Der bekannteste deutsche Kreationist beteuert, er sei gar keiner. Nur früher einmal, vor 20 Jahren, will der Münchner Mikrobiologe Siegfried Scherer "ein waschechter Kreationist" gewesen sein.
Heute verfolgt er nach eigenen Worten manches "mit Entsetzen", was er über die Evolutionsverächter in den USA liest. Nein, keineswegs wolle er die Schöpfungslehre im Biologieunterricht verankern. Und natürlich dürfe man die Bibel nicht als "naturkundlichen Text" lesen. Dabei beruft sich der 50-Jährige in Fragen der menschlichen Entwicklung noch immer gern auf das Alte Testament und bezweifelt, dass es die Evolution war, die "von der Amöbe bis zu Goethe" führte.
Als Vorsitzender der christlich-konservativen "Studiengemeinschaft Wort und Wissen" bemüht sich Scherer seit Jahren, solche Zweifel zu säen: Die Evolutionslehre "beschäftigt sich ja mit Dingen der Vergangenheit - die Rede ist von Millionen von Jahren -, für die wir keine experimentell-naturwissenschaftlichen Beweise haben". Und bis heute hätten die Evolutionsforscher den "Mechanismus einer Höherentwicklung" von Lebewesen nicht erklärt. Gewiss seien Affe und Mensch ähnliche Lebewesen. Aber, so Scherer: "Ähnlichkeit könnte ja auch auf einen gemeinsamen Schöpfer zurückgehen."
Kein Wunder, dass es zu Protesten kam, nachdem der stern Ende September berichtet hatte, wie ein führender deutscher Politiker Scherer fördern wollte. Der Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) plante, den Mikrobiologen im Januar zu einer Diskussionsveranstaltung der Landesregierung einzuladen. Thema: pro und contra Evolutionstheorie. Der thüringische SPD-Chef Christoph Matschie sah prompt einen "Kulturkampf" um Evolution und Schöpfung "wie in Amerika" ausbrechen. "Bietet Dieter Althaus künftig auch jemanden auf, der uns erläutert, die Erde sei eigentlich eine Scheibe?", fragte spitz die PDS-Landtagsabgeordnete Birgit Klaubert. Und der deutsche Zweig der satirischen "Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters" verlangte in einem Schreiben an den Ministerpräsidenten, bei der Debatte die Theorie vertreten zu dürfen, dass ein aus Pasta und Fleischbällchen bestehendes Ungeheuer Menschen und Tiere erschaffen habe.
Es gebe beim Thema Evolution und Schöpfung ja "kein abgeschlossenes wissenschaftliches Konzept", rechtfertigte Althaus die Einladung an Scherer. Seine Initiative kam nicht vollkommen überraschend, denn schon als CDU-Fraktionschef hatte Althaus im Jahr 2002 ein evolutionskritisches Scherer-Buch öffentlich gepriesen.
Wegen der stern-Meldung unter Druck geraten, stornierte Althaus Mitte Oktober schließlich die geplante Debatte - nachdem bereits der Kasseler Biologieprofessor und Scherer-Kritiker Ulrich Kutschera sich geweigert hatte, an einem Streitgespräch teilzunehmen. Was der Münchner Kollege betreibe, führe "Richtung Mittelalter", wetterte Kutschera. Scherer hatte kurz zuvor in einem Interview mit dem evangelikalen Nachrichtendienst Idea die Debatte angeheizt. "Ich glaube, dass der Tod eine Folge des Sündenfalls des ersten Menschenpaares Adam und Eva ist", versicherte der Münchner Biologe unter Berufung auf das Erste Buch Moses. "Vorher sind Menschen, und auch Tiere, nicht gestorben." Darum, so der Evolutionskritiker, "versuche ich zu verstehen, wie sich zum Beispiel die Menschenfossilien, die ja alle einen gewaltsamen Tod anzeigen, auf Adam und Eva zurückführen lassen."
Mit seiner Nähe zur biblischen Schöpfungsgeschichte steht Scherer nicht allein. Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag des stern glauben 13 Prozent der Deutschen, dass die Welt und der Mensch in sechs Tagen von Gott geschaffen wurden. Weitere 23 Prozent gehen davon aus, dass der Mensch in einem langen Prozess entstanden ist, der von Gott oder einem anderen höheren Wesen gesteuert wurde. Scherers "Studiengemeinschaft Wort und Wissen", die sich vor allem mit Kritik an der Evolutionslehre beschäftigt, leistet sich bereits vier hauptamtliche Mitarbeiter - dank 600 bis 700 Spendern. Und Scherers, von Althaus gepriesenes Anti-Evolutions-Buch hat sich schon 40 000-mal verkauft.
Zumindest bis 2003 saß Scherer auch im wissenschaftlichen Beirat des umstrittenen Discovery Institute in Seattle in den USA. Heute ist er nach eigenen Worten "entsetzt über die derzeitigen politischen Aktivitäten des Discovery Institute". Er distanziere sich ausdrücklich "von dem Ziel, 'Intelligent Design' mit juristischen Mitteln in den Biologieunterricht der Schulen zu zwingen", und stehe schon aus diesem Grund für den Discovery-Beirat "nicht mehr zur Verfügung".
Keineswegs, so versichert Scherer außerdem, profitiere "Wort und Wissen" von Geld aus Seattle. CDU-Mann Althaus bemüht sich inzwischen, etwas Abstand zwischen sich und allzu radikalen Christen zu schaffen. Er lehne die Evolutionstheorie nicht "von Grund auf ab", versichert er.
Anders als in den bibeltreuen Kerngebieten der USA lässt sich mit religiösem Fundamentalismus in Ostdeutschland halt auch kein Blumentopf gewinnen. Die stern-Umfrage zeigt, dass die Skepsis gegenüber Positionen von Kreationisten und "Intelligent Design" dort sehr viel größer ist als im Westen. 70 Prozent der Thüringer seien nicht Mitglied irgendeiner Kirche, vermerkte denn auch die "Ostthüringer Zeitung". Althaus" Aktivitäten gingen "an der Lebenswirklichkeit" der Leute vorbei.
Hans-Martin Tillack