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Polizeigewalt in den USA Warum es für People of Color fast unmöglich ist, Verkehrskontrollen unbeschadet zu überstehen

Polizeigewalt in den USA: Warum es für People of Color fast unmöglich ist, Verkehrskontrollen unbeschadet zu überstehen
Sehen Sie im Video: Wütende Protestet nach Tod von jungem Schwarzen in Minneapolis.




Wütende Proteste am Sonntag (Ortszeit) in Minneapolis, im US-Bundesstaat Minnesota. Zuvor hatte ein Polizist einen jungen schwarzen Mann erschossen, nachdem er dessen Fahrzeug wegen eines Verkehrsverstoßes angehalten hatte. Das passierte nur etwa 16 Kilometer von dem Ort entfernt, an dem George Floyd bei seiner brutalen Verhaftung im vergangenen Mai getötet wurde. Die Polizisten in der Stadt feuerten mit Gummigeschossen und Blendgranaten auf die Demonstranten, die sich vor einem Polizeigebäude versammelt hatten. Die Polizei erklärte, dass Beamte kurz vor 14 Uhr einen Mann wegen eines Verkehrsverstoßes anhielten und feststellten, dass er einen offenen Haftbefehl hatte. Als die Polizei versuchte, ihn zu verhaften, sei er wieder ins Auto gestiegen. Daraufhin habe ein Beamter geschossen.

Niemand wird gern von der Polizei angehalten, wenn er oder sie mit dem Auto unterwegs ist. Aber für nicht-weiße Menschen in den USA sind solche Kontrollen besonders riskant. Eindringlich zeigt das der Fall des Armee-Leutnants Caron Nazario.

Es ist eine Szene, wie sie sich viele Male täglich irgendwo in den USA abspielt: Am Abend des 5. Dezembers 2020 hält die Polizei in Windsor im Bundesstaat Virginia wegen eines angeblichen Regelverstoßes ein Auto an, in dem ein nicht-weißer Mann am Steuer sitzt. Und wie es ebenfalls immer und immer wieder geschieht, geht diese Begegnung für den Angehaltenen nicht gut aus.

Der Fahrer des Wagens war Caron Nazario, Leutnant im Sanitätskorps der US-Armee, afrikanischer und lateinamerikanischer Abstammung. Seine Behandlung durch zwei Polizisten auf einer Tankstelle sorgt bei vielen Amerikanern für Wut und Entsetzen, seit vor einigen Tagen Videos davon veröffentlicht wurden. Das Verstörende an den Bildern: Sie zeigen, dass Nazario von Anfang an praktische keine Chance hatte, ohne Schaden aus der Situation herauszukommen.

"Steigen Sie aus dem Auto aus, sofort!"

Der unheilvolle Vorfall wurde durch die Körperkameras der Beamten und durch Nazarios Telefonkamera aufgezeichnet. Den Aufnahmen zufolge nähern sich die Polizisten dem Auto mit bereits gezogenen Waffen. Ihre erste Anweisung ist: "Halten Sie Ihre Hände aus dem Fenster!"

Nazario, der seine Armeeuniform trägt, hält seine Hände wie angewiesen aus dem Fenster auf der Fahrerseite und fragt: "Was ist los? Warum haben Sie Ihre Waffen gezogen?" Sekunden später folgt die nächste Anweisung: "Steigen Sie aus dem Auto aus, sofort!" Nazario ist immer noch angeschnallt. Würde er den Wagen verlassen, müsste er dabei gegen die erste Anweisung verstoßen, während die Pistolen von zwei aggressiv auftretenden Polizisten auf ihn gerichtet sind.

Nazario versucht weiter ruhig herauszufinden, warum er angehalten wurde und macht auf seine Stellung als Militärangehöriger aufmerksam. "Ich diene diesem Land, und so werde ich behandelt?", moniert er. "Ich bin auch ein Veteran und habe gelernt, zu gehorchen", antwortet ihm einer der Beamten, als wäre Nazario sein Untergebener. "Sie haben einen Befehl erhalten. Befolgen Sie ihn!"

Als Nazario erneut fragt, warum er so aggressiv behandelt wird, entgegnet einer der Polizisten: "Was hier vor sich geht, ist, dass du den Blitz reiten wirst, mein Sohn". Der Ausdruck kann als Drohung mit dem Einsatz einer Elektroschockpistole verstanden werden. Oder sogar als Anspielung auf den elektrischen Stuhl, in Anlehnung an den elektrischen Stuhl auf dem Cover von Metallicas Album "Ride the Lightning", wie der politische Analyst und Autor Matthew Guariglia in einem Kommentar für den US-Sender NBC festhält.

Nazario sagt den Beamten schließlich, dass er Angst davor habe, aus seinem Fahrzeug zu steigen und erhält als lautstarke Antwort: "Ja, das sollten Sie auch. Steigen Sie aus! Steigen Sie aus!" In der Konsequenz bedeutet das für ihn: Egal, ob er den Wagen verlässt oder nicht, ihm droht Schaden.

