An Mädchenschulen im Iran sind Hunderte neue Fälle ungeklärter Vergiftungen gemeldet worden. Wie die iranische Zeitung "Shargh" am Donnerstag berichtete, sind allein in der nordiranischen Stadt Ardabil mehr als 400 Schülerinnen an elf Schulen betroffen. Am Mittwoch berichteten iranische Medien über Giftattacken an insgesamt zehn Mädchenschulen, sieben in der nordwestlich gelegenen Stadt Ardabil und drei in der Hauptstadt Teheran.
Bislang mussten nach Angaben eines iranischen Abgeordneten vom Mittwoch beinahe 1200 Schülerinnen mit Atemnot ärztlich behandelt werden, davon 800 alleine durch Vergiftungen in der südlich von Teheran gelegenen Stadt Ghom. Die Substanzen, die in Ghom gegen die Mädchen eingesetzt wurden, enthielten offenbar Spuren von Stickstoff. In einigen Fällen soll der Gesundheitszustand der Mädchen kritisch sein.
Rund 1200 Schuldmächen im Iran sollen vergiftet worden sein
Seit etwa drei Monaten werden im Iran immer wieder Vergiftungen an Mädchenschulen gemeldet, hinter denen Behörden den Versuch vermuten, Mädchen von der Schulbildung auszuschließen. Die ersten Fälle wurden bereits Ende November gemeldet, als die Proteste im Iran im vollen Gange waren. Schülerinnen klagten über Schwindel, Übelkeit und Atemnot. Waren zunächst nur einige Mädchenschulen in der schiitischen Hochburg Ghom betroffen, wurden in den vergangenen Tagen immer mehr Fälle in anderen Landesteilen bekannt.
Die jüngste Vergiftungswelle versetzt das Land in Aufregung. Eltern und Aktivisten reagierten empört und wütend, noch immer gibt es keine offizielle Erklärung der Regierung. Aktivisten verglichen die für die Vergiftungen Verantwortlichen mit den radikalislamischen Taliban in Afghanistan und der Dschihadistenmiliz Boko Haram in Nigeria, die Bildung für Mädchen grundsätzlich ablehnen. Die Behörden gehen längst von gezielten Giftanschlägen aus. Die Hintergründe sind weitgehend unklar.
Behörden und Regierung im Iran gehen Vergiftungswelle nach
Nachdem sich zunächst das Gesundheitsministerium mit den Fällen befasste, schaltete sich auch der erzkonservative Präsident Ebrahim Raisi ein. Seit Monaten steht dessen Regierung neben der klerikalen Führung im Land unter Druck. Die Frauenproteste im vergangenen Herbst hatten die politische Führung in die schwerste Krise seit Jahrzehnten gestürzt, auch die schwierige Wirtschaftslage bereitet vielen große Sorgen.
Über seine Website gab Präsident Raisi bekannt, dass Innenminister Ahmad Vahidi von nun an fortlaufend über den Ermittlungsstand zu den mysteriösen Vorfällen informieren werde. Er habe Vahidi damit betraut, "um die Ängste der Angehörigen zu besänftigen", hieß es.
Am Dienstag beriet das Parlament in einer Sitzung über die Vergiftungsfälle. Daran nahm laut der Nachrichtenagentur Irna auch der iranische Gesundheitsminister Bahram Ejnollahi teil. Irna zitierte den Parlamentspräsidenten Mohammad Bagher Ghalibaf mit den Worten, sowohl in Ghom als auch in Borudscherd habe man es mit "Vergiftungen von Schülerinnen zu tun".
Vizepräsidentin Massumeh Ebtekar bedauerte am Dienstag die "Wiederholung des Verbrechens der Vergiftung von Mädchen". Sie forderte die Behörden auf, "den frauenfeindlichen Fanatikern ein für alle Mal ein Ende zu setzen".
Die mutmaßlichen Vergiftungen würden untersucht, sagte der iranische Polizeichef Ahmed-Resa Radan am Dienstag der Nachrichtenagentur Tasnim. Es sei die Priorität der Polizei, den Ursachen auf den Grund zu gehen, sagte er. "Bis dahin werden wir nicht beurteilen, ob es sich um eine vorsätzliche Tat handelt oder nicht." Bislang sei niemand verhaftet worden, es würden aber Verdächtige identifiziert.
Ein Regierungsvertreter hatte zuvor gesagt, dass mit den mutmaßlich vorsätzlichen Angriffen vermutlich die Schließung von Mädchenschulen erzwungen werden solle. Der stellvertretende Gesundheitsminister Junes Panahi sagte laut Irna, nach den Vergiftungsfällen in Ghom sei festgestellt worden, "dass einige Leute wollten, dass alle Schulen, insbesondere die Mädchenschulen, geschlossen werden".
Generalstaatsanwalt ordnet gerichtliche Untersuchung an
Mitte Februar hatten Eltern laut Medienberichten bei einer Demonstration vor dem Gouverneursamt in Ghom eine Erklärung von den Behörden gefordert. Daraufhin erklärte Regierungssprecher Ali Bahadori Dschahromi, der Geheimdienst und das Bildungsministerium seien dabei, die Ursachen für die Vergiftungen zu ermitteln. Die Behörden gehen von geplanten Taten aus. Vergangene Woche ordnete dann Generalstaatsanwalt Mohammed Dschafar Montaseri eine gerichtliche Untersuchung an.