Kofferbomber-Prozess Bombenanschläge als "religiöse Pflicht"

  • von Tim Farin
Während hunderte Menschen in Gefahr waren, in Zügen tödliche Bomben lagerten, habe er, einer der mutmaßlichen "Kofferbomber", ein Computerspiel gespielt. Dies sagte Yousef Mohamad E.H.D. vor Gericht und räumte zugleich seine Mittäterschaft ein. Der Angeklagte wartete zudem mit gewagten Behauptungen auf.

Es war eine detaillierte Erzählung des Angeklagten, ausgedehnt vom frühen Nachmittag bis in die Abendstunden, so klitzeklein und akribisch vorgetragen, dass Yousef Mohamad E. H. D. sich eine positive Wirkung für die Glaubwürdigkeit seiner Verteidigung versprechen durfte. Doch die Pointe nach der jüngsten Sitzung im "Kofferbomber"-Prozess setzte der Vorsitzende Richter Ottmar Breidling. Wenn das alles so sei, wie es der junge Mann behaupte, warum habe er es denn nicht gleich im Zuge der Ermittlungen geäußert? Hätte er seine Version der Wahrheit nicht nach Vorlage der Anklage nennen können? Hätte er nicht gleich zu Beginn der Verhandlung das Wort ergreifen können? "Es ist immer die Frage: Wann kommt eine Einlassung", mahnte Richter Breidling mit dringlichem Blick zum Anwaltsgespann des mutmaßlichen Terroristen, "das kann ja eine Rolle spielen, auch für die Frage der Überzeugungskraft."

Zum Abschluss eines langen Verhandlungstags im Düsseldorfer Oberlandesgerichts gab das Gericht also einen klaren Hinweis, dass es sich garantiert nicht zufriedengeben wird mit der Einlassung, wie sie Yousef Mohamad E. H. D. vorgetragen hatte. Im Kern bekannte sich der 23 Jahre alte Libanese zu seiner Beteiligung am misslungenen Anschlag auf zwei Züge der Deutschen Bahn am 31. Juli 2006. Gemeinsam mit seinem bereits in Libanon zu 12 Jahren Haft verurteilten Landsmann Jihad Hamad habe er die beiden Sprengladungen gebaut.

Hamad war treibende Kraft

Jeder Täter deponierte dann am Kölner Hauptbahnhof jeweils einen Bombenkoffer in einem Regionalzug, ehe die beiden Muslime noch am selben Tag nach Damaskus flogen. Allerdings behauptet der Angeklagte nun dringlich, dass Hamad die treibende Kraft hinter der Tat gewesen sei. Dieser habe behauptet, das Töten von Zivilisten sei die legitime Reaktion gläubiger Moslems auf die Beleidigung des Propheten in den Karikaturen westlicher Medien. Vor Gericht bemühte sich Yousef Mohamad E. H. D. sehr deutlich um Abgrenzung von seinem Komplizen: Während dieser den geplanten Anschlag in Köln als "religiöse Pflicht" bezeichnet habe, sei ihm von Beginn an unwohl gewesen bei diesem Plan. "Mein Herz fühlte sich nicht wohl bei dieser Sache", sagte Yousef Mohamad E. H. D.

Vier Stunden berichtete der sportliche junge Mann in grauer Jeans und beigem Kapuzen-Pulli von den Ereignissen, die sich zwischen Frühling und Hochsommer 2006 zugetragen hatten. Dabei schilderte er eine ungleiche Beziehung zwischen sich und dem bereits Verurteilten. Von Beginn an habe es Jihad Hamad auf einen terroristischen Akt angelegt gehabt, er habe sich ausgekannt auf einschlägigen Internetseiten und auch religiöse Gutachten zur Hand gehabt, die Gewalt gegen Ungläubige rechtfertigen. Mit diesem Verve habe er seinen Landmann vor die Wahl gestellt: "Entweder Gläubiger sein oder Abtrünniger".

"Nur so ne Idee"

Nach eigener Darstellung zog Yousef Mohamad E. H. D. nur widerwillig mit, zögerte die Kooperation mit dem in Köln wohnenden Landsmann hinaus, weil er sich lieber auf seine Studien in Kiel habe konzentrieren wollen. In seiner Schilderung behauptete E. H. D., er habe immer wieder versucht, Hamads Plan zu verwässern, hinauszuschieben oder seine Aggression auf ein anderes Feld als Deutschland zu lenken. Nach dem Tod des Terror-Anführers Abu Musab al-Zarkawi beispielsweise habe er zu Hamad gesagt: "Wir gehen zusammen in den Irak." Dort sei der Heilige Krieg geboten. Doch auch das, milderte Yousef Mohamad E. H. D. vor Gericht ab, sei nur "so ne Idee" gewesen - und keineswegs für bare Münze zu nehmen.

