Am Ende ist alles gut gegangen. Nach einem langen und zähen Kampf darf Charlotte Bellis nun doch in ihre Heimat Neuseeland zurückkehren, um dort ihr Kind zur Welt zu bringen. Aktuell hält sich die Journalistin in Kabul auf, weil sie in ihrer Verzweiflung und aufgrund der außergewöhnlichen Umstände ihrer Geschichte die Taliban um Hilfe gebeten – und sie wundersamer Weise erhalten hatte. Im März wird sie nun mit ihrem Freund zurückfliegen und der Albtraum, den sie wegen der extrem strengen Corona-Einreisregeln ein halbes Jahr durchlebte, wird ein endgültiges Ende haben.
Der Fall von Charlotte Bellis war bekannt geworden, weil sich die Journalistin Ende Januar in einem offenen Brief an den für die Corona-Regeln zuständigen Minister von Neuseeland gewandt hatte. Darin schilderte sie nicht nur ihre wahnwitzige Geschichte, sondern machte zugleich auf das Schicksal Tausender aufmerksam, die quasi über Nacht von ihrer Heimat ausgesperrt wurden, darunter viele schwangere Frauen wie sie selbst.
Verbotene Schwangerschaft in Katar
Was war passiert? Bellis arbeitete in ihrem früheren Leben als Afghanistan-Korrespondentin des arabischen Senders Al Jazeera in Kabul. Viele ihrer Landsleuten kannten die Journalistin, weil sie auf der ersten Pressekonferenz der Taliban nach der Machtübernahme die Frage gestellt hatte, wie das neue Regime die Rechte von Frauen und Mädchen beschützen wolle, und damit eine gewisse Berühmtheit in ihrer Heimat erlangt hatte.
Im September des vergangenen Jahres kehrte Bellis in die Sendezentrale nach Doha in Katar zurück und stellte fest, dass sie schwanger war. Allerdings ungewollt. Sie war nach einer Untersuchung vor vielen Jahren davon ausgegangen, dass sie niemals Kinder haben würde, wie sie schreibt. Um so größer war die Überraschung.
Das Problem: In Katar ist es einer unverheirateten Frau verboten, schwanger zu sein, von einer Geburt ganz zu schweigen. Also was tun? Mit ihrem Freund Jim Huylebroek, einem Fotografen der New York Times, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in Kabul aufhielt, plante sie für die Geburt ihres Kindes im Mai in ihre Heimatstadt Christchurch zurückzukehren. Doch die wieder aufflammende Corona-Pandemie änderte alles: Neuseeland verschärfte die Einreise-Regeln massiv. Wer ins Land wollte, musste einen Antrag für den Aufenthalt in einem Quarantäne-Hotel stellen. Doch es gab es viel zu wenige Plätze, so dass man an einem Losverfahren teilnehmen musste. Laut "Süddeutscher Zeitung" waren es bei der letzten Verlosung knapp 1190 Plätze für fast 11.000 Bewerber.
Und da begann der Horror. Bellis saß von früh morgens bis spät in die Nacht vor ihrem Rechner in Doha, um an dem Losverfahren teilzunehmen – doch ohne Glück. Sie hatte keine Chance auf eine Einreisegenehmigung. Die Verzweiflung wuchs ständig. Zwischendurch hatte sie ihren Job bei Al Jazeera gekündigt und saß in Katar ohne Einkommen und Krankenversicherung fest.
Taliban sichern ihr Unterstützung zu
Schließlich schien es wieder Hoffnung für das Paar zu geben. Die neuseeländische Regierung kündigte an, das Losverfahren zu beenden, Ende Februar sollte die Einreise für Bürger des Landes wieder frei sein, für Ausländer Ende April. Es passte also alles, um zum Stichtag im Mai rechtzeitig in Christchurch zu sein. Sie und ihr Freund buchten Flüge und organisierten sich eine Hebamme aus der Ferne.
Um die Zeit bis zur Rückreise zu überbrücken, besuchten sie die Eltern Huylebroeks in Belgien. Weil sich Nicht-EU-Ausländer im Schengen-Raum nur drei Monate aufhalten dürfen, reisten sie Anfang Januar wieder ab. Das Paar wollte die verbleibenden sechs Wochen Aufenthaltsrecht für Bellis als Reserve nutzen, um im aller größten Notfall im Mai wieder nach Belgien zu reisen. So der Plan. Doch wohin jetzt? Visa hatten Bellis und ihr Freund nur für Afghanistan. Als unverheiratete, schwangere Frau zurück in ein Land, das unter dem neuen Islamisten-Regime der Taliban leidet und die medizinische Versorgung katastrophal ist? Es blieb ihnen nichts anderes übrig.
Also nutzte Bellis ihre alten Verbindungen nach Kabul, um sich zumindest abzusichern. Sie kontaktierte einen ranghohen Taliban-Führer, der ihre Sicherheit garantierte. Auf ihre Frage, ob es ein Problem gebe, habe der Taliban geantwortet: "Nein, wir freuen uns für Dich, Du kannst kommen und wirst kein Problem haben. Sag den Leuten einfach, Du seist verheiratet, und wenn was schiefgeht, ruf uns an. Keine Sorge. Alls wird gut". So schildert es Bellis in ihrem Brief.
Und über ihre persönliche Situation: "Wenn die Taliban Dir – einer schwangeren, unverheirateten Frau - einen sicheren Zufluchtsort anbieten, weißt Du, dass die Situation übel ist."
Nächste Horrornachricht aus Neuseeland
Zurück in Kabul folgte die nächste Horrornachricht. Die neuseeländische Regierung kassierte die Ankündigung, dass Bürger des Landes ab Ende Februar wieder frei einreisen dürfen. Das Paar war verzweifelt. Jetzt konnten sie sich nur noch um eine aufwendige Ausnahmegenehmigung bemühen, um nach Neuseeland zurückzukehren. In mühevoller Arbeit stellten Bellis und ihr Freund 59 Dokumente zusammen, um ihre Notsituation zu erklären. Sie wiesen dabei ausdrücklich daraufhin, wie gefährlich eine Geburt in Kabul aufgrund der miserablen medizinischen Zustände sei. Die Antwort der neuseeländischen Behörde lautete: Antrag abgelehnt. Die zynische Begründung: Bellis könne nicht nachweisen, dass sie eine medizinische Behandlung in Neuseeland unbedingt brauche.
Als Journalistin hatte sie selbst von den Zuständen in den Kabuler Krankenhäusern berichtet. Es gibt kaum Medikamente, Kaiserschnitte können nicht ausgeführt werden. Laut Bellis gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass in Afghanistan mehr als 50.000 Frauen bis ins Jahr 2025 bei der Geburt sterben werden: "Hier kann eine Schwangerschaft ein Todesurteil sein."
Doch ihr Brief, den die Zeitung "New Zealand Herald" veröffentlichte, zeigte offenbar Wirkung. Über ihren Fall wurde weltweit berichtet und die drakonische Einreisepolitik der Regierung von Premierministerin Jacinda Ardern geriet in der Heimat noch mehr als ohnehin schon unter Druck.
Mittlerweile haben Bellis und ihr Lebenspartner die Ausnahmegenehmigung erhalten, angeblich nach einer erneuten Überprüfung ihres Falls – und nicht wegen der großen medialen Aufmerksamkeit, die er verursachte.
Quellen: DPA, "The New Zealand Herald", "Süddeutsche Zeitung"