Der gewaltsame Tod des sechsjährigen Joel aus Pragsdorf im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte vor rund zwei Wochen entsetzte eine ganze Region – die Ermittlungsergebnisse der Polizei dürften ebenso für Fassungslosigkeit sorgen.
Beamte haben am Dienstagvormittag einen dringend Tatverdächtigen festgenommen (der stern berichtete) – er ist erst 14 Jahre alt und kommt aus derselben 600-Einwohner-Gemeinde wie das tote Kind und dessen Eltern. "Man kannte sich aus dem Dorf", sagte der Neubrandenburger Oberstaatsanwalt Tim Wischmann auf einer Pressekonferenz nach der Festnahme. Ein Richter erließ bereits Haftbefehl wegen des Verdachts des Totschlags gegen den Jugendlichen. Er sitzt nun in der Justizvollzugsanstalt Neustrelitz in Untersuchungshaft.
Joel mit Stichverletzungen in Gebüsch entdeckt
Dem Erfolg der Polizei vorausgegangen waren tagelange und intensive Ermittlungen, nachdem Feuerwehrleute das vermisste Kind am Donnerstag vor rund zwei Wochen (14. September) mit schweren Stichverletzungen in einem Gebüsch an einem Bolzplatz am Rande des Dorfes gefunden hatten. Im Krankenhaus stellten Ärzte dann den Tod des Jungen fest.
Der festgenommene 14-Jährige geriet bereits kurz nach der Gewalttat ins Visier der Ermittler. Er soll der Letzte gewesen sein, der Joel noch lebend gesehen hat, wollte angeblich mit ihm Fußball spielen. Die Wohnung der Eltern des Verdächtigen wurde daraufhin noch in der Nacht nach der Tat durchsucht – ohne dass die Ermittler Beweise fanden.
Allerdings habe er sich im Zuge der Ermittlungen in Widersprüche verstrickt, zum Beispiel offenbar über seinen Aufenthaltsort zum Tatzeitpunkt gelogen, erklärte Chef-Ermittler Olaf Hildebrandt.
Den Durchbruch brachte jedoch erst der Fund der mutmaßlichen Tatwaffe. Das Messer wurde am Tag nach der Tat in unmittelbarer Nähe des Fundorts des Sechsjährigen entdeckt. Spezialisten des Landeskriminalamtes (LKA) stellten an der Klinge Faserspuren von der Kleidung Joels fest – und am Griff DNA-Spuren des 14-Jährigen. Als "Wendepunkt in den Ermittlungen" bezeichnete Hildebrandt den Fund des Messers.

Der Kriminalbeamte und sein Ermittlerteam standen seit dem Fund des Sechsjährigen unter enormem Druck, die Erwartungshaltung der Dorfbewohner an die Beamten war immens. Die Nachricht aus dem LKA, einen DNA-Treffer zu haben, sei auch für ihn eine "sehr große Erleichterung gewesen", sagte Hildebrandt. Der Fall habe ihn und seine Kollegen über die Dienstzeit hinaus beschäftigt.
Eine Frage, die die Kriminalbeamten auch über diesen Dienstag hinaus beschäftigen wird, ist: Was bringt einen 14-Jährigen dazu, auf ein acht Jahre jüngeres Kind einzustechen? Darauf haben die Ermittler noch keine Antwort. Der Beschuldigte schweigt bislang zu den Vorwürfen.
Fest steht nur: Der Täter ging schonungslos vor. Hildebrandt sprach von "Brutalität und Grausamkeit, die einzigartig sind". "Es wurde massive Gewalt angewendet –stumpfe Gewalt, spitze Gewalt." Ins Detail wollte er mit Rücksicht auf die Hinterbliebenen nicht gehen. Joel habe keine Chance gehabt, den Angriff zu überleben. Die Erschütterung war dem 57-jährigen Beamten anzusehen.
Über den Beschuldigten wollen die Ermittlungsbehörden nicht viel preisgeben. Oberstaatsanwalt Wischmann verwies auf die "besondere Schutzwürdigkeit" von jugendlichen Verdächtigen. Ob er womöglich psychische Probleme hatte, soll im Zuge der weiteren Ermittlungen durch einen Gutachter geklärt werden. In der Vergangenheit sei der 14-Jährige, der eine Förderschule im knapp 20 Kilometer entfernten Friedland besuchte, bereits mehrfach durch aggressives Verhalten gegenüber Kindern aufgefallen, erklärte Chef-Ermittler Hildebrandt. "Wir denken, dass das damit im Zusammenhang stehen wird." Polizeibekannt sei der Jugendliche jedoch nicht gewesen. Bei seiner Festnahme habe der 14-Jährige "nicht viele Gefühlsregungen" gezeigt.
Die Familie des Toten habe mit Erleichterung auf die Nachricht vom Ermittlungserfolg reagiert, schilderte der Beamte. "Sie sind trotzdem noch voller Trauer."
Sehen Sie im Video: Werden Jugendliche gewalttätiger? Experten geben Einschätzung.

Polizei bleibt in Pragsdorf präsent
Staatsanwaltschaft und Polizei sind sich sicher, dass sie den Täter gefasst haben – bis wieder Alltag in Pragsdorf einkehrt, wird es aber noch dauern. Für die weiteren Ermittlungen und die Betreuung der Dorfbewohner wird auch weiterhin die Polizei vor Ort sein. Fast die gesamte Dorfgemeinschaft nahm am Schicksal von Joel Anteil, half bei der Suche und stand den Beamten in den Zeugenvernehmungen der vergangenen Tage Rede und Antwort. Die Behörden dankten den Bewohnern auf der Pressekonferenz ausdrücklich für ihre Hilfsbereitschaft und Unterstützung. Ralf Opitz, ehrenamtlicher Bürgermeister von Pragsdorf, sagte dem "Nordkurier", er denke, dass es sich positiv auf die Menschen auswirke, "wenn derjenige gefasst ist, der für diese Sache verantwortlich ist". Im Ort erinnern an zwei Stellen Trauerkerzen und Plüschtiere an Joel.
Nach der Festnahme des 14-Jährigen meldete sich auch der Vater des Getöteten zu Wort. "Man freut sich, dass sie ihn endlich gefunden haben!", sagte er in einer Videobotschaft für RTL, während er mit den Tränen kämpfte. Er sei erleichtert, dass seine anderen Kinder nun wieder draußen spielen könnten. Für ihn sei "der erste Schritt in der ganzen Trauerphase" gemacht. Joel könne nun "endlich in Frieden gehen".
Quellen: Polizeipräsidium Neubrandenburg, "Nordkurier", RTL, Nachrichtenagenturen DPA und AFP