Yousef Mohamad E. H. D. gibt sich viel Mühe, die eigene Beteiligung an der gescheiterten Mordtat zu relativieren und die Anklage gegen seine Person zu parieren. Allerdings stellt sich im Zuge seiner Erzählung die dringliche Frage, warum er - der doch stets Zweifel an der Richtigkeit der Tat gehabt haben will - letztlich doch eine Kooperation mit Ji-had Hamad einging. Und warum er die Ver-schwörung nicht abbrach, als er merkte, "dass keine religiöse Motivation hinter dem steckt, was Jihad macht." Denn, so der Angeklagte, sein Komplize habe vieles gar nicht begriffen, was er gemacht habe - und im Bereich des Islam habe er sich nur mit den militanten Strömungen ausgekannt. Wer solche Zweifel an seinem Mittäter hegt, würde er diesem noch folgen?

Doch Yousef Mohamad E. H. D. wartet vor Gericht noch mit einer anderen relevanten Behauptung auf: Er sei sich jederzeit sicher gewesen, dass die von ihm gebastelten Sprengsätze niemals hätten explodieren können. Während die Bundesanwaltschaft davon ausgeht, dass die Bomben nur wegen eines Fehlers in der Konstruktion nicht explodierten, und dass nur so viele Menschenleben verschont blieben, präsentiert Yousef Mohamad E. H. D. dies als seine Absicht. Denn die Propangaskanister seien, so sagt er, absichtlich nicht mit Sauerstoff angefüllt und somit ungefährlich gewesen.

Festnahme in Kiel

Als sein Komplize und er am 31. Juli 2006 im Kölner Hauptbahnhof die beiden Sprengsätze in den Zügen deponierten, habe er keine Zweifel gehabt: "Ich war mir 100-prozentig sicher, dass das, was wir gemacht haben, unmöglich explodieren kann." Trotzdem gab er sich große Mühe, den Koffer mit dem explosiven Inhalt so im Regionalzug nach Koblenz zu platzieren, dass er möglichst nicht entdeckt werden würde. Dass neben dem Propangasbehälter auch noch Benzin in den Gepäck-Trollys war, sei überdies nicht seine Idee gewesen, sondern die von Jihad Hamad. "Ich konnte nichts dagegen machen. Ich habe geschwiegen", sagt Yousef Mohamad E. H. D. So sicher sei er sich der Ungefährlichkeit seiner Bomben gewesen, dass er nicht nur in Ruhe seinen Flug vom Köln-Bonner Flughafen in Richtung Damaskus angetreten habe. Nein, auch als sein Mittäter beim Umsteigen in Istanbul nervös hin und her rannte, habe er ganz in Ruhe auf Hamads Laptop eine Runde FI-FA gespielt, Brasilien gegen die Türkei.

In den frühen Morgenstunden des 19. August wurde Yousef Yousef Mohamad E. H. D. auf dem Kieler Hauptbahnhof festgenommen. Hier hatte er den glatzköpfigen, bärtigen Jihad Hamad zum ersten Mal getroffen. Hierher war er nach einer Reise in seine libanesische Heimat wieder zurückgekommen. Und hier griff man ihn auf, als er versuchte, zu seiner Schwester nach Schweden zu flüchten. Er hatte am Abend Fernsehen geschaut und plötzlich sein eigenes Gesicht gesehen. Man hatte ihn zur Fahndung ausgesetzt und ein Kopfgeld auf ihn ausgelobt. "Das hat mich sehr durcheinander gebracht", sagte Yousef Mohamad E. H. D. Denn eigentlich hatte er ja ein Studium in Deutschland be-ginnen wollen.

Er sei froh und traurig, sagte Yousef Mohamad E. H. D. Froh, weil das Leben vieler Unschuldiger verschont geblieben sei. "Was mich aber auch traurig stimmt, ist, dass ich diesen Weg zusammen mit Jihad Hamad gegangen bin." Yousef Mohamad E. H. D. hat eine Version der Wahrheit vorgetragen, die seine Beteiligung an diesem Weg recht positiv aussehen lässt. Jetzt ist es am Gericht, Fragen zu dieser Version zu stellen. Fragen, von denen es bislang noch nicht klar ist, ob die Verteidigung sie auch beantworten möchte. Richter Breidling appellierte an die Anwälte des Angeklagten: "Uns geht es darum herauszubekommen, wie es wirklich war. Da kann es ganz hilfreich sein, Fragen zu beantworten."

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