Pornoindustrie Am liebsten unverpackt

  • von Anna Miller
Safer Sex? Nein danke. Die Pornoindustrie macht ihr Geld weitgehend ohne Gummi. Während die Kalifornier nach einem neuen HIV-Fall die Drehs stoppen, brummt das Unten-Ohne-Geschäft hierzulande weiter.

Kalifornien ist auf Porno-Entzug. Erneut hat sich ein Darsteller im San Fernando Valley mit dem HI-Virus angesteckt. Er hatte in "Bareback"-Pornos mitgewirkt, wo keine Kondome benutzt werden. Bis sämtliche Protagonisten, die mit dem betreffenden Mann sexuellen Kontakt hatten, auf HIV getestet wurden, tritt ein landesweiter Drehstopp in Kraft. Damit liegt fast die gesamte amerikanische Pornoindustrie lahm, denn Kalifornien ist der Hauptproduzent von Sexfilmen.

Es steht viel auf dem Spiel. Nach Angaben des "New York Times Magazine" generiert die Pornoindustrie einen Umsatz von 14 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Pornodrehs unter Einsatz von Kondomen sind schlecht fürs Geschäft. Vor allem in Europa.

"Wir drehen alle Filme ohne Kondom, weil der deutsche Markt das so will", sagt ein Sprecher der deutschen Pornoproduktionsfirma Videorama. "Safer-Sex-Filme verkaufen sich in Deutschland und in Europa überhaupt nicht." Wer als Produzent Kasse machen will, lässt den Gummi weg.

Die Deutschen wollen keine Gummis sehen

Dass damit ein Gesundheitsrisiko besteht, streitet der Sprecher nicht ab. Die Darsteller seien aber erwachsene Menschen - und selbst für ihre Gesundheit verantwortlich. Doch jede Produktionsfirma, die einigermaßen seriös agiere, habe strenge Vorschriften. "Bei uns muss vor jedem Dreh ein Volltest vorgelegt werden, der nicht älter als drei Tage sein darf", heißt es bei Videorama.

"Wir alle, Produzenten wie Darsteller, verdienen unser Geld mit Sex. Da ist es doch klar, dass die Leute professionell sind und streng darauf achten, dass sie gesund bleiben." Macht erst mal die Runde, dass ein Darsteller eine Infektion hat, ist seine Karriere gelaufen - und der Ruf der Firma ruiniert. Bezahlen müssen die Darsteller die Tests selbst. Nur bei den Exklusiv-Darstellern übernimmt die Firma die Kosten.

"Der Deutsche will sofort ran"

Ein deutscher Porno-Regisseur, der anonym bleiben möchte, sagt stern.de: "Der Deutsche ist Pornos mit Kondom einfach nicht gewöhnt. Das wird als Störfaktor empfunden. Klar ist es ein Spiel mit dem Feuer. Aber wenn da fünf deutsche Porno-Anbieter im Regal stehen, die Sex ohne Kondom anpreisen, und du bist der Einzige, der Filme mit Kondom dreht, dann musst du schon gut argumentieren können."

Es sei schlicht und einfach ein Egoismus aller Beteiligten. Aber nur, weil ohne Gummi gedreht würde, hieße das noch lange nicht, dass die Leute sich nicht um ihre Gesundheit kümmerten. "Die Sexpartner stellen sich vor dem Dreh in eine Ecke und zeigen sich ihre Testergebnisse. Keiner fängt an, ohne schwarz auf weiß gesehen zu haben, dass alles okay ist", sagt der Regisseur.

Doch warum will der Deutsche in Pornos keine Kondome sehen? "Der Deutsche will, dass die Frau immer geil ist. Der will in seiner Fantasie kein Pornosternchen haben, sondern seine Nachbarin. Da kann er sich einbilden, dass er eine unmittelbare Möglichkeit zum Sex hat. Der will sofort ran, und da ist ein Kondom ein Denkschritt zu viel", erklärt der Videorama-Sprecher.

"Ein Verbot wäre kontraproduktiv"

In den USA tobt schon seit einigen Jahren ein Glaubenskrieg darüber, ob Kondome in Pornofilmen generell Pflicht sein sollten. Nach dem jüngsten Vorfall im San Fernando Valley sammelt die Aids Healthcare Foundation Los Angeles Unterschriften für ein neues Gesetz: Wer bei Drehs keine Kondome benutzt, soll in Zukunft nicht mehr als Darsteller arbeiten können. Bis Weihnachten müssen 41.000 Unterschriften gesammelt werden. Gelingt das, wird die Anfrage Mitte 2012 verhandelt.

In Deutschland ist mit einem "Bareback"-Verbot nicht zu rechnen. Die Verantwortung dafür liegt in der Hand eines jeden Einzelnen. Die Deutsche Aids-Hilfe spricht sich gegen staatliche Maßnahmen aus. "Wir halten jede Art von Verbot für kontraproduktiv", sagt ein Pressesprecher. Man könne nur versuchen, Safer Sex zu fördern.

Er glaubt, dass die Tendenz zu "Bareback"-Pornos seit den 90er-Jahren zugenommen hat. "Seit Mitte der Neunzigerjahre gibt es Medikamente, mit deren Hilfe die Infizierten ein verhältnismäßig gutes und langes Leben führen können", so der Sprecher der Aids-Hilfe. Die Mehrheit der Leute wolle keine Infektion riskieren. Aber das ganz große Tabu von vor 20 Jahren sei eben gebrochen.

Die Pornoindustrie ist am Schluss nur ein Dienstleister unter vielen - der sich an den Bedürfnissen seiner Kunden orientiert. Und die sind eindeutig emotional gesteuert: "Viele Menschen haben die Phantasie, ohne Kondom Sex haben zu können. Wenn sie Pornos schauen, können sie diesen Wunsch ausleben", heißt es bei der Aids-Hilfe.

Bei der Deutschen Aids-Hilfe ist kein Fall von HIV-Infektion infolge von ungeschütztem Sex bei Pornodrehs bekannt. In den USA werden alle paar Jahre neue Fälle von Ansteckungen mit dem HI-Virus bei Pornodrehs bekannt. Seinen größten Skandal hatte das San Fernando Valley 2004: Damals brachte der Darsteller Darren James das Virus aus Brasilien nach Amerika und steckte in wenigen Wochen 14 Frauen an.

Während die Debatte um Safer Sex in der Pornoindustrie in den USA regelmäßig neu entflammt, ist sie in Deutschland kaum Thema. Der deutsche Regisseur meint dazu: "Solange sich die HIV-Ansteckungen in der deutschen Pornoszene nicht häufen, wird sich an der Handhabung auch nichts ändern."

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