Bei den Hinterbliebenen der Opfer von Kaprun hat der Freispruch aller Angeklagten Wut und Fassungslosigkeit ausgelöst. "Ich bin absolut sprachlos", das ist ein Schlag ins Gesicht aller Angehörigen", sagte die Österreicherin Brigitte Hochhalter, die bei dem Seilbahnunglück im November 2000 ihren einzigen Sohn Daniel verlor. Eine Gruppe von etwa 20 anderen Hinterbliebenen verließ aus Protest gegen die Urteile am Donnerstag den Sitzungssaal in Salzburg.
Tränen und Wut
"Ich kann nicht glauben, dass niemand gefunden werden kann, der für 155 Todesfälle verantwortlich ist", sagte Hochhalter unter Tränen. "Wir leben seit Monaten im Schmerz, und dieser Schmerz wird weitergehen." Eine Wienerin, deren Sohn ebenfalls bei der Brandkatastrophe ums Leben kam, erklärte, das Urteil gehe ins Bodenlose. "Wir werden seit drei Jahren belogen. Ich geniere mich für unser Land," sagte die Frau der österreichischen Nachrichtenagentur APA.
Ein Klagenfurter kritisierte, dass sich der Staat so aus der Affäre ziehe. Die Gletscherbahnen Kaprun seien nur auf Profit aus gewesen und hätten in keiner Weise für die Sicherheit gesorgt. "Mir wäre schon geholfen, wenn es Schuldsprüche gegeben hätte," sagte der Mann, der seinen 34-jährigen Sohn, einen Skilehrer in Kaprun, verlor. Es werde gar nicht darüber nachgedacht, dass 155 Menschen hätten sterben müssen.
Eine Mutter aus Bad Leonfelden in Oberösterreich, deren 13 Jahre alter Sohn dem Unglück zum Opfer fiel, bezeichnete das Urteil als Hohn. "Menschenleben und Kinderleben sind in Österreich nichts wert", sagte sie laut APA. "Ich habe damit gerechnet, dass jemand zur Verantwortung gezogen wird." Sie könne seit dem Todesfall nicht mehr lachen.
Proteste vor dem Verhandlungssaal
Bereits vor Verlesung der Urteile protestierte ein Hinterbliebener vor dem Verhandlungssaal. Er trug ein Transparent mit den Namen aller Opfer, auf dem die Worte zu lesen waren: "Wer wird die Verantwortung für diese 155 Leben übernehmen?" Während der Urteilsverkündung rief ein Angehöriger: "Das will ich mir nicht anhören" und verließ den Saal. Ein anderer rief: "Ein Schaden für die Republik!". Vor dem Saal brach eine Japanerin zusammen, sie war aber wenige Minuten später wieder auf den Beinen.
Drei Beschuldigte der Gletscherbahnen Kaprun erklärten in ihren Schlussworten, das Unglück tue ihnen unendlich Leid und habe auch bei ihnen tiefe Wunden hinterlassen. "Wir haben die Katastrophe nicht verschuldet und konnten sie auch nicht voraussehen," sagte der Betriebsleiter. Einer der Verteidiger, Günter Theys, sagte an die Adresse der Hinterbliebenen, die Erinnerungen an die Tragödie würden ihn bis ans Ende seines Lebens begleiten. "Ich werde mich fragen: ’Warum musste diese Serie von Umständen in diesem Moment passieren?’"
Richter Manfred Seiss zeigte Verständnis für die Reaktionen der Angehörigen. Er betonte jedoch, das Beweisverfahren habe eine vollständige Entlastung der Angeklagten ergeben. Die Freisprüche seien nicht als Niederlage der Staatsanwaltschaft zu sehen. "Nur Menschen, aber nicht Firmen können schuldig sein," sagte Seiss.
Minister für Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen
Der österreichische Infrastrukturminister Hubert Gorbach erklärte, der heutige Tag sei eine Mahnung, die Anstrengungen für mehr Sicherheit an Seilbahnen fortzusetzen. Die Regierung habe wichtige Maßnahmen wie ein verschärftes Seilbahngesetz ergriffen, sagte Gorbach: "Wir können das Unglück von Kaprun nicht mehr ungeschehen machen, aber wir müssen alles tun, um so etwas in Zukunft zu vermeiden."