"Icke muss vor Jericht" Besser beleidigen mit der Bibel

  • von Uta Eisenhardt
Mit deftigen Schimpfworten hat sich ein Kunde eines Leihhauses revanchiert, der sich beim Kauf einer Goldkette betrogen fühlte. Die meisten seiner unflätigen Äußerungen räumt der Angeklagte vor Gericht auch ein - mit Ausnahme der Worte, die nicht in der Bibel stehen.

Es muss laut gewesen sein in einem Berliner Leihhaus an einem Januartag um die Mittagszeit. "Du verklautes Stück Scheiße", brüllte Manfred Wedel* den Inhaber an. "In Jugoslawien bekommst du drei Kugeln mit einer Makarov in den Kopf", soll er auch gesagt haben. Der Leihhaus-Betreiber fühlte sich bedroht und beleidigt. Er zeigte seinen Kunden an. 1200 Euro Geldstrafe offerierte die Staatsanwältin dem rundlichen 64jährigen mit dem offenen Gesicht für seinen Wutanfall. Doch Wedel schlug das Angebot aus. Er hofft, in der Verhandlung unter dem Vorsitz einer jungen Amtsrichterin auf mehr Verständnis zu stoßen.

Er habe, das gibt der schwerhörige Rentner mit lauter Stimme zu, einige der Worte gesagt, welche die Staatsanwältin in ihrer Anklage aufzählte. "Arschloch" sei jedoch nicht darunter gewesen. "Ich verwende nur Worte, die der Herr Jesus vor 2000 Jahren benutzte", sagt Wedel. "Jesus sprach von Hunden und Schweinen. Ich richte mich danach."

Der bärtige, langhaarige Graukopf, der nahezu barfuss - nur mit Flip Flops an den Füßen - vor der Richterin sitzt, verweist auf das Evangelium, Matthäus Kapitel 7, Vers 6. Da heißt es: "Gebt das Heilige nicht den Hunden und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor, denn sie könnten sie mit ihren Füßen zertreten und sich umwenden und euch zerreißen." Auch von einer "Makarov" will der Angeklagte nicht gesprochen haben. Er habe stattdessen ein Kaliber genannt, mit dem man den Leihhaus-Chef, sollte er in dieser Weise sein Geschäft in Ex-Jugoslawien betreiben, erschießen würde. Wedel wisse das, weil er dort viele Freunde habe.

"Das darf man nicht sagen!"

"Also, 'Du blödes Schwein' haben Sie gesagt", resümiert die Richterin mit Blick in ihre Akten. "Und auch 'Wenn du das in Jugoslawien machst, dann müsstest du aufpassen, dass dein verklautes Schweinegehirn nicht bis nach Berlin zurück fliegt!' Vielleicht sollten Sie Ihre Wortwahl ein bisschen mäßigen?", schlägt sie vor. "Du blöde Sau ist eine Beleidigung!" "Das ist eine Tatsache", hält der vor ihr sitzende Mann ungerührt dagegen. "Das darf man nicht sagen", gibt die Richterin zurück und bietet ihm an, seinen Einspruch gegen den Vorschlag der Staatsanwältin zurück zu nehmen.

Uta Eisenhardt

Uta Eisenhardt ist Berlinerin in dritter Generation. Seit fünf Jahren ist sie Gerichtsreporterin. In der stern.de-Kolumne "Icke muss vor Jericht" berichtet sie aus dem Berliner Amtsgericht, einem der größten Deutschlands. Jede Woche schreibt Eisenhardt über einen Prozess mit dem gewissen Etwas: manchmal traurig, manchmal kurios - immer spannend.

Nein, das möchte der Angeklagte, der bereits schon einmal zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung, Bedrohung und Verstoßes gegen das Kriegswaffengesetz verurteilt wurde, nicht. "Ich denke, dass es gut ist, wenn wir die Sache durchziehen", sagt er kämpferisch. Also gut, dazu muss sich die Richterin die Version des als Zeugen geladenen Leihaus-Betreibers anhören: Wedel habe, so berichtet der zurückhaltend auftretende Mann, bei ihm eine Goldkette für 450 Euro erworben. An jenem Januartag brachte er sie wieder zurück und wollte sein Geld wieder haben. Das habe er jedoch abgelehnt, sagt der Zeuge, denn er habe die Kette extra für Wedel bestellt. Daraufhin beschimpfte ihn der Kunde. "Drecksack, Verbrecher, Betrüger - das waren noch die harmlosen Sachen", sagt der Leihhaus-Betreiber.

Kette war keine 450 Euro wert

Der Richterin reicht es, sie hat genug gehört und will nun zügig die Verhandlung beenden. Wedel opponiert: "Sie machen es sich sehr einfach, junge Frau! Sie müssten vielleicht mal überlegen, wie die Geschichte entstanden ist." Doch es interessiert die Richterin nicht, dass ihm der Leihhaus-Betreiber eine Kette verkauft hatte, die nicht aus purem Gold bestand, sondern mit Kitt gefüllt und darum nicht 450 Euro wert war. Sie gibt das Wort an die Staatsanwältin: "Für den Angeklagten kann ich nichts vorbringen", sagt diese. "Er hat keinerlei Unrechtsbewusstsein, zeigt keine Reue und ist einschlägig vorbestraft." Sie erhöht ihre ursprüngliche Strafforderung von 1200 Euro Geldstrafe auf 2000 Euro (100 Tagessätze).

Vergeblich begehrt Manfred Wedel auf: "Ihr tut so, wie wenn ihr es nicht wüsstet!" Ein letztes Mal sucht er christlichen Beistand: "Der Herr sagte: Ihr Heuchler!" Er hätte den Vers gern noch weiter vorgetragen. Doch die Richterin schneidet ihm das Wort ab. In fünf Minuten wolle sie das Urteil verkünden.

Angeklagter vollkommen uneinsichtig

Die Argumente des Angeklagten haben sie nicht überzeugt. Nach wie vor ist die Richterin der Meinung, der Angeklagte habe auch das Wort "Arschloch" benutzt. Wegen Bedrohung und Beleidigung verurteilt sie ihn, wie von der Staatsanwältin gefordert, zu 2000 Euro Geldstrafe. Es gäbe keine Rechtfertigung, solche Wörter zu benutzen, aber Wedel sei vollkommen uneinsichtig. Dies zeige sich auch an seiner Vorstrafe. Es stehe ihm aber frei, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.

Doch der bibelfeste Beleidiger hat erst einmal genug von seiner Rolle als Angeklagter. Er erkundigt sich nun, wo man eine Strafanzeige stellen kann. Er möchte nämlich den Leihhaus-Betreiber wegen Betruges anzeigen.

* Name von der Redaktion geändert

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