VG-Wort Pixel

Amnesty International So brutal sind deutsche Polizisten

Von wegen Freund und Helfer: Deutsche Polizisten fallen immer wieder durch Gewaltexzesse auf, wie ein Bericht von Amnesty International belegt. stern.de hat eine Reihe weiterer erschreckender Fälle recherchiert.
Von Kerstin Herrnkind

Sie prügeln Kleinkriminelle zu Krüppeln, vergewaltigen Frauen in Gefängniszellen und schüchtern Zeugen ein: Immer wieder fallen deutsche Polizisten durch brutale Übergriffe im Dienst auf. Der Deutschlandbericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International dokumentiert exemplarisch 15 Fälle von Polizeigewalt. Die Organisation kritisierte eine "mangelhafte Aufklärung der gegen die Polizei erhobenen Vorwürfe". Als Konsequenz forderte Amnesty International eine Kennzeichnungspflicht für Beamte im Einsatz.

Wie brutal deutsche Polizisten mitunter vorgehen, zeigen auch folgende Fälle aus den vergangenen Monaten, die stern.de recherchiert hat.

Vietnamesen beklaut

Das Landgericht Berlin verurteilte Anfang Juli 2010 zwei Bundespolizisten wegen schweren Raubes zu mehrjährigen Haftstrafen. Die beiden Beamten, 27 und 42 Jahre alt, hatten zwölf Vietnamesen willkürlich kontrolliert und ihnen Geld geklaut. Teilweise zwangen die Polizisten ihre Opfer in ihren Streifenwagen und setzten sie an unbekannten Orten wieder aus. Ein Opfer wurde geschlagen. Insgesamt erbeuteten die Polizisten 663 Euro. Ihnen sei es nicht um Geld gegangen, sondern um "Macht", sagten die geständigen Polizisten vor Gericht über ihr Motiv. Die Beamten werden aus dem Dienst entlassen.

Der 42-jährige hatte vor der Wende an der DDR-Grenze gearbeitet. Es habe dort auch auf Menschen schießen müssen, was ihn sehr belastet habe, gab er vor Gericht an. Nach Auskunft der Bundespolizei hatte der ehemalige Grenzpolizist einen Antrag nach dem Einigungsvertrag gestellt, vom Bundesgrenzschutz übernommen zu werden. Am 3. Oktober 1990 wurde er zunächst angestellt und nach einem "Prüfverfahren" verbeamtet. Er wurde inzwischen - wie sein jüngerer Kollege - aus dem Polizeidienst entlassen.

Tödliche Schüsse auf Kleinkriminellen

Das Landgericht Neurupin verurteilte Anfang Juli 2010 den 34-jährigen Polizeikommissar Reinhard R. wegen minderschweren Totschlags zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Der Polizist hatte am Silvestertag 2008 in Schönfließ einen 26-jährigen Kleinkriminellen aus Berlin mit acht Schüssen getötet. "Wer einen solchen Schuss in den Oberkörper des Gegners abgibt, nimmt dessen Tod in Kauf", begründete der Richter sein Urteil.

Zwei Kollegen des Todesschützen wurden zu hohen Geldstrafen wegen Strafvereitelung im Amt verurteilt. Sie hatten versucht, ihren Kollegen zu decken. "Wegen lauter Silvesterböller" hätten sie keinen einzigen Schuss gehört, behaupteten die Polizisten vor Gericht. Offenbar hatten die Beamten schon am Tatort versucht, Zeugen einzuschüchtern. Zwei Schwestern, 15 und 16 Jahre alt, sagten vor Gericht aus, sie hätten Gebrüll und Schüsse gehört. Nach den Schüssen sei ein Polizist zu ihnen gekommen und hätte in "drohendem Ton" gefragt, ob sie etwas gesehen hätten. "Wir hatten Angst und haben gesagt, dass wir nichts gesehen haben", sagte eines der Mädchen vor Gericht aus.

