Wer kennt ihn nicht, den Gong, der jeden Abend um acht Deutschlands berühmteste Nachrichtensendung einläutet? Für knapp sechs Millionen Zuschauer ist die Tagesschau der ARD immer noch eine mediale Tradition. Das macht die Zeit vor und nach diesem 15-Minuten-Überblick natürlich zu einem beliebten Sendeplatz – und wirft die Frage auf: Was soll zur Primetime in der ARD laufen und was nicht?
Für die ARD ist die Antwort klar: Wirtschaft. Seit fast 20 Jahren ist das Format "Börse vor acht" in den fünf Minuten vor der Tagesschau zu sehen. Geht es nach der gemeinnützigen Initiative "Klima vor acht", könnte sich das künftig aber ändern. In einem Brief, den die Initiatoren dem ARD-Intendanten Tom Buhrow übergeben haben und der heute um fünf vor acht auf sämtlichen Kanälen im Social Web veröffentlicht wurde, fordert die Initiative die öffentlich-rechtlichen Sender dazu auf, der Klimaberichterstattung mehr Aufmerksamkeit zu geben. Ihre Lösung: ein regelmäßiges Format zur Primetime.
Das Klima wird seltener thematisiert als gedacht
Gegründet wurde der gemeinnützige Verein im letzten Sommer. "Klimaberichterstattung ist leider oft nur Katastrophenberichterstattung", sagt Mitinitiatorin und Sprecherin Friederike Mayer. "Das Interesse am Klimawandel und seinen Folgen ist aber da und ein derartiges Format längst überfällig". Mit ihrer Aktion kritisiert die Initiative die Klimaberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten als unzureichend. Am Beispiel der Corona-Pandemie sei zu sehen, welche Aufklärungsarbeit der Journalismus für die Gesellschaft leiste. Dasselbe wünschen sich die Aktivisten für den Klimawandel.

Eine eigens durchgeführte Analyse des ARD-Fernsehprogramms zeigt, wie rudimentär das Thema – trotz heißen Sommern, Dürren und Trockenheit in Deutschland – immer noch behandelt wird. Allein für die Sendung "Wissen vor acht" hatten von 227 Episoden nur zehn etwas mit dem Thema Klima zu tun. Bei insgesamt 13.079 Sendungen enthielten nur 128 den Begriff Klima. Dabei handelte es sich in manchen Fällen noch nicht einmal um Wetterereignisse und den Klimawandel, sondern auch um das Arbeitsklima im Büro.
Die öffentlich-rechtlichen Sender berichten besser als Privatsender
"Die Ergebnisse widerlegen ganz klar das Argument, der Klimawandel werde im öffentlich-rechtlichen Rundfunk genug thematisiert", sagt Mayer. Das bestätigt auch Michael Brüggemann, Professor für Wissenschafts- und Klimakommunikation an der Universität Hamburg. Auch er hat sich in seiner Forschung genauer mit der Klimaberichterstattung beschäftigt und stellt fest: "Der Anteil der Klimaberichterstattung in der nachrichtlichen Routineberichterstattung ist erschreckend gering".
Daten des Online Media Monitors zufolge, der mehrere große Online-Medien, darunter den Spiegel und die Tagesschau, untersucht, enthalten null bis drei Prozent der Artikel das Wort "Klimawandel". "Selbst wenn der Begriff in einem Artikel auftaucht, heißt das nicht, dass sich der Artikel tiefgründig mit dem Thema befasst", erklärt Brüggemann. Allerdings, räumt der Wissenschaftler ein, stünde der öffentlich-rechtliche Rundfunk in dieser Hinsicht besser da als private Sender. Eine Bevölkerungsumfrage hat zudem ergeben, dass der Lerneffekt in Sachen Klima bei Konsumenten öffentlich-rechtlicher Sender höher ist als bei privaten Sendern und Boulevardmedien. "Die Qualitätsmedien sind deutlich besser darin, über den Klimawandel zu berichten", so sein Fazit.
Wird "Klima vor acht" das neue ARD-Format vor der Tagesschau?
Doch es herrscht noch Nachholbedarf. Die Idee der Initiative, den Klimawandel in der Berichterstattung prominenter zu platzieren, ist nicht neu, der Umgang der Öffentlich-Rechtlichen wird schon länger kritisiert. So besetzten Aktivisten von Extinction Rebellion eine Zufahrt des NDR, um die Journalisten auf ihre Themen aufmerksam zu machen. Vergangenes Jahr versuchten es die "Grannys for Future" mit einem offenen Brief an die Intendanten. Doch die Aktionen blieben bisher erfolglos.
Jetzt wagen die Aktivisten von "Klima vor acht" einen neuen Anlauf. Mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne sammelten sie Geld, um eigenhändig kleine Video-Beiträge zu produzieren. Innerhalb von drei Stunden habe man das angestrebte Ziel von 20.000 Euro erreicht, berichtet Sprecherin Friederike Mayer. Durch das Crowdfunding sei das Budget auf knapp 46.000 Euro gestiegen. "Das wollen wir natürlich alles für die Produktion unserer Video-Beiträge nutzen - und für weitere Aktivitäten, die helfen, die Klimaberichterstattung voranzubringen", sagt Mayer.
Dem Konzept nach ähneln sie der "Börse vor acht" – nur geht es ums Klima. Laut Mayer sind sechs Episoden geplant, die im April gedreht werden und zeitnah veröffentlicht werden sollen. "Wir hoffen, dass sich durch die Debatte etwas verändert", sagt sie. Zwar sei es nicht realistisch, dass eine so große Anstalt wie die ARD die Videos der Initiative übernimmt. Das ist aber auch nicht das Ziel.
"Theoretisch könnten sie im Fernsehen laufen, das haben wir aber nie wirklich erwartet. Wir wollen auch nicht die journalistische Unabhängigkeit angreifen"", sagt Mayer. Stattdessen gehe es darum, den Sendern ein Beispiel für gute, regelmäßige und vor allem konstruktive Klimaberichterstattung an die Hand zu geben. Denn auch Letzteres komme viel zu kurz, wie die Initiatoren kritisieren: Statt Lösungen aus der Krise aufzuzeigen, gehe es viel zu häufig um Katastrophenszenarien. In der Hoffnung, dass sich so etwas verändert, wollen sie mit ihrem Format den Großen in der Medienwelt zeigen, wie es gehen kann – und dass es manchmal weniger kompliziert ist als gedacht.
Quellen: Klima vor acht