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Chronobiologie Nachteulen im Lerchenalltag

Die innere biologische Uhr hat einen enormen Einfluss auf unser Leben. Wer aufgrund beruflicher Zwänge gegen seinen Rhythmus lebt, ist weniger leistungsfähig und kann sogar krank werden.
Von Erich Lederer

"Morgenstund hat Gold im Mund." Wer beim Frühstück erst langsam anfängt, wach zu werden und sein Leistungshoch erst in den späten Abendstunden erreicht, weiß, dass dieses Sprichwort nicht auf jeden passt. Manche Nachteulen gehen erst dann ins Bett, wenn es die ersten Frühaufsteher schon wieder aus den Federn treibt.

Eine Uhr tickt in jeder Zelle

Dass ein solcher Rhythmus erstaunlich stabil ist, zeigen Versuche, bei denen Forscher den Wechsel zwischen Schlafen und Wachen unabhängig von äußeren Einflüssen untersuchten. Auch ohne Wecker, Sonnenlicht und das Mittagessen um zwölf Uhr bleibt der künstliche Tag im abgeschlossenen Raum gleich lang. "In der Regel sind das zwischen 24 und 25 Stunden", erklärte Till Roenneberg auf einem Workshop über die biologische Uhr des Menschen des Euroscience Open Forum (ESOF) vor einigen Wochen in München. Eher selten ist ein Rhythmus von weniger als 24 Stunden, die Spanne reicht jedoch von 19 bis 27 Stunden. Der Professor für Chronobiologie an der Universität München beschäftigt sich seit vielen Jahren damit, wie äußere Einflüsse die biologische Uhr des Menschen beeinflussen und sie umgekehrt unser Leben bestimmt.

"Aber auch dieses präzise Uhrwerk muss täglich nachgestellt werden", so der Münchner Forscher. Das Tageslicht liefert das maßgebliche Signal dafür. Eigene Nervenbahnen leiten die Information "Licht" von den Augen an die Steuerzentrale im Gehirn. Sie regelt Stoffwechselvorgänge, die unseren Tagesablauf mitbestimmen: Drüsen schütten Hormone aus und regulieren so die regelmäßige Tätigkeit von Magen, Darm und Nieren. Auch der nächtliche Anstieg des Schlafhormons Melatonin wird von hier aus mitbestimmt. Wie bei einer Funkuhr gibt der Sender dabei jedoch nur das Signal an die einzelnen Uhrwerke weiter. "Jede Zelle des Körpers besitzt ihre eigene innere Uhr" erklärt Roennebergs Kollegin, Martha Merrow aus dem holländischen Groningen. Sie konnte bei Leberzellen selbst in der Petrischale Gene nachweisen, die entsprechend der Tageszeit an- und abgestellt werden.

Der Social-Jetlag

Ist es nun besser, ein Frühaufsteher zu sein oder ein Langschläfer? Brauchen Jugendliche weniger Schlaf als Ältere? Mit einem Fragebogen versucht Roenneberg die Verteilung verschiedener "Chronotypen" in der Bevölkerung zu ermitteln. Erste Analysen von etwa 500 Teilnehmern ergaben, dass der Durchschnittsschlaf ohne Wecker und Nachtleben von Mitternacht bis acht Uhr morgens dauert. "Kommt der Schlaf an den Arbeitstagen zu kurz", so beobachtete Roenneberg, "versucht der Körper, sich ihn an den freien Tagen zurückzuholen." Aber auch jene, die nicht jedes Wochenende einem ausgedehnten Nachtleben frönen, kommen mit Arbeitszeiten, die ihrem Chronotyp nicht entsprechen, nur schlecht zurecht. Der Spätaufsteher, dessen Wecker um sechs Uhr klingelt, kann sich nicht so gut konzentrieren und reagiert langsamer. "Social Jetlag", so nennt der Münchner Chronobiologe die Zeitdifferenz zwischen dem Rhythmus der biologischen Uhr und der Vorgabe des Arbeitgebers.