Im neuen stern ...

... lesen Sie einen ausführlichen Bericht über Polizeigewalt in Deutschland.

Mann zusammengeschlagen

Zwei Polizeibeamte wurden vom Landgericht Freiburg im November 2009 wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt zu vier Monaten auf Bewährung verurteilt. Nachdem sie sich auf der Weihnachtsfeier der Kripo betrunken hatten, hielten die Polizisten nachts auf der Straße einen Mann aus Montenegro an. Die Beamten zückten ihre Dienstausweise und gaben vor, eine Personenkontrolle durchzuführen. Die Polizeibeamten brachten den Mann zu Boden, traktieren ihn mit Schlägen und Tritten. Der Richter fand in seinem Urteil deutliche Worte. Die beiden Beamten hätten "Sheriff spielen" wollten. Die Beamten haben gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt.

Grundloser Schlag ins Gesicht

Eine Videoaufnahme überführte einen Polizisten, der bei den Maikrawallen 2008 in Berlin den taz-Redakteur Bernd Schulz ohne erkennbaren Grund mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte. Der Beamte wurde im Mai 2009 mittels Strafbefehl zu einer Geldstrafe wegen Körperverletzung im Amt bestraft. Ein Disziplinarverfahren wurde jedoch eingestellt.

Nasenbein gebrochen

Das Amtsgericht Stendal verurteilte im März 2009 einen Polizeihauptmeister wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung zu einer Geldstrafe von 2.700 Euro. Der Polizist hatte einen 19-jährigen Fußballfan festgenommen, der nachts auf der Straße laut herumgrölte. Dabei brach der Polizist dem Teenager das Nasenbein und steckte ihn anschließend widerrechtlich in die Gewahrsamszelle.

16-Jährigen verprügelt

Von ausgeprägtem Korpsgeist zeugt ein Fall aus Lüneburg, wo im Mai 2009 zwei Streifenbeamte wegen Körperverletzung und Strafvereitelung verurteilt wurden. Nach einer wilden Verfolgungsfahrt stellten die Beamten einen 16-jährigen Mofafahrer, der ohne Führerschein gefahren war. "Ich mach' Dich platt, du Sau", brüllte Kommissar E. und stieß den Teenager, der laut Zeugenaussagen keinerlei Widerstand leistete, mit dem Knie gegen die Schläfen. Selbst als der Junge am Boden lag, schlug der Polizist "dem wehrlosen Zeugen mit der Faust auf den Rücken", wie es im Urteil heißt. Als seine Kollegin versuchte, ihn zu stoppen, brüllte E.: "Halt du dich da raus". Die Beamtin, die zehn Jahre jünger war, als ihr Kollege, erstattete keine Anzeige.

Auch die sieben Anwohner, die den Vorfall beobachtet hatten, gingen nicht zur Polizei. "Ich dachte, da kommt ohnehin nichts bei raus", gab einer später vor Gericht an. Nur über Umwege kam der Vorfall ans Licht. Anwohnerin B. erzählte ihrem Chef, einem Zahnarzt, was sie beobachtet hatte. Der Zahnarzt informierte Lüneburgs Polizeichef Hans-Jürgen Felgentreu, der Ermittlungen in Gang setzte. Das Amtsgericht verurteilte Kommissar E. zu sechs Monaten auf Bewährung. Seine Kollegin wurde wegen Strafvereitelung im Amt zu einer Geldstrafe von 3000 Euro verurteilt. Kommissar E. legte Berufung ein. Und konnte sich wieder auf einen Kollegen verlassen. Kurz vor der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht tauchte Kommissar W., ein Kollege des verurteilten Kommissars, in der Zahnarztpraxis bei Zeugin B. auf. Breitbeinig, die Hände in die Hüften gestützt, habe er vor ihr gestanden. "Er hat mich zur Rede gestellt, wollte wissen, warum ich gegen seinen Kollegen ausgesagt hätte", erinnert sich B. "Er meinte, man werde ja wohl Verbrecher noch ein bisschen härter anfassen dürfen."

Dass er die Zeugin tatsächlich auf ihre Aussage angesprochen hat, gibt Kommissar W. vor dem Landgericht sogar zu. Er habe die Zeugin jedoch "nicht einschüchtern wollen", sondern ihr nur "seine persönliche Einschätzung der Sachlage mitgeteilt." Der Vorfall bleibt ohne Folgen. Das Landgericht bestätigt das Urteil gegen die Polizisten.

Kampagne von Amnesty International

Der nun veröffentlichte Bericht von Amnesty International ist der Auftakt einer mehrmonatigen Kampagne. Bei der Menschenrechtsorganisation haben sich knapp 900 Opfer von Polizeigewalt in Deutschland gemeldet.

Bettler geschlagen

Im Januar 2009 verurteilte das Amtsgericht München einen Polizeiobermeister zu einer Geldstrafe von 7150 Euro. Der Polizist hatte einen rumänischen Bettler grundlos ins Gesicht geschlagen. Der Polizist hatte vor Kollegen geprahlt, dass er "der blöden Sau" einen "eingeschenkt" habe. Vor einer Anzeige habe er keine Angst. "Drauf gesch..." Sein Vorgesetzter erstattete Anzeige.

Mann zu Krüppel geschlagen

100.000 Euro Schmerzensgeld sprach das Oberlandesgericht Hamm im Mai 2009 einem Mann zu, der bei seiner Festnahme von Polizisten so schwer verletzt wurde, dass er heute querschnittsgelähmt ist und im Rollstuhl sitzt. Zwar treffe den Mann, der bei der Festnahme stark alkoholisiert gewesen sei, "ein erhebliches Mitverschulden", wie die Richter betonte. Die Polizei habe bei der Gewaltanwendung gegen den Mann jedoch "massiv übertrieben".

Kneipengäste misshandelt

Zu einer Geldstrafe von 12.600 Euro verurteilte das Amtsgericht Wuppertal im Mai 2009 einen Polizeibeamten, der bei einem Einsatz wegen ruhestörenden Lärms die Gäste einer Kneipe misshandelt und beleidigt hatte. Nach Überzeugung der Richter hatte der Beamte einem Gast den Arm verdreht und einem anderen Gast getreten.

Zwei Frauen in Zelle vergewaltigt

Im November 2008 wurde in Nürnberg ein Polizist zu vier Jahren Haft verurteilt. Der Beamte hatte zwei Frauen in der Gewahrsamszelle vergewaltigt.

Im Januar 2008 verurteilte das Amtsgericht Nürnberg einen Polizisten zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung. Der Beamte hatte einer 45-jährigen Autofahrerin mit der Faust ins linke Auge geschlagen.

Fußballfan verprügelt

Im Januar 2009 verurteilte das Landgericht Dortmund einen 27-jährigen Polizisten. Er hatte einen Betrunkenen mehrmals in den Bauch getreten.

Wegen Misshandlung eines Fußballfans verurteilte das gleiche Gericht im April 2008 zwei Polizeibeamte zu Geldstrafe von 2400 und 7500 Euro. Die Beamten hatten den betrunkenen Fußballfan in der Ausnüchterungszelle zusammen geschlagen.

Bei SEK-Einsatz schwer verletzt

30.000 Euro Schmerzensgeld muss das Land Nordrhein-Westfalen einem 56-jährigen Mann zahlen, der bei einem SEK-Einsatz schwer verletzt wurde. Bei der Einsatzplanung sei nicht berücksichtigt worden, dass der Verdacht, der Mann hätte Handgranaten in seinem Haus "erkennbar nur ein äußerst vager und dürftiger gewesen sei", urteilte das Oberlandesgericht Köln im Oktober 2008. Die Anschuldigung stellte sich als falsch heraus.

Mehr zum Thema

Newsticker