Es muss ein quälendes Jahr für Bundeswehroberst Georg Klein gewesen sein. Am 4. September 2009 hatte er den folgenschwersten Befehl in der Geschichte der Bundeswehr gegeben. Bei dem von ihm befohlenen Bombardement zweier Tanklaster in der nordafghanischen Provinz Kundus wurden mindestens hundert Menschen getötet oder verletzt.
Erst jetzt ist klar, dass der inzwischen nach Leipzig zurückgekehrte Oberst dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wird. Im April stellte die Bundesanwaltschaft die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn ein. Am Donnerstag gab das Verteidigungsministerium bekannt, dass es auch kein Disziplinarverfahren der Bundeswehr gegen ihn geben wird.
Klein hatte die Öffentlichkeit seit seiner Rückkehr aus Afghanistan gemieden. Seit dem vergangenen Herbst ist er wieder Chef des Stabes der 13. Panzergrenadierdivision in Leipzig. Mehrfach musste der 1961 geborene Soldat während der vergangenen zwölf Monate aber die Bombennacht von Kundus in allen ihren Einzelheiten schildern - vor Staatsanwälten, Bundestagsabgeordneten und zuletzt vor dem Heeresinspekteur, der die Einleitung des Disziplinarverfahrens zu prüfen hatte.
Die Verantwortung für seinen Angriffsbefehl an die US-Bomber hat er dabei nie von sich gewiesen. "Militärische Führer müssen ins Ungewisse mit Konsequenzen für Leben und Tod entscheiden und gehen dabei immer das Risiko ein, dass sie Fehlentscheidungen treffen", sagte er vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags. "Zu dieser Verantwortung stehe ich uneingeschränkt." Zuvor hatte er den Abgeordneten in einer stundenlangen Vernehmung geschildert, wie stark sich die Sicherheitslage im Sommer 2009 verschlechterte: "Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Aufständischen zunehmend grausam vorgingen." Unter den 31 Mitgliedern des Ausschusses gab es kaum jemanden, der von seiner Aussage nicht beeindruckt war.
Der "Freispruch erster Klasse", der mit der Entscheidung des Heeresinspekteurs nun perfekt ist, wird auch Auswirkungen auf den Bundeswehreinsatz in Afghanistan insgesamt haben. Lange Zeit machte von Masar-i-Scharif über Kundus bis Feisabad der Spruch die Runde: "Im Einsatz stehst Du mit einem Bein im Grab und mit dem anderen im Gefängnis."
Schon die Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hatte bei den Soldaten in Afghanistan für Erleichterung gesorgt. Endlich gebe es "Handlungssicherheit", hieß es. Der Zugführer habe nun bei schwierigen Entscheidungen im Gefecht die Sicherheit, dass er nicht sofort eingekerkert werde.
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, hat Klein einmal als "Symbolfigur" bezeichnet. "So, wie er behandelt wird, so fühlen sich alle Soldatinnen und Soldaten behandelt, die in die Einsätze gehen im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland." Das bedeutet aber auch, dass die militärische und die politische Führung der Bundeswehr ein größeres Problem mit der Truppe bekommen hätte, falls es ein Disziplinarverfahren gegen Klein gegeben hätte.
Politisch ist die Entscheidung allerdings höchst brisant. Die Opposition ging am Donnerstag auf die Barrikaden. "Das passt nicht zusammen", sagte der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold. Auf der einen Seite habe Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) den Bombenangriff von Kundus für "militärisch unangemessen" erklärt, auf der anderen Seite werde der Verantwortliche unbehelligt gelassen. "Alle haben doch längst zugegeben, dass es Verfahrensfehler gegeben hat", sagte auch der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour. Gleichzeitig nahm er jedoch Klein in Schutz. Der habe "in einer schwierigen Situation Fehler gemacht".
Abgeschlossen ist der Fall Kundus mit der Einstellung der Ermittlungen gegen Klein noch lange nicht. Die parlamentarische Untersuchung soll noch bis Ende des Jahres dauern. Kurz vor Weihnachten soll nach den Vorstellungen der Opposition Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als letzte Zeugin gehört werden. Anschließend wird das Parlament in einem Bericht darlegen, welche Lehren man aus den Ereignissen vom 4. September ziehen könnte.