Anklage gegen mutmaßlichen Serienmörder Man fand Leichen. Viele Leichen. Und die Reste einer Pizza. So kam die Polizei dem "Long Island Killer" auf die Spur

Rex H. soll der "Long Island Killer" sein
Rex H. soll der "Long Island Killer" sein
© Michael M. Santiago / Getty Images North America / AFP, Suffolk County District Attorney / Zuma / Imago Images
Vor 13 Jahren findet die Polizei auf Long Island mehr oder weniger zufällig die Überreste von insgesamt elf Leichen. Lange Zeit gibt es kaum Bewegung in dem Fall. Dann geht alles sehr schnell.

Decknamen, Wegwerfhandys, DNA-Spuren auf einer Pizza – die Anklageschrift gegen den New Yorker Architekten Rex H. macht den Fall schon vor Prozessbeginn zum Medienspektakel. Mit dem 32-seitigen Dokument bringt die Staatsanwaltschaft von Suffolk County im US-Bundesstaat New York einen mutmaßlichen Serienmörder vor Gericht: Der 59-Jährige aus Long Island soll zwischen 2007 und 2010 mindestens drei Frauen ermordet haben. In einem vierten Mordfall gilt er ebenfalls als Hauptverdächtiger, mangels Telefondaten ist aber keine Anklage erhoben worden. H. plädiert zu allen Vorwürfen auf "nicht schuldig". Wegen der Schwere der Vorwürfe lehnte der Vorsitzende Richter eine Kaution ab – bis zum Prozessbeginn sitzt H. deshalb in Haft.

"Long Island Killer" ging perfide vor

In der Anklageschrift legen die Ermittler detailliert das mutmaßliche Vorgehen des "Long Island Killers" dar. Demnach habe er über Wegwerfhandys Treffen mit den Frauen arrangiert, die als Sexarbeiterinnen tätig waren. Mobilfunkdaten zeichnen beispielsweise nach, wie sich sein Handy erst alleine in die Gegend seines Büros in Manhattan und dann gemeinsam mit dem eines Opfers wieder in Richtung Long Island bewegte. Eine Auflistung seiner Internet-Suchen öffnet derweil mutmaßlich ein Fenster in die Gedankenwelt des Verdächtigen – unter Decknamen habe er "Tausende Anfragen zu Sexarbeiterinnen, sadistischer Folter und Kinderpornografie" gestellt. Wiederholt recherchierte er außerdem den Ermittlungsstand der Polizei.

Finale Indizien lieferte schließlich die DNA an weggeworfenen Plastikflaschen und Pizza-Resten. Anhand dieser Spuren konnten die Ermittler den Verdächtigen mit Beweismitteln an den ermordeten Frauen verknüpfen. Seine Ehefrau war zum Zeitpunkt der Taten jeweils verreist. Nach der Festnahme des Architekten am 13. Juli entdeckten Ermittler im gemeinsamen Zuhause – einem verwahrlost anmutenden Einfamilienhaus in der Kleinstadt Massapequa – einen begehbaren Tresor mit einem regelrechten Waffenarsenal.

Es ist ein Meilenstein in lange brachliegenden Ermittlungen, die vor 13 Jahren an der Südküste Long Islands begannen. Etwa eine Stunde Autofahrt von Manhattan entfernt reihen sich kleine Gemeinden an einer langen Landstraße aneinander. Wohlhabende New Yorker entfliehen hier gerne dem heißen Großstadtsommer; Restaurants mit Meerblick servieren frische Austern und Frittiertes. In dieser vermeintlichen Idylle wählten in den frühen Morgenstunden des 1. Mai 2010 mehrere Bewohner des Örtchens Oak Beach den Notruf: Eine junge Frau klopfe offenbar ziellos an Türen. Davor hatte sie selbst die 911 angerufen. "I need help" (Ich brauche Hilfe), hört man sie auf der veröffentlichten Aufzeichnung sagen. Kurze Zeit später war sie verschwunden.

Der Vorfall löste eine großangelegte Suche aus, in deren Zuge bis Dezember 2011 die Überreste von insgesamt elf Leichen gefunden wurden, sechs davon am Gilgo Beach. Sieben Frauen im Alter zwischen 22 und 27 Jahren wurden identifiziert, darunter die seit Mai 2010 Vermisste. In ihrem Fall geht die Polizei von einem Unfall aus – ihre Angehörigen glauben das nicht. Bei den unidentifizierten Toten handelt es sich um einen Mann, ein Kleinkind und zwei weitere Frauen. Während unklar ist, inwiefern die Fälle zusammenhängen, gab es laut Ermittlern bei vier der weiblichen Opfer klare Gemeinsamkeiten. Um diese "Gilgo Four" dreht sich die Anklage gegen H.

Großes Mediales Interesse für den Fall

Nach den Funden gingen die Untersuchungen lange nur stockend voran. Angehörige vermuteten fehlendes Interesse vonseiten der Behörden, weil es sich bei den Opfern um Sexarbeiterinnen handelte. Menschen in dieser Berufsgruppe sind einem hohen Gewaltrisiko ausgesetzt – im Kontakt mit Freiern und Zuhältern, aber auch mit der Polizei. Weil Sexarbeit in den USA weitgehend illegal ist, sind Betroffene häufig selbst das Ziel von Strafverfolgung.

Um 2016 herum kamen dann mehrere der an den Ermittlungen Beteiligten im Zuge eines Korruptionsskandals ins Gefängnis – und Spekulationen, ob die Morde nicht längst hätten aufgeklärt sein könnten, wurden lauter. Ein Schlüsseldetail befeuert diese Annahme: So erwähnte ein Zeuge bereits 2010 ein auf H. zugelassenes Auto. Dieser ausschlaggebenden Spur wurde aber erst 2022 nachgegangen.

Die Polizei sucht auf Long Island nach den sterblichen Überresten der Opfer des Serienmörders
Die Polizei sucht auf Long Island nach den sterblichen Überresten der Opfer des Serienmörders
© Spencer Platt / Getty Images / AFP

Der Fall stößt in den USA auf großes mediales Interesse – in Sachen "True Crime" ist die amerikanische Entertainment-Maschine besonders gut geölt. Nahezu täglich kommen neue Details über die Opfer und den mutmaßlichen Täter an die Öffentlichkeit. In den sozialen Medien und diversen Podcasts kommentieren Hobby-Kriminologen das Geschehen. Auch entfernt Beteiligten winkt kurzweilige Aufmerksamkeit: "Mein Boss, das Monster" heißt das Essay einer ehemaligen Mitarbeiterin des Architekten im "New York Magazine". "Rex H. war mein Klassenkamerad", trägt Alec Baldwins Bruder Billy auf Twitter bei.

Während Fernsehkameras und die Augen von Schaulustigen auf das Einfamilienhaus in Massapequa gerichtet sind, ist die oft eindimensionale Charakterisierung der Opfer für manche Angehörige schwer zu ertragen. "Ich mag nicht, wie sie über sie sprechen", sagte die Schwester einer der ermordeten Frauen einmal gegenüber der "New York Times". Sie sei auch eine Mutter gewesen, ein Freigeist, künstlerisch und mutig. "Für ihre Tochter und mich bedeutete sie die Welt."

Luzia Geier / DPA / wue

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos