Kurz vor der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz hat die Bundesregierung von der Kirchenführung eine lückenlose Aufklärung des Skandals um den Missbrauch von Kindern gefordert. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte, sie erwarte von der katholischen Kirche konkrete Festlegungen, welche Maßnahmen dafür ergriffen würden. Ombudsleute und ein Runder Tisch aus Staats-, Kirchen- und Opfervertretern seien geeignet, um die zahlreichen Missbrauchsfälle aufzuklären und der katholischen Kirche Gelegenheit zu bieten, mit den Opfern über freiwillige Entschädigungen ins Gespräch zu kommen, sagte die FDP-Ministerin dem "Spiegel" vom Wochenende. Dem Magazin zufolge gibt es neue Vorwürfe gegen mindestens sechs katholische Einrichtungen.
Am Montag kommt die Bischofskonferenz in Freiburg zu ihrer Frühjahrs-Vollversammlung zusammen. Der Missbrauchs-Skandal dürfte eines der beherrschenden Themen sein. Bislang gibt es noch keine Stellungnahme der Bischofskonferenz dazu. Auch der aus Deutschland stammende Papst Benedikt XVI., der vergangene Woche mit irischen Bischöfen über Konsequenzen aus dem Missbrauch Tausender Kinder durch Priester beraten und dabei sexuellen Missbrauch als schwere Sünde und abscheuliches Verbrechen verurteilt hatte, schweigt bislang zu dem Skandal.
Ausgelöst wurde der Skandal durch das Bekanntwerden von Missbrauchs-Fällen am Berliner Canisius-Kolleg, das vom Jesuiten-Orden geführt wird. Bis Mitte der Woche hatten sich bis zu 120 Opfer bei der Anwältin Ursula Raue gemeldet, die vom Jesuiten-Orden als Ombudsfrau eingesetzt wurde. Die Berichte der Opfer beziehen sich nach Angaben Raues hauptsächlich auf jesuitische Schulen in den 1970er und 80er Jahren.
Der Jesuiten-Orden hat einem "Focus"-Bericht zufolge in den USA Insolvenz beantragt, um einer möglichen Sammelklage von Missbrauchsopfern auf Entschädigung vorzubeugen. Der Berliner Anwalt Lukas Kawka habe geprüft, ob unter den Missbrauchsopfern auch amerikanische Staatsbürger seien. Dies hätte eventuell eine Klage in den USA ermöglicht, wo wesentliche höhere Schmerzensgelder zugesprochen würden, sagte der Anwalt dem Magazin. Da der Orden Insolvenz nach "Chapter 11" beantragt habe, sei eine Klage in den USA nun aussichtslos, so der Anwalt.
Die vom Orden beauftragte Anwältin Raue hatte am Donnerstag erklärt, 80 Prozent der Opfer gehe es nicht um eine Entschädigung. "Sie wollen ihre Geschichte loswerden und hoffen auf eine ernst gemeinte Entschuldigung", sagte Raue.
Dem "Spiegel"-Bericht zufolge wurden inzwischen Missbrauchsfälle an mindestens sechs weiteren katholischen Schulen und Einrichtungen bekannt. Darunter seien das Maristen-Internat im bayerischen Mindelheim und das frühere Franziskaner-Internat in Großkrotzenburg bei Hanau. Betroffen seien auch zwei ehemalige Heime der Salesianer Don Boscos in Augsburg und Berlin, ein ehemaliges Kinderheim der Vinzentinerinnen im oberschwäbischen Oggelsbeuren sowie die Behinderten-Einrichtung Franz-Sales-Haus in Essen.