Weniger als eine Minute später sprüht ihm ein Polizist mehrfach Pfefferspray ins Gesicht. Obwohl Nazario sichtlich leidet, hält er seine Hände für die Beamten sichtbar nach oben. "Ich greife nach meinem Sicherheitsgurt," warnt er die Streife schließlich vor und verlässt das Auto. Gemeinsam drücken die Polizisten ihn daraufhin zu Boden, während Nazario mehrfach fragt: "Können Sie mir bitte sagen, was hier geschieht? Warum werde ich so behandelt?, in Tränen ausbricht und dann nur noch ruft: "Das ist wirklich beschissen, das ist wirklich beschissen."

"Die US-Polizei schafft sich ihre eigene Zwickmühle"

"Er weiß, wie viele andere Autofahrer vor ihm, dass es einen polizeilichen Schusswaffengebrauch rechtfertigen kann, wenn er seine Arme dort ablegt, wo die Beamten sie nicht sehen können", kommentiert NBC-Analyst Guariglia die Szene. "Dies ist die rhetorische Falle von Polizeikommandos. Aus dem Auto auszusteigen bedeutet, dass man möglicherweise erschossen, gewürgt oder mit unnötiger Gewalt überwältigt wird. Aber wie wir gesehen haben, ist Zögern und im Auto bleiben und mit der Polizei reden, um zu verstehen, warum man angehalten wurde, auch ein Rezept um Schaden zu nehmen."

Beispiele dafür, wie schnell derartige Begegnungen mit der Polizei gerade für People of Color eskalieren können, gibt es viel zu viele in den USA. Im Jahr 2014 wurde ein Polizeibeamter aus South Carolina zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Levar Jones erschossen hatte, einen schwarzen Autofahrer, der den Anweisungen des Beamten gehorchte und in seinem Fahrzeug nach seinem Ausweis greifen wollte. Zwei Jahre später forderte ein Polizeibeamter den Afroamerikaner Philando Castile auf, seinen Führerschein und seine Zulassung vorzuzeigen. Nachdem Castile dem Beamten mitteilte, dass er eine Schusswaffe im Auto habe, erschoss dieser ihn, als er nach seinen Dokumenten griff.

"Man kann sicher sagen, dass niemand es mag, von der Polizei angehalten zu werden", schrieb die Washington Post über das Vorgehen der US-Polizei bei Verkehrskontrollen. "Aber für schwarze und (andere nicht-weiße) Menschen gibt es dabei zusätzliches Grauen, Angst und Gefahr."

Und Guariglia hält fest: "Die Polizei in den USA schafft sich ihre eigene Zwickmühle." Sie fordere extremen Gehorsam. Doch wenn man den Anordnungen folge leiste, drohten Unterwerfung, Handschellen, Verhaftung und Gewalt. "Wenn man aber zögert, sich Gewalt auszusetzen, löst das nur noch mehr Gewalt aus."

Nazario hatte gegen keine Verkehrsregel verstoßen

Die Beamten in Windsor, Virginia, gaben an, sie hätten Nazario angehalten, weil sie geglaubt hätten, dass an seinem Fahrzeug das Kennzeichen fehlte – fälschlicherweise, wie sie feststellen mussten. Das Auto war neu und der Leutnant hatte pflichtgemäß ein provisorisches Nummernschild hinter dem Fenster befestigt. Nach dem Vorfall ließen die Polizisten ihn ohne Strafzettel oder Anklage gehen.

"Es gibt keinen Grund, das in Ihre Akte zu schreiben", hört man einen der Beamten auf den Bodycam-Aufnahmen sagen. "Ich will das nicht in Ihrer Akte haben. Wie auch immer, es liegt ganz bei Ihnen. Wenn Sie kämpfen und streiten wollen ... wenn es das ist, was Sie wollen, werden wir Sie anklagen."

Akeem Baker läuft die Straße vor Ahmaud Arberys Haus runter.

Nazario sieht darin den Versuch eines Quidproquos: "Tust Du uns nichts, tun wir Dir nichts." Er hat die beiden Polizisten mittlerweile wegen rechtswidriger Beschlagnahme, übermäßiger Gewaltanwendung, illegaler Durchsuchung, Verletzung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung sowie Körperverletzung und Freiheitsberaubung auf eine Million Dollar Schadenersatz verklagt.

Jegliches juristisches Vorgehen von Nazario werde "mein Leben nicht verändern, so oder so", hatte einer der Beamten den Videos zufolge gegenüber dem Leutnant erklärt. Damit hatte er schon mal unrecht: Nach einer Untersuchung des Vorfalls durch das Windsor Police Department wurde der Polizist gefeuert.

Quellen: NBC, "Vox", CNN, "AJ+" auf Twitter

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