Der 16. Oktober 1984 ist ein sonniger Herbsttag. Tiefblau schlängelt sich der Gebirgsfluss Vologne durch das weitläufige Tal im Département Vogesen.
Der kleine Grégory möchte raus. Er liebt es, seine Spielzeugautos im Bausand vor dem Haus umherfahren zu lassen. Bald wird das Eigenheim auf der Anhöhe am Waldrand fertig umgebaut sein. Bald wird es mehr Platz geben. Die Familie wird weiter wachsen können. Grégorys Eltern geht es gut. Sehr viel besser als all den anderen Mitgliedern ihrer weitverzweigten Familie, die hier im Tal der Vologne nah beieinander leben.

Christine Villemin zieht ihrem vierjährigen Sohn einen blauen Anorak an und setzt ihm eine blaue Mütze auf. Trotz der Oktobersonne liegt schon spürbar Herbst in der Luft. Grégory bekommt noch einen Apfel in die Hand, dann darf er endlich los. Christine macht sich ans Bügeln. Ihr Mann Jean-Marie ist noch bei der Arbeit. Es ist 17.05 Uhr.
Eine knappe halbe Stunde später tritt Christine vor die Tür, um ihren Sohn zum Abendbrot zu rufen. Doch Grégory ist nirgends zu sehen. Sie macht sich auf die Suche im Örtchen Lépanges-sur-Vologne. Fragt einen Bauern, der eine Herde Kühe heimtreibt; fragt einen Nachbarn, der seinen Hof fegt – vergebens. Panik steigt in ihr auf. Sie ruft. Schreit. Dann stürzt sie in ihren schwarzen Renault 5 und jagt los. Erst zu Grégorys Kinderfrau, dann zur Familie eines seiner Klassenkameraden. Vergebens. Alles vergebens.

Um 17.26 Uhr bekommt Jean-Maries Bruder Michel einen Anruf. „Ich habe mich am Boss gerächt und seinen Sohn entführt“, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ich habe ihn erwürgt und in die Vologne geworfen. Seine Mutter ist gerade dabei, ihn zu suchen, aber sie wird ihn nicht finden. Ich habe mich gerächt.“
Da ist er wieder. Der Mann mit der krächzenden Stimme. Der anonyme Anrufer. Der Rabe. So nennt man in Frankreich die Flüsterer aus dem Nichts.