Als Alexis Tsipras am Dienstag nach einem Kurzurlaub wieder die Geschäfte aufnahm, versammelte er gleich seine Getreuen im Regierungssitz Villa Maximou. Einziges Thema: Wie soll es weiter gehen? Die regierende Syriza-Partei steht noch unter Schock, weil sie am Ende unterschreiben musste, was sie monatelang bekämpft hatte: Das dritte "Memorandum of Understanding" (MoU), die Bedingungen für das dritte 92 Milliarden schwere Hilfspaket. "Da ist ein Paket verabschiedet worden, an das eigentlich keiner glaubt", bringt es der in Athen lebende Ökonom Dr. Jens Bastian auf den Punkt, "Tsipras nicht, Lagarde nicht und auch nicht Schäuble."
Man kann wirklich nicht behaupten, dass der Premierminister mit Begeisterung an die Umsetzung des MoU geht. Immer noch dominiert diese Haltung im Regierungssitz: "Wir sind erpresst worden," sagte mir diese Woche einer der engsten Berater. "Europa ist einfach gegen uns. Und Tsipras stand alleine gegen alle." Es ist diese Opfer-Pose, die ihm immer noch Popularität in Griechenland sichert. Er hat die Haut der Griechen so teuer wie möglich verkauft, halten ihm viele seiner Landsleute zu Gute. Es machen sich eben nicht nur rechte, sondern auch linke Populisten einen gewissen Nationalismus zu Nutze, hinter dem sich das entrechtet geglaubte Volk nur zu gern vereinigt.
Tsipras hat Mehrheit im Parlament verloren
Aber Tsipras hat die Mehrheit im Parlament verloren. Die linke Syriza-Plattform unter dem Alt-Radikalen Panagiotis Lafazanis verweigerte die Zustimmung zum Hilfspaket. Die drei entscheidenden Abstimmungen gingen nur mit Hilfe der Opposition glatt durch. Nun tritt der Premier zurück, um Wählen zu erzwingen. Verfassungsgemäß wird der griechische Staatspräsident die anderen Parteien bitten, innerhalb von drei Tagen eine Regierung zusammen zu stellen. Die werden es ablehnen, weil gar keine Chance für die Bildung von Mehrheiten bestehen. Dann verwalten die drei obersten Richter das Land bis zum Neuwahl-Termin am 20. September.
Der frühe Termin kommt nicht überraschend. Er ist folgerichtige Taktik des Syriza-Chefs. Denn Ende Oktober steht der erste so genannte "Review" der Kreditgeber an, die Überprüfung also, ob das Memorandum fristgerecht verläuft. Dazu müssen bis dahin Anwendungsgesetze erlassen werden, damit die vielen Einzelmaßnahmen von der höheren Besteuerung von Bauern bis zu Rentenkürzungen von der Verwaltung umgesetzt werden können. Und nur, wenn die Troika diesen "Review" positiv abschließt, werden die Gläubiger mit Griechenland über massive Schuldenerleichterungen verhandeln - und dies ist das vorrangige Ziel von Alexis Tsipras, dem er alles unterordnet. Er konnte sich nicht darauf verlassen, dass die Opposition, allen voran die konservative Nea Demokratia (ND), zweitgrößte Partei, alle Anwendungsgesetze ohne Murren durchgewunken hätte. Sein Zeitplan bis Ende Oktober wäre ins Wanken geraten und damit die Aussicht auf Entlastung der Staatskasse.
Schneller Handlungsbedarf für Tsipras
Also muss eine eigene, möglichst stabile Regierungsmehrheit her. Und zwar schnell. Je mehr Zeit vergeht, desto eher könnte der Rückhalt in der Bevölkerung bröckeln. Denn erst in den kommenden Monaten werden die meisten Griechen feststellen, was ihr Regierungsschef da in Brüssel unterschrieben und wie teuer sie das zu stehen kommt.
Das Kleingedruckte hat es in sich: Beispielsweise steigen die Krankenkassenbeiträge der Rentner von vier auf sechs Prozent, was nichts anderes als eine weitere Rentenkürzung bedeutet. Die Schongrenzen für Zwangsversteigerungen von Immobilien werden gesenkt, was viele Griechen erst so richtig aufbringen wird. Banken sollen dadurch notleidende Haus- und Wohnungskredite eher eintreiben können. Kontopfändungen, auch von kleinen Beträgen, werden erleichtert. Umsatzsteuervorauszahlungen steigen auf 100 Prozent. So gibt es eine lange Liste von bitteren Maßnahmen, die nach und nach in Kraft treten. Ob Tsipras Ende des Jahres noch derart beliebt wäre, bezweifeln seine Berater. Seinen europäischen Robin-Hood-Nimbus würde er wohl einbüßen, auch deshalb drängten sie auf rasche Neuwahlen.
Bruch mit den Ultralinken
Der Bruch mit der ultralinken Syriza-Fraktion hat Tsipras als unvermeidlich abgehakt. Lafazanis dürfte eine neue Partei gründen, die als oberstes Ziel die Rückkehr zur Drachme ausgeben wird. Tsipras, so heißt es von seinen Beratern, wird eine Steilvorlage der griechischen Verfassung nutzen, wonach er (im Falle einer Wahl 18 Monate nach einem regulären Urnengang) eine Liste von handverlesenen Kandidaten zur Wahl stellen kann. Mit anderen Worten: Der Wähler schickt mit seinem Kreuz bei Syriza nur Tsipras-Getreue ins Parlament.
Ob diese Rumpf-Syriza als strahlende Siegerin aus dem Ring steigt, ist ungewiss. Niemand weiß, wie viele Griechen ihrem Held die 180-Grad-Wende wirklich verzeihen. Und mit welchen Versprechen will die abgespeckte Syriza in den Wahlkampf ziehen? "Wir werden die Armut bekämpfen und die Korruption, Steuern eintreiben und wir werden versuchen, die Folgen des Memorandums zu lindern", sagt ein Top-Syriza-Mitarbeiter. Am liebsten würde man Teile des MoU nachverhandeln, doch dazu gehören zwei Seiten.
Berg von Problemen
Jetzt braucht das Land erst einmal dringend eine standfeste Regierung, die mindestens eine Legislaturperiode durchhält. Denn der Berg von Problemen übersteigt manchmal die Vorstellungskraft. Auf 80 Milliarden private Steuerschulden wartet der Staat. Die Banken müssen rekapitalisiert werden, einige gehen in die Abwicklung oder müssen fusionieren. Die Griechen bunkern einstweilen 45 Milliarden Bargeld in den eigenen vier Wänden. 20.000 Unternehmen haben ihren Sitz wegen der Kapitalverkehrskontrollen nach Bulgarien verlegt. Die Verwaltung, das Steuer- und Justizsystem müssen modernisiert werden - die Liste scheint kein Ende zu nehmen.
Offen ist, ob diese Themen auch für die neue Syriza ganz oben auf der To-Do-Liste stehen. "Wir haben in den Nächten in Brüssel eine Schlacht verloren", sagt fast entschuldigend eine Mitarbeiterin des Regierungschefs, "aber nicht den Krieg". Am 20. September ziehen sie in die nächste Schlacht. Aber den Krieg gegen Brüssel, den haben sie schon verloren. Sie wollen es nur noch nicht wahr haben.