Das spektakuläre Geschäft könnte für beide Beteiligten ein ziemlicher Fehlgriff gewesen sein: Weniger als ein Jahr nach seiner Flucht aus dem modernen Hochsicherheits-Gefängnis im kanadischen Port Coquitlam droht Gangsterboss Omid Tahvili schon wieder Haft. Und Wächter Edwin Ticne, der Tahvili im vergangenen November gegen eine versprochene Belohnung von 50.000 kanadischen Dollar (31.000 Euro) den Gang in die Freiheit ermöglichte, sitzt seit kurzem selbst im Knast: Drei Jahre und drei Monate Haft kasseirte er, weil er einem der meistgesuchten Bandenkriminellen Nordamerikas beim unerlaubten Freigang geholfen hatte.
Vergleicht sich selbst schon mal mit John Gotti
Omid Tahvili, 37, ist Manager eines persischen Verbrecherclans, der in Kanada und den USA sein Unwesen treibt. Der 1,75 Meter große gebürtige Teheraner wird seit 2003 vom amerikanischen FBI und von Interpol wegen einer Telefon-Marketing-Abzocke gesucht, bei der er US-Rentner um drei Millionen US-Dollar (zwei Millionen Euro) gebracht haben soll. Doch dieser Betrugsfall ist nur ein Steinchen im Mosaik von Tahvilis Gaunereien: Der "Tony Soprano von Vancouver", wie er in Anlehnung an die Mafiafamilie aus der gleichnamigen TV-Serie genannt wird, gilt als Schlüsselfigur im kanadischen Drogenhandel. Er selbst hat sich gegenüber verdeckten Ermittlern schon "John Gotti von Vancouver" genannt - Gotti aus dem New Yorker Bezirk Queens war nach Al Capone eine der schillerndsten Figuren des organisierten Verbrechens in Amerika.
Tahvili kam vermutlich 1994 aus dem Iran nach Kanada. Der Royal Mounted Canadian Police fiel er allerdings erst sechs Jahre später auf, als er gemeinsam mit seinem Schwager verhaftet wurde: Die beiden führten drei Kilogramm Kokain bei sich. Im Zuge dieser Ermittlung entdeckten die Cops, dass Tahvili mit einem kriminellen Netzwerk in Verbindung stand: Es kam zu 39 Anklagen gegen neun Verdächtige. Dabei wurden acht Kiogramm Opium, ein halbes Kilo Methamphetamin und 113 Gramm Ecstasy gefunden. Doch Tahvili überzeugte das Gericht, dass die Drogen nicht ihm gehörten. Drei Jahre später befehligte er bereits eine iranische Gang mit etwa 30 Mitgliedern.
Mysteriöses Privatleben
Tahvili, der auch auf den Namen "Omid Roushan" hört, gilt laut Fahndung als "extrem gefährlich". Allerdings sagen die kanadischen Sicherheitskräfte, dass Tahvili meist nur im Zuge von Banden-Streitigkeiten zur Gewalttätigkeit neige. Auch scheint er ein Familienmensch zu sein: Neben dem großen Kreuz, das er auf dem Rücken trägt, hat er auf dem linken und rechten Oberarm Tattoos, die vermutlich seine Kinder darstellen. Mitte Juli brannte das Haus des Gangsters in Vancouver, nachdem ein Molotow-Cocktail darin eingeschlagen war. Zwei Bewohnerinnen riefen um Hilfe. "Wir glauben, dass eine der Frauen Tahvilis Gattin ist", sagte die Polizeibeamte Randall Wong nach dem Zwischenfall - doch war das ebenso wenig herauszufinden wie die Identität der Tatverdächtigen. Selbst wenn es gegen Rivalen gehe, sagt Polizistin Wong, gelte der Grundsatz für alle Angehörigen des Kriminellen: "Sie vertrauen niemanden, sie werden sicher nicht mit der Polizei sprechen."
