Den Februar verbringe ich auf Spiekeroog, einer Insel, die stolz auf das ist, was sie alles nicht hat. Keinen Autoverkehr, keine Hotelklötze, keine Strandpromenade, nicht mal einen Fahrradverleih und einen Golfplatz schon gar nicht. Die Landschaft um das 750-Seelen-Dorf ist naturgeschützt, die Wälder und Dünen dürfen nicht betreten werden. Es gibt im Wesentlichen zwei gepflasterte Hauptpfade, auf denen man sich bewegen kann: einen zum Zeltplatz im Westen, einen Rundweg Richtung Osten. Die Fähre legt ab, wie es den Gezeiten passt: ein- bis zweimal am Tag, und wenn man Pech hat, morgens um sechs.
Als ob die Optionen nicht schon übersichtlich genug wären, wird es im Winter noch mal einen Zacken härter. Die Insel ist wie ausgeknipst, fast alle Geschäfte, Restaurants und Hotels sind geschlossen. Der Inselbäcker hat zu, der Buchladen hat zu, das Zweimal-die-Woche- Inselkino hat zu, das Inselbad nur an vier Tagen geöffnet, der Supermarkt macht zweieinhalb Stunden Mittagspause. Weil die Fracht vom Festland derzeit seltener kommt, kann es sein, dass man sich im kleinen Delikatessengeschäft nur zwischen drei Joghurtsorten entscheiden kann. Im einzigen Café gibt es mittags Kartoffelsuppe mit Krabben, Kartoffelsuppe mit Wurst und Kartoffelsuppe.
All das macht das Leben wundersamerweise nicht etwa schwieriger, sondern einfacher. Keine Optionen zu haben bedeutet, keine Entscheidungen treffen zu müssen. Nichts können heißt nichts sollen. Keine Wahl, keine Qual. Und wenn es nichts zu tun gibt, tut man endlich das, was man immer schon wollte: lesen, schlafen, spazieren gehen. Oder auch einfach: nichts. In meinem Blog schrieb ich neulich schon über dieses befreiende Gefühl der Entoptionalisierung, über die Erleichterung darüber, dass das Leben einfach mal auf Diät gesetzt wird. Unser täglich Überangebot führt im Schlepptau ja oft eine seltsame Unzufriedenheit mit sich: das nagende Gefühl, es hätte doch noch was Besseres, Günstigeres, Schöneres gegeben, wenn man nur länger geguckt, sich besser informiert und sorgfältiger verglichen hätte. Aus der latenten Überforderung durch das Zuviel erklärt sich nicht nur das wachsende Bedürfnis nach Gegengiften wie Klosterferien, Schweigewochenenden und Fastenkuren, sondern auch das Tchibo-Phänomen, das einen zum Fusselrasierer greifen lässt, obwohl man nie einen gebraucht hat – aber es gibt halt nur den einen und das auch nur eine Woche lang.
Ein unverdientes Glück
Ich plädiere nun, weiß Gott, nicht für das DDR-Prinzip – es gibt nur drei Fliesen und von denen ist gerade keine lieferbar –, sondern für ein entspanntes Nachdenken darüber, wann das ständige Wählenkönnen eine Bereicherung ist und wann eine Belastung. Das muss jeder für sich selbst herausfinden.
Ich zum Beispiel brauche das Gefühl, immerzu und überall Zugriff auf jedes Buch zu haben, das mich gerade interessiert – sogar auf Spiekeroog. Ein Hurra also auf das 21. Jahrhundert und die Erfindung des E-Readers. Genauso brauche ich das Gefühl, morgens nicht eine Sekunde darüber nachdenken zu müssen, was ich anziehe: Seit drei Jahren trage ich ausschließlich Blau. Ich bin zwölf Monate lang mit einem 20-Kilo-Koffer voller blauer Sachen gereist, habe dabei nicht das Geringste vermisst und bei meiner Rückkehr beschlossen, dass das so bleiben kann.
Wir haben das unverdiente Glück, in eine der optionsreichsten Zeiten und eines der optionsreichsten Länder der Welt hineingeboren zu sein, es wäre grotesk, sich darüber zu beschweren. Aber eine dieser Optionen ist es eben auch, manchmal keine haben zu wollen.