht das Programm nun allen Nutzerinnen und Nutzern im App-Store von Apple und im Play-Store von Google kostenlos zur Verfügung. Die zum Beispiel per Chat absetzbaren Notrufe gehen "direkt an die zuständigen Einsatzleitstellen von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst", sogar der aktuelle Standort kann automatisch übermittelt werden. Auch ein "stiller Notruf" für "bedrohliche Situationen" ist nach Angaben des federführenden Innenministeriums von Nordrhein-Westfalen möglich.

Die Hamburger Innenbehörde stellt sich darauf ein, dass Notrufe über andere Wege als das Telefon an Bedeutung gewinnen werden. Der bis 2025 entstehende Neubau der Einsatzleitstellen von Polizei und Feuerwehr sei bereits darauf ausgelegt: "Notrufe können dann zukünftig nicht mehr nur telefonisch, sondern auch über Smartphone-basierte Apps oder Messenger-Dienste abgesetzt werden", hieß es anlässlich der Grundsteinlegung in dieser Woche. "So wird es in Zukunft möglich sein, auch Bild- und Videodateien in Echtzeit zu übermitteln. Mögliche Schwierigkeiten bei der Lokalisierung von Hilfesuchenden können mittels digitaler Standortübermittlung ebenfalls überwunden werden."

Polizeigewerkschaft fordert Investitionen

Grundsätzlich seien alle Systeme in den Leitstellen und bei den Netzanbietern hinsichtlich der Ausfallsicherheit redundant ausgelegt, erläuterte ein Sprecher der Bremer Feuerwehr nach dem Ausfall des Notrufs vor einem Jahr zu Radio Bremen.

Die Störung im Telefónica-Netz am Donnerstag war gegen 23 Uhr behoben, auch die Notrufzentralen sollten danach wieder von allen Anschlüssen erreichbar gewesen sein. Ein "Voice-Server" sei ausgefallen, teilte das Unternehmen mit. Da die Ausfallsicherheit durch Redundanz offensichtlich nicht gegeben war, forderte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) mehr Investitionen in eine verlässlichere technische Infrastruktur und Ersatzsysteme. "Wenn ich über Stunden keine Notrufe absetzen kann, ist das gefährlich", sagte der GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke. Es stelle sich die Frage nach der Qualität der Krisenpläne der Telekommunikationsunternehmen und ob diese von der Bundesnetzagentur einer ausreichenden Prüfung unterzogen worden seien, erklärte Kopelke weiter.

Immerhin: Das Albtraumszenario von ausbleibender oder deutlich zu später Hilfe für Menschen in Not ist in Hamburg und Bremen offenbar ausgeblieben. Ihm sei "nicht bekannt", dass durch die schlechtere Erreichbarkeit der Einsatzzentrale jemand zu Schaden gekommen sind, sagte der Sprecher der Hamburger Feuerwehr dem stern. Auch in Bremen geht die Feuerwehr davon aus, keinen Einsatz verpasst zu haben. Das Aufkommen an Notrufen habe sei ähnlich hoch wie an "Vergleichstagen" gewesen, sagte der Bremer Sprecher und zog ein vorläufiges Fazit der Ausnahmesituation: "Den Umgang mit der Krise haben wir ganz gemanagt."

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