Im Gefängnis von Port Coquitlam saß Tahvili seit Juli 2005 wegen Geiselnahme und Körperverletzung. Die Ankläger warfen dem Mann mit dem Spitznamen "Nino" Folter vor: Tahvili hatte entdeckt, dass 300.000 kanadische Dollar aus seinen Drogengeschäften verschwunden waren. Er hielt einen seiner langjährigen Kuriere für den Verdächtigen. Um seinen Aufenthaltsort zu erfahren, kidnappte er den Schwager des vermeintlichen Diebes. Tahvili folterte und misshandelte den Mann sexuell, um Informationen über den Verbleib des Schwagers aus ihm herauszupressen. Der Mann verriet Tahvilii nichts wichtiges - wohl aber der Polizei, die den Perser im Sommer 2005 inhaftierte.
Löste sich in Luft auf
Seinen Rang als weltbekannten Kriminellen erarbeitete sich Tahvili allerdings erst nach seiner Verhaftung. Am Abend des 15. November mobilisierte die Polizei in Vancouver alle verfügbaren Kräfte, um Tahvili einzufangen. Denn an jenem Abend um etwa 20:30 Uhr fiel erstmals auf, dass der bereits schuldig gesprochene Verbrecher verschwunden war. Beim Abzählen der Insassen fehlte er. "Dies ist ein Gefängnis mit maximaler Sicherheit, es ist sehr schwierig - oder fast unmöglich - hier rauszukommen", staunte Tony Farahbakhchian von der Royal Canadian Mounted Police, die sich auf die Suche nach dem Gangster machte. Doch der Polizei-Korporal wusste auch: "Er könnte sich überall aufhalten. Er hat viel Geld, und Geld kann dir eine Fahrkarte an jeden Ort verschaffen."
Tatsächlich war es sein Geld, das Tahvili den Weg zurück in die Freiheit ermöglicht hatte. Am 8. August dieses Jahres wurde der Gefängniswächter Edwin Ticne im kanadischen New Westmister vom Supreme Court der Provinz British Columbia zu 39 Monaten Haft verurteilt, weil er die Justiz behindert und Bestechungsgeld angenommen hatte. 50.000 kanadische Dollar habe Tahvili ihm versprochen, berichtete der Staatsdiener vor Gericht. Im Gegenzug habe er den als Reinigungskraft verkleideten Kriminellen durch die Sicherheitsschleuse des Gefängnisses geschmuggelt. Auf Überwachungsvideos sahen die Ermittler, wie leicht der Gesuchte tatsächlch entkommen konnte. Das Geld indes habe der Wachmann nie erhalten. Es war der bisher einzige dokumentierte Fall in Kanada, bei dem Gefängnis-Personal beim Ausbruch eines Kriminellen mithalf.
Den richtigen Wächter ausgesucht
Tahvili hatte sich für seine Flucht mit psychologischem Geschick den richtigen Helfer ausgewählt, schließlich gilt er als "gewieft, schlau und manipulativ". Der Wächter befand sich nach Gutachten des Gerichtspsychologen in einer "ausgeprägten depressiven Episode", verbrachte viel Zeit getrennt von seiner Familie in Kneipen und Kasinos, als er verführt wurde. "Er war geschlagen, hoffnungslos, verbittert und einsam", fasste Richter Peter Leask die psychische Lage des Gefängnisdieners zusammen, die Tahvili für seine Zwecke ausnutzte. Der frustrierte Wärter habe das ganze System ohnehin gehasst - da kam das finanzielle Angebot zum rechten Zeitpunkt. Man verabredete sich an einer Tankstelle in der Nähe der Justizvollzugsanstalt für die Übergabe der Belohnung. Allerdings hat Edwin Ticne weder Tahvili noch die Belohnung je gesehen.
Inzwischen nimmt die Story aber einer weitere unerwartete Wende: Die Ermittler gehen fest davon aus, dass Tahvili noch immer im kanadischen Toronto weilt - und sie haben bereits per Fernsprecher die Verhandlungen mit ihm über seine Aufgabe begonnen. Im Januar war Tahvili wegen des Folter- und Entführungsfalls in Abwesenheit zu zusätzlich sechs weiteren Jahren Haft verurteilt worden. Vermutlich wolle er nun die Dauer der Strafe aushandeln - und auch gegen seine Auslieferung an die USA Vorsorge treffen, sagte eine Vertreterin der Staatsanwaltschaft. Falls Tahvili sich selbst stellt, kann er mit einer gewissen Milde rechnen, sagte die Ermittlerin: "Ich erwarte nicht, dass ich dann die Höchststrafe verlangen würde. Aber ich werde eine substanzielle Strafe anstreben."