Nicht nur die Arbeitsleistung leidet unter dieser Zeitverschiebung zwischen Innen und Außen. Je größer die Differenz, desto eher löst der Stress den Griff zur Zigarette oder zur Kaffeetasse aus - oder führt zu einem Laune-Tief: 70 Prozent Raucher und zwölf Prozent Depressive finden sich unter jenen mit einem Social-Jetlag von sieben Stunden. Bei drei Stunden oder weniger greifen nur etwa zehn Prozent zur Zigarette, nur etwa fünf Prozent klagen über schlechte Laune.

Licht gegen Alters-Demenz

Mit zunehmendem Alter wird es immer schwieriger, die inneren Uhrzeiger wieder nach dem Tagesrhythmus einzustellen. Senioren fällt es mit zunehmendem Alter schwerer, zur "richtigen" Zeit, also nachts zu schlafen. Auch die Melatonin-Ausschüttung lässt dann mehr nach. Den Grund dafür sehen die Forscher in der abnehmenden Fitness des Steuerzentrums: Über der Kreuzung der Sehnerven sitzt der "Superchiasmatische Nukleus", ein Nervenknoten von der Größe eines Reiskorns. Versuche an älteren Ratten mit gestörtem Schlafrhythmus zeigen, dass mit bei ihnen diese Nervenzellen zwar nicht absterben, aber an Aktivität verlieren. Regelmäßige Gabe ausreichender Lichtmengen weckt diese Zellen wieder auf.

Dass viel Licht auch bei älteren und dementen Menschen im Kampf gegen Ruhelosigkeit und seinen Folgen erfolgreich ist, konnte Eus van Someren vom Niederländischen Institut für Neurowissenschaften zeigen. In mehreren Seniorenheimen ließ er in den Zimmern starke Lichtkästen ähnlich wie Dachfenster installieren, die wie künstliches Sonnenlicht tagsüber in Betrieb waren. Außerdem unterstützte er diese Reaktivierung der inneren Uhr durch eine tägliche Melatoningabe. Nach einer Beobachtungszeit von bis zu dreieinhalb Jahren an rund 190 Personen werden die Erfolge einer solchen Therapie deutlich. Beide Faktoren zusammen lassen die behandelten Senioren gegenüber der Kontrollgruppe besser und regelmäßiger schlafen. Depressionen, ein häufiges Problem in Pflegeanstalten, kommen bei ausreichender Beleuchtung seltener vor. Zusammen können die beiden Stimuli den geistigen Verfall deutlich verlangsamen und wirken "besser als ein gängiges Alzheimermedikament", wie van Someren betont.

Schizophrenie-Patienten ohne Takt

"Ein gestörter Schlafrhythmus ist ein wichtiges Vorzeichen für ein ernsthaftes mentales Problem" erklärt Russell Foster, Neurologe am Londoner Imperial College. Sein Untersuchungsklientel sind Patienten mit Schizophrenie, deren Gehirn häufig realitätsfremde Wahnvorstellungen produziert. Bei diesen Kranken ist die biologische Uhr oft völlig außer Takt geraten. Sie gehen zwischen zwei und vier Uhr ins Bett und stehen oft erst um die Mittagszeit auf. Entsprechend unregelmäßig ist auch ihr Melatoninspiegel. "Nicht selten lässt sich die innere Uhr dieser Patienten überhaupt nicht mehr verstellen, ihre Schlafzeiten ändern sich von Woche zu Woche" erzählt Foster. Auch ihnen soll eine Therapie mit künstlichem Tageslicht helfen, wieder zu einem regelmäßigen Leben zurückzufinden. Erst langsam fangen Chronobiologen an zu verstehen, wie die Gene der biologischen Uhr ticken und unser tägliches Leben beeinflussen. Immer deutlicher wird jedoch, dass wir für eine effektive Arbeit unsere Arbeitszeiten entsprechend diesem inneren Rhythmus ausrichten sollten und nicht umgekehrt. In einer Zeit, in der wir unter der Woche die Sonne oft nur selten sehen, kann uns als Ersatz zumindest ausreichend helle Beleuchtung helfen, dass die Schaltzentrale in unserm Gehirn mit zunehmendem Alter nicht verkümmert. Der tägliche Spaziergang oder die helle Wohnung sind dabei besser und günstiger als manches Anti-Aging-Medikament.

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